Als ich in den letzten Zügen eines Vortrags über mein Dasein als „Netzlehrer“ sprach, den ich am Tag nach der Verleihung des Goldenen Bloggers gehalten habe, machten die Teilnehmer*innen große Augen: Hauen und Stechen in der Bildungsbubble? Wie ist das gerade dort möglich? Einfach ist die Frage nicht zu beantworten, aber auch nicht besonders schwer. Es hat vor allem damit zu tun, dass einige Player ihren Selbstwert über die Diskreditierung anderer beziehen.
Eine Analyse.
Eine Vorbemerkung
Im #twitterlehrerzimmer ist vor allem seit dem sogenannten #wowdw, dem „Wow der Woche“ viel positive Energie entstanden. Endlich wieder! Alle möglichen Menschen tauschen sich über schöne Erlebnisse, großartige Ideen und Konzepte und alles aus, was sie in der Woche gut finden. Dabei geht es gar nicht darum, den innovativsten Unterricht des Monats zu präsentieren, sondern einfach ein schönes Erlebnis. Das ist enorm wichtig, tendiert die Social-Media-Welt ja grundsätzlich und vor allem in so schwierigen Zeiten zu Polemik und Hass. So muss man sich, schreibt man über ein Thema wie Kommunikation, immer gefallen lassen, dass die Frage gestellt wird: Muss das sein? Streust du nicht Salz in die Wunde? Möglich. Aber obwohl ich nicht betroffen bin, möchte ich einen Blick auf Mechanismen werfen, die die „Szene“ oftmals empfindlich stören. Und weil ich einen Blog habe und Blogger bin, blogge ich darüber.
Sensibilitäten?
Bevor es um die immer gleichen Empörungsstrategien eines kleinen Haufens von Personen geht, die ich an dieser Stelle nicht nennen werde[i], möchte ich erklären, warum ich es für nötig halte, das, was ich toxische Netzkultur nenne, überhaupt offen zu legen. Die eigentliche Pointe ist einfach und folgt als ein Appell am Ende des Artikels. Ich befasse mich damit, weil es reale Auswirkungen hat. Mir haben in den vielen Jahren, in denen die Empörungswellen nach dem immer gleichen Muster über mich und andere geschwappt sind, Leute Hinweise gegeben, wie man sie gemobbten Kindern auf dem Schulhof gibt: „Ignoriere sie, die hören dann auf.“ Oder: „Die meinen das nicht so.“ Aber das ist falsch. Das Verhalten einiger Menschen innerhalb des Bildungsdiskurses hat reale Auswirkungen, die weit über teilweise ekelhafte Kommentare hinausgehen:
- Da wird über Menschen hergezogen und es wird gedroht, dass jemand nicht an einer Konferenz teilnimmt, wenn ein anderer dabei ist.
- Da werden Menschen aufgrund eines Tweets in ihrem Menschsein herabgesetzt.
- Da werden Menschen aufgefordert, gegen andere vorzugehen.
- Da werden Menschen fallengelassen, nachdem sie mit anderen Menschen in Kontakt standen.
- Da werden Lügen erzählt, die bis hinein in eine Rufschädigung gehen.
Um es deutlich zu machen: Die toxische Netzkultur hat Auswirkungen! Auswirkungen, die ich persönlich erlebt habe und nun auch bei anderen erlebe. Das, was man als Kommunikation sieht, hat also auch im realen Leben Bedeutung. Und wenn es der einfache Fakt ist, dass eine strategisch geplante Kontroverse Menschen einfach verletzt.
Es scheint zunächst seltsam, dass das diejenigen nicht zu wissen scheinen, die sich doch eigentlich qua ihres Berufs damit befassen. Das ist aber Quatsch. Denn sie wissen es. Die Angriffe sind genauso plump, wie sie geplant und Teil eines Wunsches nach Deutungshoheit und Sichtbarkeit sind.
Kommunikationsstrategien
„Worum geht es eigentlich?“, möchte man wohl einwerfen. Ich werde dies anhand eines fiktiven Beispiels erläutern. Stellen wir uns vor, dass jemand folgenden Satz twittert:
„Habe heute eine halbe Stunde lang erklärt und die Kinder haben zugehört und danach gesagt, dass sie die Stunde toll fanden.“
Auf einen Tweet gibt es verschiedene Reaktionsmöglichkeiten, die von Interesse bis offener ad hominem Kritik reichen. Gehen wir davon aus, dass die Antworten von Menschen stammen, die eine halbe Stunde Erklärung für zu lang halten. Eine Auswahl:
-
Keine Reaktion
Nicht zu reagieren, auch wenn man etwas liest, das man möglicherweise problematisch findet, ist eine Form der Reaktion. Da sie keiner mitbekommt, ist sie die unauffälligste aller Reaktionen.
-
Zugewandte Nachfrage
Eine Form der Reaktion ist die zugewandte Nachfrage. Sie hat auch viel damit zu tun, ob sich die Menschen, um die es gibt aus der realen Welt kennen und schätzen. Dabei geht es um Klärung des Sachverhalts („Hast du nur allein geredet?“) bis zu Fragen nach dem Kontext („Was habt ihr denn danach oder davor gemacht?“).
