In Zeiten wie diesen sind Lehrerinnen und Lehrer die perfekten Schuldigen: Erstens kennt jeder aus der eigenen Schulzeit ein Negativbeispiel, das sich als Repräsentant für eine gescheiterte, faule Profession eignet. Und zweitens wird das massive Versagen der Bildung an den Lehrer*innen konkret. Nachdem die Pädagog*innen für die verschlafene Digitalisierung verantwortlich gemacht worden sind, sollen sie nun samstags und in den Ferien den "Stoff" nachholen. Wie immer in den letzten Monaten des Lehrerbashings zeigt sich an den Aussagen so mancher "Experten" vor allem eines: Die Ahnungslosigkeit über den Beruf. Ein Gegen-Kommentar.
Eminem lässt grüßen
Machen wir es zunächst so wie Eminem in seinem letzten Battle, also seinem Rap-Wettkampf, im Film 8 Mile. Weil er wusste, dass er an vielen Stellen angreifbar war, legte er sie dar, damit sein Kontrahent sie ihm nicht aufs Brot schmieren konnte. Hier also zunächst: Wir Lehrerinnen und Lehrer wissen, dass nicht alle gleich viel machen. Wir wissen, dass es nicht wenige Lehrer*innen gibt, denen die Digitalisierung nachgetragen werden musste und muss. Und jeder kann mir glauben, wenn ich sage: Wir sind genau so wütend über jene Kolleg*innen, die ihre Privilegien - ja, auch von denen wissen wir - nutzen, um sich auf ihnen auszuruhen.
Auch wissen die meisten, dass die Fächer nicht gleich viel Zeit brauchen (ein Problem, dem beispielsweise in Hamburg mit der Verrechnung der Stunden Rechnung getragen wird). Sowohl in der Vor- als auch in der Nachbereitung. Und wir wissen auch, dass der Beamtenstatus da nicht gerade hilfreich ist. Denn er soll gewährleisten, dass Lehrer*innen (zumindest jene, die Beamte sind) im Voraus für ihren unabhängige Lehrauftrag bezahlt werden. In der Praxis bedeutet das: Je weniger ich arbeite, desto besser werde ich bezahlt. Das ist ein systemischer Fehler. Lehrer wie Jan-Martin Klinge meinen, dass die Verbeamtung beinhalte, dass man eben auch samstags arbeiten müsse.
Wir Lehrer*innen wissen auch, dass diejenigen, die ein A13- und ein A14-Gehalt beziehen, gut bezahlt werden. Ich lasse nun die zahlreichen Wenns und Abers aus, die im Dickicht des Bildungsföderalismus zeigen würden, dass das natürlich mitnichten auf alle zutrifft. Wir halten fest: Wir wissen um die Defizite, wir sind uns ihrer bewusst, aber wir hätten uns schon vor einiger Zeit gewünscht, dass jene Lehrer*innen, die es "nicht bringen" nicht in jedem zweiten Artikel als Beispiele für die Profession herhalten. Nun lasse ich das Mikrofon fallen (in Englisch ist es schöner: *micdrop) und leite sanft zu meinem wütenden Unverständnis über.
Wissensvermittler
Früher, als ich noch ein wissbegieriger und zu jeder Zeit aufmerksamer Schüler war (so wie alle, die sich zu Wort melden und davon ausgehen, dass Lernen nur daran hängt, was der Lehrer sagt), war mir klar: Lehrer kommen in den Raum und wissen eine oder eineinhalb Stunden, was zu tun ist. Das ist ihr Job. Im Ernst. Das dachte ich wirklich. Also in dem Sinne, dass Lehrer arbeiten, wenn sie in der Klasse sind.
Nun ist das heute leicht unangenehm, aber ich war eben jung und kein Bildungsjournalist (Klammer auf, nicht alle Bildungsjournalisten sind natürlich böse Lehrerbasher, Klammer zu). Die naive Vorstellung von dem, was Lehrer*innen zu tun haben, hält sich aber durchgehend. Jede Lehrperson, die schon einmal beim nach Hause kommen von seinem Nachbarn mit den Worten: "Na, Feierabend!" begrüßt wurde, wenn er oder sie wusste, was noch zu tun ist, kann ein Lied davon singen. Und auch von der Frage, die sich jede/r Lehrer*in dann stellt: Muss ich es nochmal sagen? Muss ich es erklären? Lasse ich es so stehen? Reagiere ich sachlich, schnippisch?
Der Punkt ist: Wer meint, das Lernen Wissensvermittlung ist (ist es nicht), dass es bei Lehrern nur um diese Vermittlung geht (geht es nicht), dass Unterricht, also die didaktische Planung der Einzelteile bis hin zur Einheit vom Himmel fällt (tut es nicht) und dass es keine anderen Tätigkeiten gibt, die man als Lehrer*in zu tun hat (so ist es nicht), der kann fordern, dass Lehrer*innen samstags und in den Ferien arbeiten sollen.
