Eine der positiven Seiten des Sports ist es für mich, dass ich währenddessen immer wieder Einfälle habe. Für Projekte, Texte oder eben Blogbeiträge. Ein Gedanke, den ich hatte, fand ich besonders spannend: Wie hat sich meine schulische Arbeit in den letzten fast 15 Jahren verändert? Ich kann mir vorstellen, dass es den meisten so geht, dass sie nach dem Referendariat weitere Jahre brauchen, ihre tatsächliche Lehrerpersönlichkeit und damit auch ihre Zugänge zu finden. Dementsprechend freue ich mich über eigene Erfahrungen in den Kommentaren. Eine unvollständige Liste.
Schon sehr früh habe ich damit begonnen, meinen Unterricht digital zu planen (man beachte dieses Youtube-Video von vor 10 Jahren). Mehr noch: In den ersten schlecht besuchten Workshops ging es um genau diese digitale Planung. Die Idee: Alles an einem Ort zu haben und keinen Zettelwust mehr zu haben. Diese Vorgehensweise habe ich über die letzten Jahre streng weitergeführt. Die Konsequenz: Die letzten Ordner, die den Platz für andere Dinge wegnehmen, sind aus dem Jahre 2015. Ein weiterer Vorteil: Die Arbeit mit dem Zwieback-Prinzip, das vorsieht, alles so zu planen, dass der Unterricht nicht perfekt ist, aber eben theoretisch durchgeführt werden könnte, sorgt dafür, dass die digitale Struktur besteht und man bei anderen Umständen, Klassen und Themen schon ein Grundgerüst hat, das perfektioniert werden kann.
Wahrscheinlich gibt es zwei Alternativen, wie man meinen Ordnungsinn betrachten könnte: Sehr überzeugend oder krankhaft. Sei es, wie es sei: Durch digitale und andere Ordnungssysteme habe ich mit der Zeit ein System erstellt, das dafür sorgt, dass mein Schreibtisch zu jeder Zeit leer ist. Klar, sobald etwas ansteht, das ich bearbeite, liegt es auch da. Aber es ist eben nichts anderes zu finden. Der Schreibtisch ist zu jeder Zeit clean. Das ist weniger etwas, das ich mir als Ziel gesetzt habe; ich kann einfach nicht anders. Dadurch, dass ich dies in den letzten Jahren perfektioniert habe, komme ich immer zu einem Arbeitsplatz, auf den ich mich freue. Und das ist Teil der Motivation, auch dann, wenn man Aufgaben hat, die anstrengend oder nervig sind.
Über mehrere Jahre habe ich jedes Jahr ein Jahresfokus gesetzt. Die Idee: Den Fokus auf etwas zu setzen, das mir Schwierigkeiten bereitet und so nach und nach dafür zu sorgen, dass ich diese Probleme abbaue. Das betraf manchmal so spannende Aufgaben wie die sorgfältige Bearbeitung von Listen (damit ich nicht Schülerinnen hinterherrenne, sondern alles sorgsam dokumentiert habe). Manchmal betraf es Haltungsfragen wie den Mut, Dinge anders zu machen. Mittlerweile weiß ich, dass das Aufschreiben von Zielen tatsächlich wissenschaftlich evaluiert wurde und dafür sorgt, dass man die Ziele besser erreicht (siehe dieses Video). Deshalb habe ich dies verallgemeinert und ausgeweitet. Ich habe also keinen Jahresfokus mehr für die Schule, sondern für das Jahr selbst. Wichtig ist, dass das Ziel oder die Lernaufgabe nicht einfach aufgeschrieben und abgelegt ist, sondern immer wieder überprüft werden kann.
Ich bin ein emotionaler Mensch. Das hat Vor- und Nachteile. Nicht wenige Klassen werden davon berichten können, wie ich enttäuscht oder wütend aus der Klasse gestürmt bin, weil eine Aufgabe nicht getan wurde. Zwei Jahre lang hatte ich den ersten Platz der "Drama-Queen" inne. Eine Klasse schenkte mir Botschaften, die auf Snickers geklebt waren. Das hört sich böser an, als es war. Die Botschaften selbst waren nämlich nett. Das zu verändern hat mich sehr viel Kraft gekostet. Aber das Wissen um das Eisbergmodell von Katia Saalfrank, mit der ich den "Familienrat" moderiere, hat mich nochmal darin bestärkt, dass es nichts bringt, Verhalten zu verurteilen und entsprechend zu reagieren.
