In der Schule werden immer wieder Dinge gefordert, zu denen es – aus meiner Sicht – keine ausreichenden Informationen gibt. Die sogenannte Argumentationsstruktur ist ein glänzendes Beispiel, da diese zwar in Analyse immer wieder als wichtiger Bestandteil eingefordert wird, aber die Informationen dazu nebulös erscheinen. Hier der Versuch einer Aufklärung. 

Hinweis für Lehrkräfte

Aufbauend auf diesem Artikel gibt es nun ein Materialpaket zur Textanalyse auf Eduki. Hier werden Texte nach dem hier dargestellten Muster analysiert, didaktisch aufbereitet und im Sinne eines zeitgemäßen Unterrichts aufbereitet.

Zum Materialpaket

Disclaimer

Da, wie schon im Teaser beschrieben, wenige Informationen im Netz zur sogenannten Argumentationsstruktur zu finden sind (und auch waren, als ich ein Video zu dem Thema gedreht habe), ist das, was ich hier präsentiere, nicht wissenschaftlich abgesichert, sondern aus meiner Unterrichtserfahrung erwachsen. Die Informationen sind sowieso immer ohne Gewähr, aber hier sei darauf besonders hingewiesen.

Ich habe allerdings den Standpunkt, dass auch ein solcher Ansatz erfolgreich sein kann, wenn er a) dazu führt, dass Schüler:Innen den Sachverhalt überhaupt verstehen und b) die daraus folgenden Ausführungen sich verbessern.

Was Argumentationsstruktur nicht ist

In den meisten Ausführungen zur Argumentationsstruktur geht es darum, dass man a) herausfinden soll, um welches Argument es sich handelt und b) wie dieses Argument aufgebaut ist. Das ist grundsätzlich möglich und kann hilfreich sein, aber dabei handelt es sich im Grunde nicht um die Argumentationsstruktur des Textes, sondern eben jenes Textteils, aus dem das Argument besteht. Hierbei spreche ich von der Argumentationsstruktur im Kleinen:

Die argumentationsstruktur im kleinen ist die herausarbeitung – also die analyse – der bestandteile einzelner argumente innerhalb eines grösseren textes

Man sieht also das andersherum, was man machen muss, wenn man selbst Argumente verfasst und diese sich noch sehr nah an dem bekannten Schema “Behauptung, Begründung, Beleg” orientieren. Damit hat man aber noch keine Struktur verfasst, die den Text als ganzen meint.

Was Argumentationsstruktur ist

Die Argumentationsstruktur bezieht sich auf den ganzen Text (oder eben auf jene Textteile, die analysiert werden sollen).

Die argumentationsstruktur im grossen ist die herausarbeitung – also analyse der struktur der einzelnen argumente untereinander innerhalb des Textes

Das Wort “untereinander” ist hier nicht im chronologischen Sinne gemeint, sondern im Hinblick auf die Beziehung zwischen zwei Argumenten. Ein Argument könnte beispielsweise auf ein anderes hinweisen, und so eine dienende Funktion haben. Damit wir uns aber nicht zu sehr im Vagen aufhalten, hier ein konkretes Beispiel, dass ich auch in dem Video bespreche.

Beispiel einer Argumentationsstruktur

Primärtext

Hier zunächst ein Teil einer Kolumne von Sascha Lobo zu den Coronamaßnahmen Anfang des Jahres 2021:

Ein großer Teil der deutschen Regierungspolitik unterschätzt die Vollheit der Schnauze der Leute, die weder Corona verharmlosen noch gegen wirksame Schutzmaßnahmen sind. Leute, die eine Pandemie-Politik und eine Corona-Kommunikation erwarten, die den Möglichkeiten dieses reichen, eigentlich gut funktionierenden Landes halbwegs gerecht wird. Die sich inzwischen fast ein Jahr größtenteils bereitwillig in die oft schwierigen, manchmal katastrophalen Gegebenheiten fügen – und die jetzt wirklich, wirklich kochen. Zu Hause, weil Gastro zu, und vor Wut, weil Dilettantismus. Der brodelnde Zorn speist sich nicht nur, aber doch zentral aus drei zentralen Absurditäten:

