Der literarische Erörterung ist seit dem Abitur 2021 eine von sechs verschiedenen Abiturformaten, die in Baden-Württemberg beim Abitur gewählt werden können(Aufgabe I A). Auch in anderen Bundesländern ist die literarische Erörterung Teil des Abiturs. An dieser Stelle geht es darum, wie man am besten vorgehen kann. Teile dieser Ausführungen sind erarbeitet von StD Michael Tinkl, für dessen Genehmigung für die Veröffentlichung ich mich bedanke. 

Anmerkung zur Aufgabe

Anders als beim sogenannten Werkvergleich, bei dem nicht nur zwei Werke miteinander verglichen werden, sondern der Vergleich sich auch unterschiedlich am Außentext orientieren kann (Außentext als eine Dimension des Vergleichsaspekts oder Außentext als Beschreibung des gesamten Vergleichsaspekts) ist bei der Erörterung eines Werks damit zu rechnen, dass der Außentext länger ist (bis zu einer Seite) und eine funktionale, keine umfassende Herausarbeitung  der dort zu findenden Thesen erwartet wird.

Das bedeutet, dass die Interpretierenden aus dem Text jene Thesen herausarbeiten müssen, die für die literarische Erörterung relevant sind. Der Schwerpunkt wird dabei nicht nur als “auf der zweiten Teilaufgabe liegend” beschrieben, sondern mit einer Prozentzahl angegeben.

Ziel der literarischen Erörterung zu einem Werk ist damit die auf sehr genauer Kenntnis des Werke basierende Erörterung, ob, inwiefern und in welcher Ausprägung bestimmte Thesen, die der Autor/ die Autorin des Außentextes formuliert, aus der eigenen Analyse heraus auf das Werk zutreffen oder nicht.

Anmerkung zu den Formulierungen

Grundsätzlich kann man wohl sagen, dass die literarische Erörterung die genaue Analyse des Außentextes und eine sehr gute Durchdringung der Werke voraussetzt. Daneben ist aber häufig die Frage, wie eine literarische Erörterung ganz konkret aussieht. Auch wenn es etwas holzschnittartig ist, kann man sich wohl merken, dass die Ausführungen aus Thesen – eigenen oder fremden -, deren Erklärungen, wenn nötig, konkreten Textbelegen und allgemeinen Schlussfolgerungen bestehen.

Dies zu üben ist fundamental wichtig, damit man weder a) vor sich hin redet noch b) eine Nacherzählung schreibt, sondern es tatsächlich schafft, eine Expertenmeinung gegenüber dem Außentext und dem Werk zu vertreten.

Eine Gedächtnishilfe ist der Gedanke daran, dass man als Experte für das Werk auf einem Podium sitzt und den Anwesenden erläutert, ob, inwiefern und in welchem Ausmaß die Thesen eines anderen, auch dort sitzenden Experten zutreffen oder nicht.

Schreibplan

„Literarische Erörterung eines Werkes“ (Aufgabe I A)

1 Was müssen Sie mitbringen?

  • genaue Kenntnis des Textes (Aufbau, Inhalt, Figuren)
  • Grundkenntnisse der Gattungstheorie
  • Kenntnis zentraler Textstellen und die Fähigkeit, sie schnell nachzuschlagen

2 Was bekommen Sie vorgelegt?

  • unkommentierte Ausgabe der Pflichtlektüren „Faust“ oder „Der Verlorene“ (in der Klausur ggf. Ihre Ausgabe); ab 2023 “Corpus Delicti” oder “Woyzeck”.
  • „Außentext“ von ca. 500 Wörtern (z.B. Sekundärliteratur, Rezension, Theaterkritik, wissenschaftlicher Sachtext)
  • zweiteilige Aufgabe zu einem zu erörternden Thema (in der Regel zu den Hauptfiguren, eventuell auch zur Form)
  • Der Schwerpunkt der Benotung liegt auf der zweiten Teilaufgabe. (20%/80%, 30%/70%)

3 Aufgabenstellung genau lesen

Lesen Sie als Allererstes gleich die zweiteilige Aufgabenstellung. Hier sind zwei Varianten möglich.

