REZENSION: Die virtuelle Askese eines Multitaskers: Christoph Koch: ich bin dann mal offline

Bob Blume
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3. November 2013
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„Was für Berufe gibt es mit Leichen?“

Das Klischee einer Generation manifestiert sich in dem Satz: Die Medien sind aus der heutigen Zeit nicht mehr wegzudenken („Neue Medien“ kann man sich sparen, wenn die Internetnutzung nicht gerade Neuland ist wie für unsere Bundeskanzlerin). Was aber heißt das genau: Nicht mehr wegzudenken? Stimmt es, dass wir unseren Alltag nicht mehr ohne das Internet, das Smartphone und ihre diversen Anwendungen beherrschen können? Und wer beherrscht hier eigentlich wen? Und wer zum Teufel stellt Fragen wie die obige?

Gabriels Gesetz
Normale Person + Anonymität + Publikum = Vollidiot

Der Autor und Journalist Christoph Koch schreibt in seinem Buch „Ich bin dann mal offline“ von seinem Selbstexperiment, bei dem er 40 Tage lang das analoge Leben kennenlernt und einiges über das Nutzerverhalten zu berichten weiß.

Der 1974 geborene Koch ist, was sein Online-Verhalten angeht, einer von uns. Koch, der freier Autor bei zahlreichen Printmedien (Die Zeit, SZ-Magazin, brand eins, Tagesspiegel) und festes Mitglied der NEON-Redaktion ist, kennt das Leben zwischen Tabs, Twitter und Mailprogrammen in und auswendig. Anders gesagt: Vor seinem Versuch kann er sich (wie wohl die meisten von uns) auch kein Leben ohne die virtuelle Realität vorstellen. Die ersten Tage seines Versuches sind dann auch gezeichnet von den Ängsten eines Süchtigen, der feststellen muss, dass sich die Welt im Eiltempo weiterdreht – nur ohne ihn. Das Mobiltelefon ausgeschaltet in der Schublade und mit den 10 Geboten der Abstinenz („Du sollst nicht begehren deines Nachbarn Internetzugang“) ausgestattet geht es los bzw. eben nicht los.

„Jeden Tag passiert so viel wie in die Zeitung reinpasst. Praktisch, oder?“ (bosch)

Das Schöne an Kochs Buch ist die Vielfalt, mit der sich der Autor dem Thema nähert. Es ist keines dieser Bücher, bei dem ein schlauer Experte dem Leser erklärt, warum er sein Leben falsch lebt. Ganz im Gegenteil: Oftmals müssen wir mit dem Autor auch gleichsam über unser eigenes Online-Verhalten lachen. Die älteren denken vielleicht an die Zeit, in der man bei Freunden unangekündigt auf der Matte stand, während die jüngeren Leser sich fragen, was zum Teufel diese Wählscheibe ist, über die da geschrieben wird.

Das Handy hat den Reisewecker auf dem Gewissen

Es bleibt allerdings nicht nur bei den (zum Teil zum Schreien komischen) Selbstansichten des Autors, dem die „nur“ 1024 Mails, die er am Ende des Versuchs im Postfach findet, fast die Tränen des Unbeliebten in die Augen treiben. Vielmehr ist das Buch eine Mischung aus teilweise sehr persönlichen Beschreibungen der Abstinenz und Gesprächen mit Neurowissenschaftlern, religiösen Dauerabstinenzlern (z.B. einem amerikanischem Amish oder einem jüdischen Rabbi) und Bloggern (hier sei vor allem die Blogger-Ikone Sascha Lobo genannt).

„Das Internet – gibt es den Blödsinn immer noch“ (Homer Simpson)

Die Aufteilung des Buches lässt den Leser in durch humoristisch dargebotene Abschnitte immer weiter in die Frage danach eindringen, was es eigentlich konkret ist, was wir im und vom Internet wollen. Zwischen den Kapiteln bringen einen verschiedene Sammlungen aus wissenswertem Schabernack (siehe Unterüberschriften dieses Blogartikels) dazu, laut aufzulachen. In den Kapiteln werden nicht nur Fragen danach beantwortet, warum wir es eigentlich schaffen, stundenlang zu googlen, ohne dass uns langweilig wird, sondern auch jene danach, was das Internet aus Freundschaften und Bekanntschaften macht.

Am Ende des Buches haben wir eine Gefühlsachterbahn mitgemacht, die immer auch in dem Gedanken daran besteht, ob man diese Prüfung auch meistern würde (bei der Lektüre selbst ist das unmöglich, da Koch immer mal wieder Internetadressen einstreut, die man als aktiver Leser unmöglich ignorieren kann).
Zuletzt werden noch ein paar Tipps gegeben, die aber immer unter Vorbehalt und nie mit dem erhobenen Zeigefinger ausgesprochen werden.

Wer es mal wieder schaffen will, zwischen der Lektüre von Überschriften diverser Online-Medien, dem pausenlosen Löschen von Spam und dem Beantworten von Nachrichten ein Buch über sich selbst zu lesen, dem kann man dieses sehr kurzweilige Buch nur ans Herz legen.

Nun, da Weihnachten vor der Tür steht, können Sie es natürlich auch ihrem Kind schenken (denken Sie nur daran, dass Konzept von realen Büchern, die von Hand umgeblättert werden müssen, zu erklären).

Seite des Buchautors: http://www.christoph-koch.net/

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