Eine der für mich beeindruckendsten Erkenntnisse aus meinem Pädagogik-Seminar waren die Studien über Unterrichtsstörungen. In (sehr) kurz: Die Frage ist nicht, was man tut, nachdem es zur Unterrichtsstörungen gekommen ist. Die Frage ist, was passiert ist, bevor es zur Störung kam. Insofern ist es viel wichtiger zu überlegen, wie man die grundsätzlichen Voraussetzungen ändern kann, als darüber, welche Sanktion zu nutzen ist. Dies ist enorm schwer. Mittlerweile sanktioniere ich gar nicht mehr. Ich glaube weder, dass dies immer möglich ist, noch, dass dies der Wahrheit letzter Schluss sein muss. Und ich denke auch, dass es Schülerinnen und Schüler gibt, die das ausnutzen. Und jedes Mal über Gründe für ein Fehlverhalten oder eine nicht gemachte Aufgabe zu sprechen, ist sicherlich auch anstrengender als die Schüler nachsitzen zu lassen oder eine Aufgabe machen zu lassen. Perfekt ist nichts. Aber auf der anderen Seite ist für mich die wichtigere Frage: Was bringt das eine und was das andere. Und meine Erfahrung sagt mir, dass Sanktionen meist keinerlei Auswirkungen auf Verhalten haben. Gemeinsame Problemlösung aber schon.
In meinem aktuellen Buch wird es an einigen Stellen sehr didaktisch. Zum Beispiel dort, wo ich über den sogenannten Advance Organizer spreche. Aus meiner Sicht das Werkzeug schlechthin, um folgende Fragen zu beantworten: Warum machen wir was wie? Dies betrifft in erster Linie das Vorgehen innerhalb des Unterrichts. Es soll den Schülerinnen und Schülern in jeder Stunde die Möglichkeit geben zu verstehen, warum etwas überhaupt gemacht wird. Und warum auf eine bestimmte Weise vorgegangen wird - solange diese noch vorgegeben ist. Transparenz in diesem Sinne ist die Grundlage jeder didaktischen Entscheidung, die ich treffe. Auch wenn ich dies schon seit einigen Jahren mache, bin ich in den letzten Jahren doch noch konsequenter zu werden. Auch weil ich glaube, dass ohne das Warum Lernen überhaupt gar nicht möglich ist. Wer möchte schon etwas tun, von dem er oder sie nicht versteht, welche Relevanz es überhaupt hat.
Mein Ziel ist es, Lernen zu initiieren. Aus diesem Grund glaube ich weder daran, dass eine perfekte Unterrichsstruktur sinnvoll ist noch dass es meine Aufgabe ist, Wissensvermittler zu sein. Das hört sich dogmatischer an, als es ist. Natürlich kann ich weiter Themen erklären. Es gibt immer wieder Phasen des Gleichschritts. Aber beim Fortschreiten dessen, was man landläufig Unterricht nennt, ist meine Zielsetzung dahin zu kommen, dass es keine Phasen mehr gibt. Sondern nur Kinder, die auf Grundlage ihres Niveaus lernen. Erst dann kann ich diejenigen Dinge tun, die empirisch nachweislich das beste Lernen bewirken: Begleiten, Rückmeldungen geben, motivieren und inspirieren. Nicht geplant, aber für mich auffällig ist, dass dies über mehrere Stunden in eine Art auf der Seite liegenden Trichter mündet: Zu Beginn ist die Begleitung eng, die Aufgaben präzise, das Tempo relativ gleich. Nach und nach werden die Aufgaben diverser und offener. Am Ende lernen alle unterschiedlich. Erst in einem solchen Setting kann das volle Potenzial von KI eingesetzt werden. Es ist schon ironisch, dass jene Phasen, in denen wirklich alle lernen in einer Lehrprobe mit einer 6 bewertet werden würden. Aber das wäre ein anderes Thema.
Schon im Referendariat gab es Sequenzen zu "Nähe und Distanz". Also zur Beantwortung der Frage, wie viel Beziehung gut ist für ein erfolgreiches Lernen (auch wenn es damals anders genannt wurde). Das exzellente Buch "Begeisterung wecken" von Douglas Yacek hat mich darin bestärkt, auf dem richtigen Weg zu sein. Grundlage dafür ist es, dass ich als Lehrer Mensch bin. Ein Mensch mit Haltung, Perspektiven und Interessen. Denn nur über meine eigene Begeisterung kann ich jene schon beschriebene Inspiration bieten. Aber auch die Schülerinnen und Schüler müssen als Menschen wahrgenommen werden. Mit den Bedürfnissen und Anliegen die sie haben. Das bedeutet zwei Dinge explizit nicht: Es bedeutet keine geheuchelte Kumpelhaftigkeit. Und es bedeutet keine Willkür. Manchmal muss man etwas tun, auch wenn man keine Lust oder Motivation hat. Aber es bedeutet Augenhöhe, sofern dies in einem schulischen Setting möglich ist, bei dem Bewertung und Benotung ja nicht einfach ausgesetzt werden können. Das hat konkrete Konsequenzen, vom sofortigen Lernen der Namen bis zur Kulanz, wenn mal etwas nicht geschafft worden ist (siehe Sanktionen). Es bedeutet auch, sich seiner Machtposition gewahr zu sein, sie zu reflektieren und nicht auf ihrer Grundlage Entscheidungen zu treffen, nur weil man es kann.