Variante 1

  • Arbeiten Sie die Argumentation des Textes heraus.
  • Setzen Sie sich mit der Position des Autors auseinander.

in diesem Beispiel erfahren Sie nicht, welches Thema Sie erörtern sollen. Eventuell hilft Ihnen der Titel des Außentextes weiter. Aber Vorsicht, manchmal ist der Titel nur bedingt aussagekräftig. In diesem Fall hilft nur eine genaue Lektüre des Außentextes, um das zu erörternde Thema nicht zu verfehlen.

Variante 2

  • Arbeiten Sie heraus, worin nach dem Literaturwissenschaftler Werner Keller die Bedeutung der Figur Gretchens für Faust liegt und wie dies begründet wird.
  • „Faust liebt die junge Frau, doch noch mehr liebt er sein Liebesgefühl.“ Erörtern Sie, inwieweit diese These Kellers zutrifft.

Bei dieser Variante wird Ihnen in der ersten und zweiten Aufgabe das Thema genannt. Halten Sie sich unbedingt an diese Vorgabe und bearbeiten Sie den Außentext entsprechend.

4 Außentext aufmerksam lesen

Markieren Sie wesentliche Aussagen. Unterstreichen Sie aber nicht zu viel.

Achten Sie auch auf die Argumentation des Autors (z.B. „weil“, „da“, „denn“).

5 Kernaussagen und Argumentation des Außentextes in Stichworten notieren

Achten Sie dabei auf die Sprechakte (Verben wie „fordert“, „kritisiert“, „bezweifelt“, „lobt“, „fragt sich“, …).

6 Gliederung für eigene Erörterung anlegen

Operatoren: meistens „erörtern“, gelegentlich: „sich auseinandersetzen“, „Stellung nehmen“

„Erörtern“ bedeutet, Argumente zu finden und diese vom Text her zu belegen, um am Ende zu einem Urteil zu gelangen. Dabei müssen immer beide Seitenbetrachtet werden.

Eine Erörterungsform (dialektisch oder linear) ist nicht vorgeschrieben. Möglich sind

  • Sammlung der Argumente in einer Pro-Contra-Tabelle (Standardform, funktioniert in der Regel immer)
  • entlang der Argumentation des Außentextes (diese aber nicht nur wiederholen, sondern erweitern, sie ggf. einschränken, ihr widersprechen)
  • aspektorientiert (verzahnt)

7 geplantes Fazit in Stichworten formulieren

erstes Urteil, kann sich beim Schreiben des Aufsatzes noch ändern (relativieren oder sogar ins Gegenteil verkehren)

8 Ideen für die Einleitung notieren

Sammeln Sie verschiedene Ideen (z.B. Aktualität, historische Dimension) in Stichworten. Wählen Sie dann die beste aus.

9 Erörterung schreiben

1 Einleitung: funktional, d.h. thematisch, passend, knapp, wesentliche Basisinformationen zu Außentext und Ganzschrift (Autor, Titel, Veröffentlichungsjahr und ggf. –ort, (falls erkannt) Textsorte), keine floskelhaften Formulierungen

2 Eine kurze Inhaltsangabe (ca. halbe Seite) mit Betonung auf der Thema ist nicht verlangt und nicht verboten.

3 Wiedergabe des Außentextes (Teilaufgabe 1): nur wesentliche Aussagen, keine Details; Begründungszusammenhänge nennen; möglichst in eigenen Worten; keine weitschweifigen Paraphrasen; nur wenig zitieren; neutral bleiben; zeigen, dass eine fremde Meinung wiedergegeben wird (z.B. Konjunktiv, aber auch andere Formen des Referierens)

4 Überleitung (zur zweiten Teilaufgabe): Erörterungsthese(n) klar und angemessen benennen, ggf. noch Begriffe klären

5 Argumentation: verschiedene Modelle (gegenübergestellt/blockweise, am Außentext entlang, verzahnt); nicht nur Handlungsoberfläche, über den Außentext hinausgehend, mit dem Lektüretext argumentieren, zentrale Aussagen belegen (Zitat oder Verweis)

6 Fazit: eigene Positionierung (Urteil), ggf. Bezug auf die Einleitung (Rahmung)

10 eigenen Aufsatz mindestens zweimal durchlesen, dabei auch auf die sprachliche Form achten

 

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