Auf Twitter ist eine Diskussion entbrannt, in der es darum geht, inwiefern eine Mutter eines 5.Klässlers diesem ein Smartphone kaufen sollte, damit er an den “kulturellen” Inhalten teilhaben kann. Besonders schwierig erweist sich dabei die Frage, welches Alter überhaupt das richtige ist. Ein Kommentar. 

Eine Vorbemerkung

Zunächst einmal sind mit drei Dinge wichtig:

  1. Auf die Frage, welches Alter das richtige ist, um ein Smartphone zu haben, habe ich keine Antwort.
  2. Die kritische Reflexion über “Gefahren” der Smartphonenutzung spricht für mich nicht gegen, sondern für eine Nutzung der Geräte im Unterricht.
  3. Ich habe weder die Intention, noch irgendeine Art von bewusstem Programm, dass mich dazu bringen würde, so zu argumentieren, wie ich es tue. Würden alle Schülerinnen und Schüler glücklich, bewusst und funktional ihre Handys nutzen – ich würde es mit Freude begrüßen.

Überraschende Gespräche

Nachdem ich in der 6.Klasse einige Fragen zur Smartphone-Nutzung gestellt hatte, die mich insofern überraschten, als dass hier junge Schüler*innen reflektierten, dass sie sich gegen den Drang, ans Handy zu gehen, nicht wehren könnten, beschäftigte mich dieses Thema weiter. Dabei waren es vor allem die nebenbei bemerkten Äußerungen, die mich überraschten.

Einige Beispiele: In meinem Kurs gab, um essayistische Schreibformen einzuüben, die Aufgabe, aus der Sicht des Smartphones zu schreiben. Weder gab ich eine Perspektive, noch eine Wertung vor. Die (sehr interessanten) Textstücke waren so negativ, zeichneten ein so abhängiges Bild vom Nutzer (also den Schülern selbst), dass ich nachhakte. Ein Schüler erklärte mir, dass er sich erst am vorherigen Tag regelrecht “vergewaltigt” vorgekommen sei. Auf die Frage warum, antwortete er, dass er oftmals das Gefühl habe, dass er sich durch die Technik um ihn herum einschränke.

Vor ein paar Tagen hatte ich die Möglichkeit, mit einem anderen Oberstufenschüler bei einem schulischen Spaziergang zu sprechen. Es ging zunächst nicht um Smartphones, sondern um Lernen. Offen gestand mir der Schüler (der mir versprach, seine Sicht der Dinge aufzuschreiben), dass er oft zu faul sei, um zu lernen. Ich fragte danach, warum er dies reflektieren könne, aber nichts dagegen tue. Darauf erst kam die Antwort auf die technischen Möglichkeiten. Er schaue manchmal so viele Videos hintereinander an, dass er danach keine Zeit mehr habe. Und er ärgere sich darüber. Weiter meinte er: Er wünschte, er wäre in einer anderen Generation geboren, in der man gar nicht erst die Möglichkeit hätte, die Technik so zu nutzen, wie wir es tun.

Natürlich kann ich nicht klären, inwiefern dieser Schüler etwas sagte, von dem er vielleicht dachte, dass ich es hören wollen würde. Aber ich bin, wenn überhaupt, als Lehrer als jemand bekannt, der versucht digitale Medien in den Unterricht zu implementieren.

Die dritte Erfahrung, die mich irritierte, war das Essaythema für eine Vorabiklausur, zu dem ich das Material stellte (hier als PDF anzuschauen). Essaythema Digitalisierung

Ich hatte, so dachte ich, die Möglichkeit gegeben, verschiedene Facetten der Digitalisierung oder der digitalisierten Welt zu besprechen, sowohl positive als auch negative. Die Schülerinnen und Schüler, die darüber schrieben, blieben aber sehr bei sich. Mehr noch: Das gezeichnete Bild war das von Autonomieverlust, Ängsten, Neid und Druck. Und einer zunehmenden Oberflächlichkeit.

Auch hier gilt: Ich weiß nicht, inwiefern das, was geschrieben wurde, in dem Willen geschah, mich als Lehrer zu beeindrucken. Jedoch bin ich der festen Überzeugung, dass Schülerinnen und Schüler mich als jemanden kennenlernen, der verschiedene Meinungen zulässt, solange nachvollziehbar, sprachlich korrekt und differenziert argumentiert wird.

Um weitere Meinungen einzuholen und für den Workshop, den ich für Kolleginnen und Kollegen gab, fragte ich Schülerinnen und Schüler aus der Medien-AG. Endlich kamen jene Antworten, die wir als Medienpädagogen so gerne als Beispiele nehmen: Kommunikation, Austausch, Feedback der eigenen Arbeit. Aber auch hier: Eine Schülerin gab an, das Handy auch dann zu nutzen, wenn sie es gar nicht wolle.

