Liebes Theater,

es muss mich schon jemand schubsen, damit ich Dir endlich wieder schreibe. Es muss schon jemand eine Parade machen, keine mit viel Szenerie, keine Schminke und die Musik muss man sich denken. Die #blogparade drängt mich, dir wieder „Hallo“ zu sagen. Ich wurde in die Ecke getrieben durch Tipps, wie ich über Dich schreiben soll. Aber eigentlich will ich nur das eine von Dir.

Vielleicht erinnerst du dich an mich: Ich war der, der hinten in einer der letzten Reihe saß, als du dich preisgabst als kleine Wirklichkeit. Ich atmete still, um Dich ganz zu hören. Damals wollte ich Dich erleben wie einen Wein, bei dem es egal ist, ob er die Wahrheit trägt – er soll schmecken. Damals hast du dich nicht verkleidet als Original, nicht angebiedert als neues social-media Projekt. Damals wolltest du mich, uns dabei haben. Du wolltest mir nicht ins Ohr schreien, wie schön Du bist. Leinwände, auf denen was anderes läuft, was man aufnehmen muss, denn man muss ja aufnehmen in der heutigen Gesellschaft – Theater ist multitaskingfähig. Wir nicht.

Nein, meine Liebe. Wir hatten das doch anders geplant. Noch bevor ich Dich kannte, las ich über Dich, wusste, dass es Dich gibt. Die Großen sagten, dass man gereinigt sei, wenn man Dich sieht. Und selbst dann zögerte ich noch und als ich es schaffte und dachte: „Man, das ist es also, da sind die Schauspieler, da sind die Masken“ – ja, da war ich erst in der Garderobe und aß ein Lachsbrötchen.

Nein, meine Liebe. Das ist es nicht, was wir mit Dir wollen, was ich mit Dir will. Ich will die Augen nur kurz aufmachen und nichts anderes sehen als die kleine Wirklichkeit, die wir nicht aussprechen. Ich will keine roten Schals und meinen Mantel schwingen und die perlmuttglänzenden Ohrringträger um den Champagner beneiden.

Natürlich haben wir uns ein paar Mal gesehen. Zurück in die Zukunft zeigtest du Orwell, im Kreis um dich herum sahen wir Manns Familie den Bach herunter schwimmen. Aber wo sind die Stücke, die für dich geschrieben werden? Die, die es schon Jahrhunderte gibt und die sich nicht anbiedern müssen und keine nackten Menschen schreiend über die Bühne rennen müssen, so dass jeder das Genital bestaunt und mit Blut, viel Blut und die Bühne zerbricht und ein Videowürfel alles aufnimmt und eine Live-Übertragung dafür sorgt, dass wir dich lieben, lieben, lieben.

Es musste mich schon jemand schubsen, damit ich über dich schreibe. Denn du bist eigentlich gar nicht so schlimm wie alle denken. Du musst nicht mehr zeigen, als die kleine Wirklichkeit. Du drängst nicht in die Ecke, sondern öffnest Räume. 10 Tipps für den Umgang mit dem Theater: 1-10: Genießen. Aber eigentlich will ich nur das eine von Dir. Ich will, dass du Dich wieder ausziehst, ohne dass die Schauspieler dies tun müssen. Ich will Dich so sehen, wie wir uns kennen lernten.

Ja, meine Liebe, wenn du das schaffen würdest, dann wäre ich gerne wieder bei dir. Ohne Ohrringe und Mantel – und nur ganz vielleicht mit einem Lachsbrötchen. Und dann würde ich herausgehen und mich fragen, ob dies nicht vielleicht mehr war als ein kleines bisschen Wirklichkeit.

Ich freue mich, von Dir zu hören.

Dein Kritiker und Geliebter.

4 Kommentare

  1. Lieber Bob, vielen Dank für Deine schönen poetischen Worte. Wir sind sicher, dass Du Deine alte, neue Geliebte – das Theater der reinen Schauspielkunst ohne fette Tünche – auch mal wieder treffen wirst, wenn Du sie suchst. Wir haben (und hatten) auf jeden Fall einige Inszenierungen davon im Programm. Wir versuchen immer, dem Stück gerecht zu werden, fragen, egal, ob Klassiker oder zeitgenössischer Autor, was es hier und heute mit uns zu tun hat und versuchen dies durch die Inszenierung zu zeigen. Lass Dich doch mal wieder darauf ein … Viele Grüße aus dem Theater Heilbronn

  2. Lieber Bob Blume,

    ein sehr schöner Beitrag! Mir gefallen vor allem deine Tipps 1-10 fürs Theater: Genießen.
    Es ist nur ein simples Wort, aber eines das im Budenzauber der Hochkultur schnell in Vergessenheit gerät. Bei allem Anspruch, bei aller Kunst, bei allem Schön- und Innovationsgeist: Ein Theaterbesuch muss ein Genuss bleiben. Dafür braucht es meist nicht viel. Es braucht keine Videoinstallationen, es muss nicht sieben Stunden dauern und es braucht keine kopulierenden Nackten auf der Bühne. Manchmal braucht es einfach nur Theater. Einfach nur reines Theater. Eine Bühne und Schauspieler und einen Text. Lass dich nicht verprellen von Inszenierungen, die an dir vorbei rauschen und dich nicht berühren. Ich denke, dass jeder der ein wenig Ausdauer mitbringt, seine Art von Theater finden und genießen kann. Das dieser Tage viel gelobte Berliner Gorki Theater scheint mir ein geeigneter Ort dafür. Ich sah zuletzt das Erfolgsstück Verrücktes Blut, eine Übernahmeproduktion des Ballhaus Naunynstraße. Eine Bühne, ein paar Schauspieler und ein paar Platzpatronen. Mehr brauchte es nicht. Theater, wie es sein soll. Ohne Verkleidung.

    • Danke für den netten Kommentar. Ich bin gespannt, was das Theater Heilbronn bei der ENRON-Premiere zeigen wird. Freue mich drauf. Bis hoffentlich bald.

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