Zunächst muss ich ehrlich sagen, dass mir der Zugang zum neuen Schwerpunktthema nicht leichtgefallen ist. Die romantische Epoche ist mir zu oft künstlich, zu mystisch, zu prätentiös. Und obwohl Der goldene Topf neben Faust und Der Steppenwolf der kürzeste Text der neuen Abiturthemen ist, fiel mir eine Aneignung schwer. Eine solche braucht es aber für jeden Text, denn ohne einen Haken, den man in den Text schlägt und sich so irgendwie darin verankert, fällt es brutal schwer, diesen zu analysieren. Einen Zugang fand ich schließlich bei einer Interpretation des Germanisten Jochen Schmidt[1], den ich noch aus meiner Zeit als Freiburger Student kenne. Der Text[2]ist erkenntnisreich – aber gleichsam so schwierig, dass ich hier einige wichtige Stellen herausarbeiten, kontextuieren und ggf. erläutern möchte. Es sei angemerkt, dass diese Erläuterungen nur jenen etwas bringen, die schon die Grundlagen erarbeitet und verstanden haben.  

Neben ein paar neuen Erkenntnissen bringt diese kurze Beschreibung einige handfeste Formulierungen eines renommierten Germanisten, die sich nicht schlecht in einer Klausur machen – sofern man sie verstanden hat und sie erklären kann. 

Schon der Titel von Schmidts Abhandlung ist erkenntnisreich. „Der goldene Topf“ sei ein „Schlüsseltext der romantischen Poetologie“[3]. Präzise wird hier die Deutungshypothese auf den Punkt gebracht. Das Märchen ist nicht nur ein mystisch-träumerischer Text, sondern birgt eine zusätzliche Bedeutungsebene. Von Poetologie spricht der Germanist, wenn es darum geht, das eine (literarische) Epoche bestimmte Aspekte für notwendig erachtet, um den Text als passend zu beurteilen. Sie ist gewissermaßen das Programm, nach dem sich alle, die sich einer Epoche, Bewegung oder Gruppe verschrieben haben, halten müssen (Variationen sind erlaubt, mal mehr, mal weniger).

Die Anfangsthese wird damit untermauert, dass Schmidt den Zusatz von Hofmanns Märchen – in der „neuen Zeit“ – als bewusst gesetztes Zeichen setzt, „die tiefe Kluft zwischen der vom Märchen repräsentierten Poesie und dem realen Leben“[4]zu schließen. Das ist – nochmals –  erkenntnisreich: Wir haben es also mit einem Märchen zu tun, dass neben seinem Charakter als Märchen auch mehr ist und dies auch explizit erklärt.

Nun ist es nicht verwunderlich, dass ein literarisches Erzeugnis neben seiner Intention – also dem Wunsch des Autors, was der Text bewirken oder wie er wirken soll – auch eine gewissermaßen „geheime“, über den konkreten Text hinausgehende Bedeutung hat. Hier aber, so Schmidt, scheint geradezu eine Abhandlung über den Prozess der poetischen Aneignung (also dem Weg von jemandem, der realistisch und weltzugewandt ist zu jemandem, der das träumerische, das sich in der Literatur verbirgt, kennenlernt). Damit ist Hoffmanns Märchen mehr als ein vielschichtiges Märchen – es ist die Bewusstwerdungsgeschichte eines Dichters aus der romantischen Perspektive.[5]

Für Schmidt ist der Archivarius Lindhorst eine „perspektivierende Leitfigur“[6]. Was bedeutet das? Das Märchen zieht, wie oben beschrieben, eine Verbindung zwischen irrealer, märchenhafter Welt und der Welt des (fiktiv präsentierten) Realen. Lindhorst verbindet diese beiden Welten als Figur. Und zwar, indem er auf der einen Seite ein Archivarius ist, ein Bibliothekar also, der die literarischen Schätze der Dichtkunst aufbewahrt und so die Möglichkeit hat, den Studenten Anselmus an diese heranzuführen.