-
Kritische Nachfrage
Eine kritische Nachfrage befasst sich immer noch mit dem Gegenstand, lässt aber deutlicher durchblicken, dass die Person nicht einverstanden ist. Die Fragen können durchaus suggestiv sein: „Findest du eine halbe Stunde Erklärung nicht ein wenig zu lang?“ Aber auch hier kann noch eine fruchtbare Diskussion entstehen.
-
Kritische Anmerkung
Die kritische Anmerkung als Kommentar unter dem Tweet (DruKo) kann zwar konfrontativ sein, muss aber nicht zu einem Eklat führen. Ein Satz wie „Das finde ich persönlich zu lange“ kann ja Teil einer Diskussion sein.
-
Kritischer Drüberkommentar
Sobald wir über kritische Drüberkommentare (DrüKo) sprechen, wechselt das Verhältnis. Es geht meist weniger darum, miteinander zu sprechen, sondern wortwörtlich übereinander. Gerade die Drükos sind also ein Mittel der fundamentalen Kritik. Aber auch hier ist die Qualität noch variierbar. Vorstellbar wäre ein DrüKo, in dem beispielsweise die vorherigen Kommentare als Kritik am Gegenstand formuliert würden.
All das führe ich hier deshalb an, um zu zeigen, wie viele Formen der Kritik es gibt und dass jene Form, die von den Vertretern der toxischen Netzkultur[ii] gewählt wird, ihre eigene Entscheidung ist. Eine bewusste, eigene Entscheidung.
Die Kommunikationsstrategie, von der ich hier rede, ist jene, einen Tweet wie den obigen als par pro toto für eine Haltung, ja, einen ganzen Menschen zu nehmen und ihm entweder seine gesamte berufliche Haltung abzusprechen oder sogar seine Fähigkeit des menschlichen Umgangs. Was, wegen eines Tweets? Ja, genau. Wegen eines Tweets.
Deutungshoheit
Denn im Grunde geht es einigen bestimmten Leuten nicht um Diskurs, Diskussion oder Austausch. Es geht um eine persönliche Profilierung auf dem Rücken anderer. Das ist durchaus strategisch, denn die Angegriffenen werden sehr fein danach ausgewählt, wie viele Follower sie haben, damit man sich in einem weiteren Schritt über die Reaktion der Blase beschweren kann. Perfide, aber durch und durch geplant und sehr genau orchestriert. Aus dem Grund kann man immer wieder dasselbe Schema sehen:
- Angriff
- Opferrolle
- Orchestrierter Gegenangriff
- Person X diskutiert tagelang weiter
Orchestriert ist das Ganze übrigens, weil natürlich unzählige Backchannels bestehen, wo dann die Leute, die für offene Kultur stehen, im geheimen besprechen, wer jetzt wie antwortet (hört sich nach Verschwörung an, ich weiß, aber „ich hab‘ da meine Quellen“. Lol!).
All das passiert vor dem Hintergrund von zwei Grundannahmen, die aber immer nur dann greifen, wenn die eigene Gruppe nicht gemeint ist:
- Es geht nur um die Sache, die verteidigt werden muss.
- Was die Sache ist, bestimmt nur eine bestimmte Gruppe.
- Allen anderen geht es um - „Choose your Fighter“ - : Reichweite, Ego, Geld.
Das ist fast schon lustig, weil das im Grunde für die meisten, die sich mit bestimmten Personen befassen mussten, absolut klar ist: Die, die z.B. am lautesten schreien, wenn es um Bezahlung von Autoren geht, verhandeln bei ihren Buchdeals am härtesten[iii]. Und das wiederum ist die perfekte Überleitung für die Paradoxien der toxischen Netzkultur im Bildungsbereich.
Paradoxien
Zunächst einmal: Keiner ist perfekt (wobei man so hört, dass ein paar Leute in ihren Internet-Grüppchen doch für sehr schlau und andere für weniger schlau halten. *Zwinkersmiley). Aber die Widersprüche, die einige Personen[iv], vor sich hertragen, sind wirklich zu gut. Eine Auswahl:
- Es wird Kritikfähigkeit von Leuten gefordert, aber wenn man selbst kritisiert wird, blockiert man Leute, stellt sie stumm oder weigert sich sogar, mit ihnen auf derselben Konferenz zu sprechen.
- Es wird eine offene Kultur propagiert, in der aber nur eine vorgegebene Meinung akzeptiert wird.
- Es wird behauptet, dass Leute den Diskurs vermeiden, aber man reagiert nicht oder nur dann, wenn es die richtige Person ist.
- Es wird behauptet, dass man gegen Tech-Unternehmen ist, aber lässt sich fürstlich von ihnen bezahlen.
- Es wird behauptet, dass diejenigen, die für die Tech-Unternehmen arbeiten, geldgierig seien, aber akzeptiert, wenn die eigenen Buddies das tun.