Ich wünschte, ich könnte davon berichten, dass die Korrektur mir über die Jahre immer leichter gefallen ist. Das Gegenteil ist der Fall. Korrekturen sind für mich vor allem vor dem Hintergrund, wie wenig Wirkung sie haben, das Schlimmste am Lehrerjob. Mit Abstand. Dennoch muss sie gemacht werden. Ich habe vieles ausprobiert: Welche Klassenarbeit zuerst kommt, wann man korrigiert, wie viel man korrigiert. Ich habe Checklisten ausprobiert, Kriterienkataloge und vieles mehr. Mittlerweile korrigiere ich tatsächlich nur noch holistisch. Das heißt: Ich habe (natürlich) einen Erwartungshorizont mit Kriterien, aber in meinem Fall ist Sprache sowieso nicht auf einzelnen Bullet-Points herunterzubrechen. Das weiß jeder, der vor der Frage steht, ob nun die Arbeit besser ist, die sehr gut formuliert nicht ganz so viele inhaltliche Punkte anspricht. Oder die, die alle Punkte anspricht, aber viele formale Fehler hat. Mittlerweile bin ich da auch sanfter: Gebe ich die bessere Note oder die schlechtere? Die Frage stellt sich nicht. Ich breche mir keinen ab, wenn ein Schüler oder eine Schülerin einen Punkt mehr hat. Es geht eben nicht ums Prinzip, sondern um Nachhaltigkeit. Jemand, der über die Jahre bestärkt, begleitet und motiviert worden ist, wird es schon schaffen, seine formalen Defizite in den Griff zu bekommen. Jahre von schlechten Bewertungen hingegen sind Gift für die Freude am Lernen.
Es gibt sicherlich Punkte, die ich bewusst oder unbewusst ausgespart habe. Aber dieses sind jene Dinge, die ich über die Jahre verändert habe. Ich bin mir sehr sicher, dass dies nicht einfach so passiert ist. Sondern vor dem Hintergrund genau dieses bloggens, das mich immer wieder mit Meinungen, Hinweisen und entsprechend weiterführenden Gedanken und Literatur befassen lassen hat. Auch die später dazukommenden Gespräche in meinen Podcasts haben mir geholfen, meine Ansätze zu hinterfragen, zu reflektieren und zu verändern.
Veränderung ist aber immer schwierig. Manchmal dauert es mehrere Monate, manchmal Jahre, bis man etwas, von dem man durchaus überzeugt ist, auch umsetzen kann. Es benötigt die Offenheit, die eigenen Ansätze nicht als gegeben anzunehmen. Das ist übrigens einer der Gründe, warum Veränderung auf Schulebene immer wieder so schwierig ist. Denn wenn man eine persönliche Entwicklung gestartet hat und auch merkt, wie es einem selbst hilft, wie sie dadurch die Motivation steigert und wie man mehr Spaß an der Arbeit hat, dann ist man automatisch weiter als all jene, die das nicht haben. Und dann hilft es meist auch nicht, in einem Gespräch zwischen Tür und Angel Überzeugungsarbeit leisten zu wollen. Die Haltung zu ändern und damit Grundüberzeugungen über Schule, Lernen und Bildung, ist das dickste Brett, was es zu bohren gilt. Vor allem deshalb, weil jene Menschen in Politik und Verwaltung oftmals eine Grundüberzeugung ausgebildet haben, als sie noch selbst betroffen haben, die Veränderungen der Umstände aber nicht mehr mitbekommen haben.
In meinem Broadcast-Channel auf Instagram habe ich diesen Beitrag angeteasert und gefragt, welche Veränderungen die Follower durchgemacht haben. Dies ist eine unvollständige Liste ihrer Antworten. Wie gesagt: Ich freue mich über weitere Kommentare. Es sei angemerkt: Die Kommentarspalte ist unglaublich wertvoll. Denn hier bleiben die Kommentare als Ergänzung und Erweiterung für alle, die sich den Artikel durchlesen. Sie gehen nicht in den unendlichen Weiten von Social-Media verloren: