Ich möchte an dieser Stelle gerne bezüglich des Lernens ohne Zwang, insbesondere der Abschaffung von Noten einen kleinen Einblick in Schulart geben, in der es zumindest erst ab der 8. Klasse Noten gibt.
Ich unterrichte im Land Bremen an einer Gesamtschule - hier Oberschule genannt - (mein Referendariat habe ich an einem Gymnasium in einem anderen Bundesland gemacht und habe also auch den ganz "normalen" Wahnsinn mit Noten in allen Jahrgängen erlebt).
Bei uns werden alle Niveaus in einer Klasse unterrichtet, zumindest bis einschließlich der 6. Klasse komplett, danach werden einzelne Fächer in Grund- und Erweiterungskurse aufgeteilt. Das Prinzip dahinter ist vollkommen verständlich. Die Umsetzung funktioniert aber nicht. Ich kann nicht alle Bedürfnisse vollständig abdecken, irgendwer fällt immer hinten runter. Ich habe wirklich vom Förderkind bis zum Gymnasiasten Schüler mit unterschiedlichem Lernbedarf in einem Raum, ich selbst kann mich aber nicht zerreißen, selbst wenn ich unterschiedliches Material zur Verfügung stelle, brauchen doch alle irgendwie Hilfe. (Wegen Corona sind derzeit übrigens keine getrennten Kurse möglich, sondern es wird wieder alles klassenweise unterrichtet - sofern Unterricht stattfindet)
Nun bekommen die Kinder lange auch keine Noten. Dies führt in einem Bundesland wie Bremen - und da brauchen wir uns nichts vormachen - mit sehr hohem Migrationsanteil und einer hohen Zahl an arbeitslosen Eltern, die häufig selbst keinen oder einen schlechten Schulabschluss haben, dazu, dass die Kinder nicht unbedingt viel Sinn in „Schule“ allgemein sehen und die Eltern häufig nicht helfen können oder wollen!
Da diese Kinder nun keinerlei Konsequenzen in der Schule davon tragen, wenn sie nicht lernen (Durchfallen können sie ja auch nicht), tun sie auch häufig nichts. Natürlich sollen wir intrinsisch motivieren, aber welcher Jugendliche besitzt die ganz große Motivation zu lernen, wenn zu Hause alle vor dem TV sitzen? (Klar, das ist das Extrembeispiel und verallgemeinert - wir haben auch andere Schüler)
Ich kann nachvollziehen, warum viel an Noten gemeckert wird, aber hier hat die Abschaffung dazu geführt, dass meine Klasse, die dieses Halbjahr zum ersten Mal Noten bekommen hat, zu 61% mit der Prognose nach Hause geht, in zwei Jahren keinen Abschluss zu bekommen. Faktisch würden diese Schüler mit den gleichen Ergebnissen nächstes Halbjahr sitzen bleiben, wenn das ginge. Dies wäre für viele ein Grund, doch etwas mehr Energie in die Schule zu investieren, will man doch bei den Freunden in der Klasse bleiben.
Ich habe die Schüler oft gefragt, ob sie lernen würden, wenn sie sitzen bleiben könnten - die klare Antwort: zumindest eher!
Ich wollte damit nur mal aufzeigen, wie es an Schulen läuft, die keine Noten haben. Ich dachte anfangs auch: voll toll, dann haben die weniger Druck, aber nach ein paar Jahren hat sich einfach Ernüchterung eingestellt. Das mag natürlich auch an anderen Schulen oder in anderen Bundesländern besser laufen, aber ich sehe jedes Jahr viele Schüler ohne Abschluss die 10. Klasse beenden und das obwohl viele doch so schöne Träume für die Zukunft hätten.
Ich bin einfach der Meinung, intrinsische Motivation ist wünschenswert, aber ohne extrinsische Motivation wird es gerade in Pubertät schwer. Und ein Jahr zu viel verpasst, wird es eben auch schwer, das alles wieder aufzuholen.
Ich wüsche mir auch ein Schulsystem, in dem die Schüler viel mehr im Mittelpunkt stehen, aber wir dürfen nicht vergessen, dass Kinder und Jugendliche auch oft noch nicht wissen, was das Beste für sie ist und selbst wenn sie es wissen, häufig bei der Umsetzung Schwierigkeiten haben. Auch das ist ein Lernprozess.