Auch auf YouTube fragte ich danach, inwiefern für Schülerinnen und Schüler das Netz und die Nutzung des Smartphones eher positiv oder negativ behaftet ist. Die Antworten waren durchaus unterschiedlich, hier eine Auswahl.

Ich würde mein Handy manchmal einfach aus dem Fenster werfen, weil es schlimm ist, wenn man etwas vorhat und sich dann doch wieder am Handy findet. Es ist erschreckend, wenn man manchmal auf einem Schulhof einer Grundschule sieht, wie selbst dort schon Kinder Handys haben.

Ich bin eigentlich kein Mensch der Kommentare schreibt, aber das Thema ist doch sehr aktuell. Ich schreibe im Moment Abi und muss sagen: Ja, manchmal fängt man an “nur mal kurz zu schauen”, was es denn so Neues gibt und schwupps sind 3 Stunden weg und man denkt sich ,,Heilige Muter Maria, so war das nicht geplant”. Es ist einfach so viel verlockender. Das Problem ist das schlechte Gewissen, das damit einhergeht. Was die Inhalte angeht: Ich glaube, man kommt nicht daran vorbei Dinge zu sehen, die man nicht unbedingt sehen wollte (alleine durch den Clickbait im harmlosen Fällen). Meine kleine Schwester (11) hatte da schon schlimmere “Erfahrungen”, schließlich ist man ja doch neugierig, was diese oder jenes heißt, was in den Kommentaren stand. Ich glaube auch nicht, dass es EIN allgemeines Alter geben kann. Es gibt Kinder, die benehmen sich mit 9 schon erwachsener als so manch einer in den YT- Kommentaren. Wichtig sind meiner Meinung Aufklärung, und zwar richtige. An meiner Schule hat es ITG. Das war so ziemlich das unnützlichste, was ich erlebt habe. Es wurden keine Skills erlernt und auch kaum Warnungen ausgesprochen, stattdessen haben wir den Lehrern z. T. beigebracht wie man ne PP-PRÄSENTATION macht. I mean really?!? Grüßle von einem Abiturient

Was erstaunlich an diesen Kommentaren ist, ist die Tatsache, dass reflektiert wird, dass etwas getan wird, dass man eigentlich nicht möchte. Denn wenn der “Kulturzugang” so gewinnbringend wäre, wir wir ihn gerne hätten: Wieso sollten die Jugendlichen schlecht fühlen?

Wurmlöcher

Darauf gibt es freilich verschiedene Antworten: Man könnte sagen, dass das ständige Einreden, dass Handys und deren Nutzung schlecht sein, dazu führen, dass sich die Kinder, die es nutzen, auch wirklich schlecht fühlen. Das mag in manchen Fällen stimmen. In anderen aber nicht, und das aus einem bestimmten Grund.

Ich bin kein Freund davon, die “gute alte Zeit” mit der heutigen auszuspielen. Eine Welt, die verbunden ist, Menschen, mit denen man reden kann – all das kann sehr schön sein. Aber dennoch bin ich der Überzeugung, dass Menschen in ihrem Leben Sinn und Bedeutung finden möchten, um sich wohl zu fühlen, um dem eigenen Leben ein Ziel zu geben.

Wenn dieser Sinn und diese Bedeutung erlangt wird, indem man Computerspiele spielt oder Videos schaut, dann ist das nichts, dass man als Erwachsener kritisieren müsste. Und da sprechen wir nicht von den produktiven Dingen wie Musik zu machen, zu coden, mit anderen zu spielen usw. usf.

Wenn aber die Erfahrung, die viele Kinder und Jugendliche machen, ist, dass sie Dinge tun, die sie rückwirkend nicht als erfüllend ansehen, nicht als sinnstiftend und nicht als gewinnbringend, wer sind wir dann, zu sagen, dass sie gefälligst Smartphones nutzen sollten?

Mittlerweile gibt es verschiedene Metaphern für Smartphones. Dem “Kulturzugangsgerät” stellte ich den “Weltaneignungsassistenten” gegenüber. Beide Metaphern dienen der Perspektivverschiebung; sie machen klar, dass das, was mal ein Telefon war, mehr ist.

Eine weitere Metapher, die ich immer öfter verwende, ist die des Wurmlochs. Smartphones sind Wurmlöcher, weil sie es schaffen, Zeit, Ort und Raum in das Jetzt zu bringen. Und das kann sehr produktiv sein.

Es kann aber eben auch sein, dass am anderen Ende des Lochs Tausende Ingenieure daran arbeiten, dass der Nutzer nicht wieder zurück kommt. Und wenn es so viele Menschen gibt, die dies auch so sehen und genau so reflektieren, dann sollten wir uns darüber Gedanken machen, wie man damit umgeht.

4 Kommentare

  1. Das ist doch klar, dass das Kulturzugangsgerät als solches gelernt werden muss, damit es nicht ein Wurmloch wird. Das finde ich schon beinahe banal. Trotzdem, es muss offenbar gesagt werden. Ich kenne auch solche Teenies, aber v.a. auch Erwachsene, die sich im Wurmloch wiederfinden und zum ersten Mal feststellen, was deine Schülerin festgestellt hat: Huch, da muss man ja was anderes wollen (und nicht nur vorhaben). Das zu lernen ist gewiss heute schwerer als früher, wo es nix gab. Aber auch das ist schon banal. Entropie halt. Je komplexer, desto schwierig.
    Wichtig wichtig wichtig wäre jetzt von einem wie dir zu hören: Was braucht es deiner Meinung nach, damit für jeden (Allgemeinbildung!) statt Wurmloch Kulturzugangsgerät sei? Und wie geht es?
    Die Zeit des Staunens über die Möglichkeiten der Geräte ist vorbei. Auch die Zeit, nur Fragen zu stellen.

    • Zu deiner Aufforderung: Ja, das stimmt. Ich hoffe, dass ich das zu leisten im Stande bin. Gerade die Antworten dauern oft länger als die Fragen. Ich bleibe dran. Deine Frage des Wollens ist zentral. Und ja: Das Wollen impliziert die Freiheit, das Wollen in eine Handlung zu überführen. Ich – wir – sind noch nicht am Ende.

  2. Wie ich schon angetönt habe: Ich finde den Frame recht eindeutig. Wenn ich Aufsätze lese, die zu ähnlichen Fragestellungen wie den erwähnten geschrieben werden, dann kommen auch viele negative Eindrücke. Da zeigt sich ein Diskurs, den du hier auch weiterschreibst – in dem Ablenkung, Oberflächlichkeit, Belastung die Perspektive darstellen, aus denen Smartphones betrachtet werden.
    Nehmen wir das Lernen: Meine Vermutung ist, dass dein Gespräch mit den Schüler*innen dazu aus der Perspektive des schulischen Lernens stattfindet. Um die positiven Aspekte zu hören, müsste man fragen: »Was habt ihr in den letzten Monaten mit dem Handy alles gelernt? Wen habt ihr kennen gelernt? Erklärt mir, was für euch an der Smartphone-Nutzung faszinierend ist.« Und dann könnte man sagen: Und wie verhalten sich jetzt die positiven zu den negativen Erfahrungen?
    Oder kürze: Die Jugendlichen fühlen sich schlecht, weil sie von Erwachsenen beurteilt werden, die Jugendkultur nicht als Kultur ansehen. Es ist ja bezeichnend, dass du keinen einzigen konkreten Inhalt in deinem Blogpost erwähnt hast. Implizit werden alle medialen Erfahrungen, die Jugendliche machen, ohne genauere Prüfung als Ablenkung, als Zeitverschwendung, als etwas, was sie eigentlich gar nicht wollen, dargestellt.
    Wir müssen offenere Diskurse schaffen. Sicher ist die Reflexionsebene, die du mit den Schülerinnen und Schülern anstrebst, enorm wichtig. Aber da geht noch mehr, denke ich.

    • Du sprichst viele wichtige Punkte an. Ja, da geht noch mehr. Ja, ich denke auch, dass es der falsche Ansatz ist, alles, was Jugendliche machen, aus der Perspektive eines normativen Verständnisses zu beurteilen (by the way: Das ist einer der Gründe, warum ich dein Bücher zur “Generation Social-Media” nicht nur schätze, sondern genau diese These auch in Workshops erwähne). Was ich weder glaube noch denke ist, dass ich an einem Negativ-Diskurs weiterschreibe. Es ist einfach eine Dimension, von der ich denke, dass man sie thematisieren muss. Und nun kommt der Knackpunkt: Nicht, weil ich denke, dass bestimmte Handlungsweisen schlecht sind (auch wenn es zweifelsohne solche gibt), sondern weil ich von Kindern höre, dass sie sie selbst als negativ betrachten. Nachgefragt, warum, sagen sie eben nicht, dass sie hätten (für die Schule) lernen müssen, sondern dass sie nach einer bestimmten Zeit am Handy, die auf YouTube verbracht wurde, nicht das Gefühl haben, etwas selbst gemacht zu haben. Aber du hast Recht: Die positiv formulierten Fragen, die du stellst, sind extrem wichtig und vervollständigen ein Bild, dass man nicht einseitig sehen sollte. Darum werde ich mich kümmern: Das Ziel, selbstständiges, digitales, gemeinsames Arbeiten, dass die Türen der Schule öffnet, zu forcieren, ist ja (mit den uns bekannten Differenzen) auch meins. Ich lese (für meinen Geschmack) nur zu wenig von denjenigen Artikeln, die sich ernsthaft mit den “Nachteilen” befassen, die die Kinder und Jugendlichen selbst sehen (und damit meine ich nicht die spitzeresken Panikmachartikel).

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