  • die für zu viele Menschen gar nicht mehr nachvollziehbare Unlogik, warum und wo was erlaubt und was verboten ist,
  • die unzureichende Kommunikation mit der Öffentlichkeit,
  • das Gefühl, als seien lange – und vielleicht sogar noch immer – Parteigeklapper, hierarchischer Stolz, Kleingeistigkeit und Kurzsicht die bestimmenden, politischen Maßgaben zu vieler mächtiger Personen gewesen und als wäre deshalb viel wertvolle Vorbereitungszeit verloren worden.

Argumentationsstruktur: Notizen

Als derjenige, der die Argumentationsstruktur herausarbeiten soll, geht es nun also darum, den Text in seine Bestandteile zu unterteilen, um dann herauszuarbeiten, wie diese zusammenhängen. Im Folgenden könnte dies so aussehen:

  1. These: Regierung unterschätzt Wut
    1. Beschreibung/ Umschreibung bestimmter Leute
  2. Überleitung
  3. These: Absurditäten
    1. Unlogik
    2. Unzureichende Kommunikation
    3. Gefühl der Unzulänglichkeit der Verantwortlichen

Einige der Punkte beziehen sich schon auf weitere Textteile der Kolumne, die online nachgelesen werden kann. Aus diesen Notizen können sich dann Formulierungen ergeben, die den Text in seinen Bestandteilen erfassen. Je nachdem, ob es sich um wichtige Teile handelt, können dann entsprechend Textteile zitiert werden.

Argumentationsstruktur: Formulierung

An dieser Stelle könnten die beiden oberen Teile so lauten:

Sascha Lobo beginnt, indem er die Wut der Menschen gegenüber der Regierungspolitik beschreibt. Die Regierung selbst unterschätze die Wut oder die “Vollheit der Schnauze” (Z.1f.) wie es als Neologismus im Text heißt. Welche Menschen genau Lobo meint, erläutert er in drei folgenden Beschreibungen.

Und so weiter.

Argumentationsstruktur: Rhetorische Mittel

Man erkennt: Das ist kein Hexenwerk. Es ist ein sprechen über die Machart des Textes. Hat man dies verstanden, ergibt sich ein weiterer Vorteil, den ich im oberen Beispiel angedeutet habe: Wenn man herausgearbeitet hat, was gesagt wird, ergibt es viel mehr Sinn, wie es gesagt wird. 

Man hat also nicht mehr das Problem, eine rhetorische Figur zu finden und sich überlegen zu müssen, was diese genau dort zu tun hat. Die Funktion ergibt sich aus der Argumentationsstruktur. In unserem Beispiel ist die “Vollzeit der Schnauze” als Neologismus also eine starke Betonung jener Wut, die Lobo an den Anfang stellt.

Fazit

Es bedarf Übung, die Argumentationsstruktur herauszuarbeiten, weil sie selbstverständlich nicht immer gleich funktioniert. Mal ist ein langes Beispiel an den Beginn gestellt, mal sind es Aufzählungen und so weiter. Es bedarf guter Textkenntnis, die Machart zu verstehen.
Ein wichtiger Schritt dorthin ist die zunächst etwas neutralere Herausarbeitung der Gliederung. Also der Zusammenfassung von Abschnitten. In einem weiteren Schritt kann dann herausgearbeitet werden, wie diese Abschnitte aufgebaut sind, wie sie also funktionieren.

Ich hoffe, ich konnte dem einen oder anderen mit diesen Ausführungen helfen.

Beispiel

Anmerkung zum vorliegenden Artikel

Der vorliegende Artikel ist die Bearbeitung meiner ehemaligen Schülerin Nina Zimmermann (deren Ausführungen zum Thema “gendergerechte Sprache” auch hier auf dem Blog zu finden sind). Ich bedanke mich sehr dafür.

Sascha Lobo : „Die Inkonsistenz ist unverschämt“

In seinem Text „Die Inkonsistenz ist unverschämt“ setzt sich SPIEGEL – Kolumnist Sascha Lobo mit der Widersprüchlichkeit der von der Regierung festgelegten Maßnahmen zur Eindämmung der COVID19 – Pandemie auseinander, welche laut Lobo eben nicht nur Corona – Leugnern und den Anhängern wirrer Verschwörungsmythen, sondern mittlerweile bei einer extrem großen Menge „normaler“ Bürger für immer größer werdende Wut und immer mehr Unverständnis sorgen.

Zu beginn des Textes stellt Lobo seine erste These auf; laut ihm wird die riesige Wut der Bürger auf die Regierung und ihre Maßnahmen von genau dieser enorm unterschätzt.

Im Folgenden beschreibt er genau diese Bürger, die Corona eben nicht leugnen oder sich gegen Maßnahmen zur Eindämmung wehren, sondern sich an diese halten, mittlerweile aber immer größeren Unmut im Bezug auf die Widersprüchlichkeit einzelner Maßnahmen entwickeln.

Die Ursache für genau diesen Unmut lässt sich laut Lobo in drei „Absurditäten“ finden, welche er im Folgenden auch benennt; die erste dieser Absurditäten ist für ihn die „Unlogik“ der getroffenen Maßnahmen, während die zweite Absurdität in der völlig fehlenden Kommunikation und damit in zu weniger Transparenz gegenüber den Bürgern und die dritte im Gefühl der Bevölkerung besteht, durch die Unfähigkeit der politischen „Machthaber“ sei viel wertvolle Zeit verlorengegangen.

Eine weitere These, die Sascha Lobo aufstellt, ist jene, dass das Corona – Problem ein sehr „deutsches Problem“ sei; im Folgenden erklärt er sich diesen Sachverhalt damit, dass „Präsenzarbeit“ in Deutschland als so enorm wichtig wahrgenommen wird, dass zwar sämtliche Geschäfte, Restaurants usw. – trotz hart erarbeiteter „Corona – Hygienekonzepte“ – bis auf weiteres schließen mussten, es aber weiterhin keine Pflicht für Arbeitgeber gibt, ihre Mitarbeiter ins Home Office zu schicken, sie also von zu Hause aus arbeiten zu lassen.

Durch die Erwähnung zu voller Bahnen und der viel zu großen Anzahl der Personen ohne Maske leitet Lobo zum nächsten großen Problem in der COVID19 – Pandemie über; dies besteht, so Lobo, nämlich genau darin, dass immer genau dort am härtesten eingegriffen wird, wo das eigentlich gar nicht (oder zumindest nicht in dieser Form) nötig wäre.

Deutlich macht Lobo dies am Beispiel von Corona – Demos, bei denen seitens der Polizei nur zögerlich oder gar nicht interveniert wurde, wohingegen andererseits schon Fahrradfahrer, die ihre Maske vergessen hatten, deutlich zu hart bestraft wurden – ein Messen nach zweierlei Maß, das laut Lobo einer der Hauptgründe für die immer größer werdende Wut vieler Menschen ist.

Wie sehr die Politik seiner Meinung nach „versagt“ hat, macht Lobo am Beispiel der Ministerpräsidentenkonferenz, genauer gesagt am Beispiel Bodo Ramelows klar; dieser entschuldigte sich zwar mittlerweile für sein Fehlverhalten, kann laut Lobo aber trotzdem nicht der einzige sein, der die Schuld daran trägt, dass der (viel zu „softe“) Lockdown in Lobos Augen mehr Schaden als Vorteile mit sich brachte.

Eine weitere These Lobos ist es, dass die völlig fehlende Kommunikation vor allem beim Thema Bildung verheerende Folgen nach sich zieht; in Deutschland fehlen laut Lobo nämlich all die Maßnahmen (Ausbau von Lernplattformen, Schnelltests usw.), welche in anderen Ländern bereits seit Beginn des ersten Lockdowns ergriffen wurden – laut Lobo sind ist es nämlich nicht das Verlegen des Unterrichts nach „zu Hause“, das den Kindern schadet, sondern vielmehr das ständige „Verpassen“ der Digitalisierung.

Und in genau diesen Ereignissen und „Fehlern“ sieht Lobo den Grund für die Wut der Bürger, wie seine These, genau diese „Kontrollhybris“ sei es, was die Menschen „rasend“ mache, zeigt – und das nächste Versagen wird laut Lobo nicht lange auf sich warten lassen, denn auch bei der Planung zum Vorgehen beim Impfen gegen Corona sieht Lobo schon jetzt, bevor es überhaupt richtig losgehen konnte, erste Fehler.

Es lässt sich sagen, dass es vor allem die Widersprüchlichkeit der einzelnen Maßnahmen, die fehlende Konsequenz bei deren Durchsetzung und die völlig falsche Annahme, man habe „das alles schon irgendwie im Griff“, sind, die laut Sascha Lobo zu einer immer größer werdenden Wut der Bürger führen.

5 Kommentare

  1. Es geht wenn ich techt verstanden hsbe um den Argumentstionszusammenhang, also das gesamte gedsnkliche Gebäude eines Textes/Vortrags o.ä.
    Da ist die Frsge natürlich nicht nur, WELCHE Bestandteile, sondern dann natürlich auch WIE diese Elemente in Beziehung stehen. Sind sue eibfach eine Addition, also das Ganze die Summe der Teile? Oder sind sie linear kausal abgeleitet? Oder sind sie dialektisch ein jedes dowohl Folge als auch Bedingung aller anderen? (Da gäbe es zB den Begriff der Überdeterminierung, d.h. man kann ein Element nicht von der Existenz aller anderen isoliert verstehen) usw.
    Einsteigen in die Erklärung des kompkexen Argumentations-Zusammenhangs kann ich zwar überall – es ist such egsl, wo – aber ich muss alle Beziehungen in in den Blick bekommen. Und das Ergebnis ist (notwendig) immer dass die aus meiner Sicht in diesem Material entstandenen Errungenschaften, aber auch die Fehler und Limitations zutage treten. Da ist dann mein (notwendiges) Urteil drin. Aber nur und erst dann habe ich einen Text analysiert und interpretiert

    • Ja, genau: Aber eben jener Argumentationszusammenhang, den du in der Verschiedenheit beschreibst, wird in der Schule oftmals mit Argumentationsstruktur beschrieben. Gerade deine letzten beiden Punkte – also der dialektische Zusammenhang und die Bedingungen – sind aber aus meiner Sicht sehr schwer herauszuarbeiten für Schüler:Innen. Zu deinem letzten Punk: Ja, das sehe ich auch so. Aber ich fasse es dennoch als meine Aufgabe, die Limitierung zumindest in der Form zu erweitern, als dass zumindest das Analysefeld verstanden wird. Ich hoffe, ich kann mich da präzise ausdrücken…

  2. Ob ich es verstanden habe?
    Es geht so, könntest du die Argumentationsstruktur eines GANZEN Artikels analysieren und konkret an den Beispiel erklären, was du machst, damit man sich auch vielleicht ein paar Formulierungen „abschauen“ könnte?
    Am besten bis zum 12.12.21….
    Liebe Grüße

    • Hey, leider kriege ich das hin der Zeit nicht hin. Im Video kannst du aber nachschauen, wie es aussieht, wenn ich es weitermache. Und dann kannst du an dem Artikel weiter selbst analysieren. Das ist sowieso sinnvoller, als nur alles abzuschauen. Viel Erfolg!

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