Auch diejenigen, die Sascha Lobo trotz oder gerade wegen seiner gefühlten ständigen Präsenz zu den Nervgeistern des Web 2.0 halten, müssen anerkennen, dass er es schafft, den Finger immer wieder in jene Wunde zu halten, die spätestens seit Edward Snowdens Enthüllungen im Bewusstsein einer ganzen Generation mündiger Bürger klafft. Die Sicherheit, die Privatsphäre, die Meinungsfreiheit, kurz, all diejenigen bürgerlichen Werte, die durch zahllose geistige und physische Kriege und unter tausenden Opfern erkämpft wurden und noch werden und die nun auf dem Spiel stehen, mit Händen und Füßen zu verteidigen.
In seinem neuesten Artikel auf SPIEGEL-online fordert Lobo die Leser dazu auf, dem Beispiel des gerade verstorbenen FAZ-Herausgebers Frank Schirrmacher zu folgen und sich an der digitalen Debatte zu beteiligen. Mehr noch: Die digitale Debatte stellt Lobo Schirrmachers These folgend , neben das Wahlrecht als zweite Stimme in der Demokratie.
Der mündige Bürger soll durch seine Partizipation digitalen Bereich die demokratische Grundlage erneuern, die verloren gegangen ist.
Die Forderung ist nicht neu. Das, was sich verändert hat, sind die Rahmenbedingungen, unter welchen die Forderung wiederbelebt wird. Erinnert man sich an Kants These über die Frage „Was ist Aufklärung“, ist es vor allem das Echo über die öffentliche Debatte, welche der allseits bekannten Definition nachgestellt wird, die der jetzigen Debatte eine historische Grundlage gibt:
„(...) unter dem öffentlichen Gebrauche seiner eigenen Vernunft denjenigen, den jemand als Gelehrter von ihr vor dem ganzen Publikum der Leserwelt macht.“
(Immanuel Kant: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? In: Berlinische Monatsschrift, 1784)
Kants Forderung ist dabei nicht als eine Forderung danach zu verstehen, sich selbst als "Gelehrter" zu sehen (unter welcher Definition auch immer), sondern als aufgeklärter Mensch seine (gebildete) Meinung der Öffentlichkeit preiszugeben und sie nicht nur im privaten (d.h. innerhalb seines Amtes) zu besprechen.
Sascha Lobos Kernargument bei der Forderung nach der „Rückeroberung der Macht über die digitale Sphäre“ beruht auf der Annahme, dass „Aufmerksamkeit Gravitation (ist)“ die nicht nur auf die Machtstrukturen Bezug nimmt, sondern auch innerhalb ihres Diskurses selbst zu einer Kraft wird – sofern sie von Bürgern weitergeführt wird.
Insofern würde ein Beitrag wie der, den Sie hier nun lesen, einen klitzekleinen Bruchteil dessen ausmachen, das benötigt wird, um die Debatte über die Autonomie über das Netz am Laufen zu halten.
Dass es überhaupt nötig ist, eine solche Debatte am Laufen zu halten, hatte Lobo zuvor in seiner auf der Republica 2014 gehaltenen Rede mantraartig bestärkt. Denn das undemokratische Element des Netzes ist nicht nur seine Bestimmung und Überwachung „von oben“, sondern auch der Durst nach Aktualität und Sofortness – dem Alles haben wollen zu jeder Zeit - der durch die Netzgemeinde „von unten“ erzeugt wird. Die Geilheit nach Nachrichten aller Art, die in einem großen Hashtag-Aufschrei zwei Tage am leben gehalten und dann in den digitalen Gully überführt werden, erstickt die Debatte dort, wo sie beginnt.
Ich wiederhole: Insofern würde ein Beitrag wie der, den Sie hier lesen, die Debatte am Laufen halten.
Das große Aber, dessen wachsweicher Kern der Titel dieses Artikels ist, folgt auf dem Fuß: Denn Debatten haben – zudem unter der Voraussetzung der Dominanz der Neuigkeit – nur dann Relevanz, wenn sie durch neue Erkenntnisse gestützt werden. Nur, wer kann das leisten?
Sascha Lobos anekdotenhafter Rahmen ist der des mit einem Fußgänger sprechenden Experten für den Diskurs, der dem achselzuckenden Passanten auf dem Weg zur kostengünstigen Leberwurst die Egalhaltung austreibt. Und hier liegt, grob gesagt, jene Hoffnungslosigkeit, die sich für Lobo schlicht auf Grundlage einer Debatte austreiben lässt.
Nämlich die Hoffnungslosigkeit, jemals auf den Stand zu kommen überhaupt irgendwann einmal und dann auch nur ansatzweise zu verstehen, was gerade in den digitalen Sphären passiert.
Ich als Blogger, Gymnasiallehrer und internetaffinier und –interessierter, unserer Demokratie verschriebener Bürger, habe nicht das Gefühl, auch nur die Hälfte jener diffizilen Prozesse im Hintergrund und Vordergrund unserer Beschäftigung mit der Welt und dem Netz zu verstehen. Vielmehr bin ich froh und Dankbar, wenn ich in einem weiteren Schritt eine weitere Erkenntnis darüber habe, was ich nicht verstehen kann.
Wenn ich meine, eine Ahnung davon zu haben, an welcher Stelle ich ansetzten müsste, wenn ich alle Zeit der Welt hätte, um zu verstehen, was gerade über unseren Köpfen und in unseren Leitungen passiert. Und doch habe ich jede Mal, wenn wieder ein Buch zur digitalen Überwachung gelesen, eine Nachricht verschlungen und weitergeleitet, ein Schritt in Richtung digitaler Aufklärung unternommen habe, dass Gefühl, dass diese Zeit für äußere Entwicklungen ausreicht, mich wieder an den Anfang zu stellen, vor einen Berg von Informationen, deren Erklimmen eine holistische Bildung voraussetzt, die ich aufzuholen selbst in Jahrzehnten nicht in der Lage bin.
Und was sollen diejenigen machen, die durch Umstände aller Art, wie es sie in unserer und in anderen Gesellschaften gibt, nicht in der Lage sind oder sich wähnen, überhaupt in irgendeiner Weise zu partizipieren?
Dies ist keine Resignation, keine Hoffnungslosigkeit und erst Recht keine Egalhaltung. Aber ob es ein Beitrag ist, der zu der geforderten Debatte beiträgt, das wage ich auch zu bezweifeln.