Sonntags frei
Denn der für die meisten Lehrer*innen, die ich kenne, gar nicht so lustige Punkt ist: Das tun wir sowieso schon. Wann sollen wir denn sonst unseren Unterricht planen? Wann sollen wir die Bücher lesen, die wir in den Klassen lesen? Wann sollen wir Rückmeldungen und Feedback geben? Wann sollen wir die Konferenzen vorbereiten? Wann sollen wir uns fortbilden? Wann sollen wir pädagogische Gespräche führen? Wann sollen wir mit Eltern schreiben? Wann sollen wir Listen führen? Wann sollen wir Noten eintragen? Wann, zum Teufel, sollen wir korrigieren? Wann sollen wir Rückmeldungen zu den Klausuren schreiben? Wann, zum Teufel, sollen wir das tun?
Kein Wunder also, dass nach der Überschrift der Bildzeitung viele schrieben: Geil, dann haben wir sonntags frei.
Wir müssen über Inhalte sprechen
Letztlich ist die Forderung nach Samstagsunterricht und Ferienbetreuung nichts anderes als ein Störfeuer, das von den richtigen Fragen ablenkt. Denn machen wir uns nichts vor: Natürlich schaffen wir nicht all den "Stoff". Genauso wie Generationen von Schüler*innen geklagt haben, dass sie nicht denselben "Stoff" in acht Jahren hinkriegen wie in 9. Nur soweit ich mich erinnere, hörte man bei der Verkürzung von G9 auf G8 nicht, dass "Bildungsbiographien zerstört werden".
Wer am System nichts ändert, muss die darin Arbeitenden so lange dort hinein pressen, bis sie passen. Und das heißt: Natürlich ändern wir nichts an den Inhalten (MAN STELLE SICH VOR, MAN WÜRDE DIE FABEL IN DEUTSCH NICHT IN DER 7.KLASSE MACHEN! BILDUNGSARMAGEDDON!).
Wir überlegen uns einfach, wie man das bestehende System aufrecht erhalten kann, damit nichts geändert werden muss als die Lehrer*innen. Und, naja, die Schüler*innen, aber um die geht es doch in der letzten Zeit sowieso nicht wirklich, oder? Zwinkersmiley.
Helau, die falschen Fragen sind da
Mit genügend Ahnungslosigkeit darüber, was Lehrer*innen machen müssen und wie viel - bzw. wie wenig sie arbeiten -, hat man also nun endlich die zwei wichtigen Dinge für einen "Faule-Säcke"-Diskreditierungsdiskurs. Erstens, die falsche Frage: Wieso sollten die Lehrer*innen eigentlich nicht auch samstags arbeiten?
Und zweitens: Jede/r Lehrer*in, die sich wehrt, ist eine Bestätigung der These, dass Lehrer*innen zu wenig arbeiten. Kinsky-Stimme: DU WILLST DICH NICHT SAMSTAGS AUFOPFERN, DU DUMM SAU!?
Insofern ist es nur konsequent, wenn der Zentralelternbeirat in Bremen meint, dass sich das Mitgefühl für die Lehrer*innen in Grenzen halten würde. Mitgefühl. Besser kann man eine von Fakten auf falsch verstandene Moral übertragene Ahnungslosigkeit gar nicht fassen. Mitgefühl könnte man übrigens in der Tat momentan jetzt schon mit jenen Lehrer*innen haben, die nicht mehr können. Weil sie sich in der letzten Zeit so aufgerieben haben. Aber was weiß ich schon.
Anekdotische Eloquenz
Seien wir ehrlich: Eigentlich geht es darum gar nicht. Wir haben ein riesiges Problem: Eine weltweite Pandemie ist auf ein ohnehin überkommenes Bildungssystem getroffen. Das rächt sich nun. Es ist wie bei erdbebensicheren oder eben nicht sicheren Gebäuden. Diejenigen, die am wenigsten flexibel sind, stürzen als erstes ein. Der Unterschied ist: Die Debatten über die Architekten halten sich in Grenzen.
Worum es geht, ist ein Narrativ aufzubauen, mit dem die meisten Menschen was anfangen können. Und das in möglichst schöne Worte zu packen. Und das heißt: Faule Lehrer wollen nicht, deshalb geht es nicht. Und da, wie oben gesagt, jeder einen "Failed Teacher" kennt, kann man den dann gleich für die wenig konstruktiven Vorschläge nutzen. Apropos Nutzen: Der Nutzen ist 0!
Oder ist das ernst gemeint? Sollen wir am Samstag in die Schule? Denn arbeiten tue ich samstags auch so schon (falls das zwischen den Zeilen entgangen sein sollte). Was sich ändern wird, wäre in einem solchen Fall der Unterricht der restlichen Woche. Denn den kann ich dann leider nicht mehr so vorbereiten, wie ich es jetzt tue. Oder soll ich bis in die Nacht arbeiten? Ich bin halt kein Roboter. Oder doch? Das ist die Idee:
Wir setzen die Schüler*innen einfach vor Youtube. Das ist doch genau dieselbe Wissensvermittlung, die die Lehrer*innen leisten. ZWINKERSMILEY!