Was auch im Unterricht immer wieder eine Rolle spielen dürfte, ist, dass die Novelle „durch ein konsequent durchgeführtes entwicklungsgeschichtliches Schema zum epischen Prozess geformt“[7]worden ist. Das bedeutet, dass die Geschichte des ungeschickten Anselmus, der durch seine sensible Wahrnehmung der Umwelt das Talent besitzt, das Außergewöhnliche zu erkennen, auch eine Geschichte des Älterwerdens ist. Das ist der Anknüpfungspunkt, den dieses Märchen an die Welt der Jugend hat.

Man darf es sich nicht so einfach machen und denken, dass damit die Brücke zu heute geschlagen ist. Aber dennoch ist hier eine allgemeine Erfahrungswelt. Die Welt eines jungen Erwachsenen, der seine Leidenschaft findet, Liebschaften erkundet, sein Heil im Alkohol sucht und vor sich hinträumt. All das dürften Beschäftigungen sein, die in einem bestimmten Alter universellen Anspruch haben.

Und auch das, was Schmidt in seinem Text „poetische[s] Initiationserlebnis“[8]nennt, dürfte vielen jungen Menschen bekannt vorkommen, zumindest dann, wenn sie etwas finden, das ihnen Bedeutung schenkt. Es beschreibt den Punkt, an dem jemandem klar wird, dass man seine Berufung gefunden hat. Diese muss freilich nicht im Dichten und Denken liegen. Aber das Erlebnis dieses Findens ist eben diese wunderbare Erfahrung, die auch hier gemacht wird. Allerdings ist diese Initiation kein abgeschlossener Prozess – im Gegenteil.

In der Novelle befindet sich die märchenhafte Welt und die profane Welt des bürgerlichen Lebens im Widerstreit. Anselmus ist, wie auch Schmidt bemerkt, zunächst unfähig, sich gegen diese Spannung zu wehren und ist mal hierhin, mal dorthin gerissen.[9]Erst durch seine Arbeit und durch das Meistern dieser gelangt er zur Erkenntnis, welche Welt seine eigene ist.

Die Strukturmerkmale der Märchengattung, die auch in diesem Text eine Rolle spielen, seien an dieser Stelle beiseitegelassen. Es sei dennoch darauf verwiesen, dass Hoffmann den Werdegang von Anselmus, wie er zuvor beschrieben wurde, künstlerisch mit den Merkmalen des Märchens verbindet.

Im Folgenden argumentiert Schmidt weiter hinsichtlich eines Prozesses, der aus Anselmus einen Dichter macht. Es gehe sogar darum, dass er im Laufe der Novelle zu einer höheren Bewusstseinsstufe gelange.[10]Auf die genaue Beschreibung der Aufschlüsselung wird hier verzichtet, um den Artikel nicht zu lang werden zu lassen. Eventuell erfolgt eine Weiterführung.

Bis dahin sei festgehalten, dass das Märchen von Anselmus also mehr ist, als es zunächst vermuten lässt. Es ist die Geschichte einer aktiven Aneignung der Kunst, ein Prozess des Erwachsenwerdens und die Entwicklung eines jungen Mannes, der den Widerstreit zwischen bürgerlicher und träumerischer Welt durch die Erkenntnisse löst, die seine dichterische Tätigkeit ihm bietet.

Insofern bietet die Novelle einen vielschichtigen Interpretationsraum, der nachvollziehen lässt, warum die Novelle es auf zum Sternchenthema im Abitur gebracht hat.

[1]Es ist wenig überraschend, dass sich die Lehrerhandreichungen (und sehr wahrscheinlich auch die Lektürehilfen auf genau diesen Text beziehen).

[2]Jochen Schmidt: Der goldene Topf. Ein Schlüsseltext der romantischen Poetologie. In: Günter Saße (Hrsg.): E.T.A Hoffmann. Romane und Erzählungen. Stuttgart 2004.

[3]Ebd. S.43.

[4]Ebd.

[5]vgl. Ebd.

[6]Ebd.

[7]Ebd. S.45.

[8]Ebd.

[9]Ebd. S.46.

[10]Vgl. Ebd. S.52.

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