- Es wird gefordert, dass am Diskurs Beteiligte sich intensiver mit der Materie befassen müssen, während man selbst nach oberflächlichem Lesen zu Schlussfolgerungen kommt, die der Sache und den Personen nicht gerecht werden.
- Es wird Transparenz gefordert, aber verlagert die Diskussion grundsätzlich in die persönlichen Nachrichten.
- Es wird gefordert, dass Klarnamen genutzt werden sollten, aber der Diskussion mit „echten“ Usern wird aus dem Weg gegangen.
- Es werden stundenlange Vorträge gehalten, wie Schülerzentrierung zu funktionieren hat.
- Es wird die offene Arbeit gefordert, während man bei der eigenen Arbeit sehr genaue Kriterien anlegt.
- Es wird Fehlerkultur gefordert, die aber den Followern nicht zugestanden wird.
- Es wird Vernetzung gepredigt, während on- und offline immer nur mit denselben Leuten geredet wird.
- Es wird sich über Marketingstrategien lustig gemacht, während man diese für die eigene Sache selbst anwendet (aber immerhin: Für die Sache!).
- Es wird behauptet, dass man sich mit Kommunikation und Medien auskenne, und scheitert schon daran, einen sachlichen Umgang zu pflegen.
Und ganz grundsätzlich: Es wird Offenheit gefordert, die sich dann an der eigenen Deutung zu orientieren hat. Damit wird die Forderung zur Heuchelei.
Fazit und Appell
Ich weiß nicht, ob das Einbildung ist, aber ich meine, es gab mal eine andere Zeit. Eine Zeit, in der sich die Leute auch dann, wenn sie sich uneinig waren, austauschen konnten, ohne dass eine andere Meinung dazu geführt hat, die andere Person zu diskreditieren, auszuschließen oder sich über sie lustig zu machen.
Meine Vermutung ist, dass diese Zeit auch deshalb vorbei ist, weil einige Leute[v] nicht damit klarkommen, dass es auch andere Menschen mit Ideen gibt. Das ist sehr schade, vor allem deshalb, weil ich die sachbezogenen Gedanken von einigen Menschen immer sehr geschätzt habe, ja, davon inspiriert war. Aber ich kann mich nicht von Menschenfeindlichkeit inspirieren lassen. Mit großer Freude merke ich aber, dass in der letzten Zeit die Scheinheiligkeit und das grundsätzlich toxische Verhalten von einigen Personen durchschaut wird. Und dass es viele Menschen gibt, die irritiert sind.
Und genau das ist mein Appell, vor allem an jene, die bis hierhin noch nicht wissen, um wen es geht: Schaut euch die Accounts genau an. Schaut, ob es Unterstützendes gibt, Wertschätzendes, Hilfreiches. Es geht nicht darum, dass man nicht abkotzen könnte oder wütend sein. Und es geht auch nicht darum, dass man nicht kritisieren könnte oder etwas diskutieren. Aber wenn ein Account zur Hälfte daraus besteht, über andere herzuziehen, andere zu diskreditieren oder Menschen ihre Fähigkeiten abzusprechen. Dann sollte man das tun, was diesen Leuten am meisten auf die Nerven geht: Ihnen entfolgen und ihnen keine Beachtung mehr schenken.
Ich weiß, ich weiß: Genau das mache ich mit diesem Beitrag nicht. Aber immerhin sage ich ja nicht, um wen es geht. Aber ein kleiner Tipp für die Datensammler unter euch: Schaut euch nach ein paar Stunden mal an, wer so alles geliked hat. Und wer nicht. Dann haben wir sie umzingelt. *Zwinkersmiley.
P.S. Bei diesem Beitrag geht es mir natürlich nur um Leserzahlen und Likes. Was denkt ihr denn?
P.P.S. Wer den Hashtag nie nutzt, der ist auch nicht Teil des #twlz. Bätsch!
P.P.P.S. Die nächsten Beiträge sind wieder positiver, wertschätzender und befassen sich mit anderen Themen, versprochen.
[i] In etwa 10 Jahren, in denen ich mit und über Personen und Themen gesprochen habe, habe ich beides versucht: Die direkte Nennung und auch die Nicht-Nennung. Beides wurde mir schon vorgeworfen. Insofern muss ich mich für eines entscheiden, was ich hiermit tue. Das gute ist: Für das Verständnis ist das Wissen über die Personen egal. Die meisten werden aber wissen, wer gemeint ist – inklusive die Personen selbst, deren Strategie genau diese Form des „Non-Mentions“ ist, die angewandt wird, damit sie sich von jeglicher Verantwortung befreien können. Genau das tue ich hier auch.
[ii] Nein, ich sage immer noch nicht, um wen es geht.
[iii] Keine Ahnung, um wen es geht. Sollte sich jemand angesprochen fühlen: Nein, du bist nicht gemeint. Ich meinte jemand anderen.
[iv] Die Fußnote ist jetzt echt nur noch ein Witz.
[v] Jetzt ist der Witz alt.