REZENSION: Bin ich ein Mann, und wenn ja, wie viele?

Bob Blume
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26. Januar 2014
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In seinem neuen Buch „Chromosom XY ungelöst“ geht das selbst ernannte Weichei Christoph Koch die Wege eines (vermeintlich) echten Mannes, robbt durch den Matsch und schaut zwei Dörfern bei einer Fußball-Massenschlacht zu. Nach der Lektüre ist man über seine eigene Männlichkeit mehr als im Unklaren – was aber nichts macht, solange man über die etlichen "Fehltritte" des Autors grinst.

„Dinge, die ein erwachsener Mann niemals tun sollte (DEMS): Seinen eigenen Wikipedia-Artikel anlegen.“

Es ist schon rührend, wie Christoph Koch über das Männlichkeitsideal seines Großvaters schwadroniert, um zugeben zu müssen, dass er all dies, was in dieses Bild passt, eigentlich so gar nicht ist. So macht er sich denn auf die Suche nach bestehenden Rollenbildern um sie in gewohnt sadistischer Weise an sich selbst zu erproben. Man könnte auch sagen: Er stiefelt heraus aus seiner „distanziert-ironischen Turnschuhwelt“ um die Identität des Mannes herauszufinden und sich vom „Weltrekord im Weicheisein“ zu entfernen. Was in jeder Forschungsarbeit zu schlagartigen Ermüdungserscheinungen führen würde, ist bei Christoph Koch wie man sich den ersten Besuch eines gestandenen, maskulinen Mannes bei einer Schwangerschaftsmassage vorstellt – nur eben anders herum. Als Mitglieder der  Generation Babyface kann man sich so immer in die Lage des an Stereotypen scheiternden Möchtegern-Machos versetzen und hat ständig ein so ständig entweder einen steifen Hals vom Nicken oder einen spannenden Mund vom Grinsen.

DEMS: „Anführungszeichen mit den Fingern in die Luft machen.“

Eins sei gesagt: Sich bei „richtigen“ Fußballfans beliebt zu machen, wird Koch nicht gelingen, allein, weil seine erste Aufgabe, zu einem Fußballfan „zu werden“ nicht nur grandios an mangelndem Interesse scheitert, sondern auch, weil er in fast emo-sadistischer Naivität den FC Augsburg als Projekt seiner nicht aufkommenden Begierde erwählt. Da scheitert man dann schon mal gerne an den zugegebener Maßen vielen Strophen des Vereinsliedes. Aber, und das ist die Kehrseite, genau das ist es auch, was dieses Buch so lesenswert macht. Man lacht entweder mit oder über einen Autor, der sich nie zu ernst nimmt. Und man überlegt, was man in der Situation gemacht hätte, ob man anders heraus gekommen wäre – ja, ob man selber männlicher ist als dieser lebende Männlichkeitstestdummy (ist nicht böse gemeint, Herr Koch).

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Nachdem wir Koch also dabei verfolgen, wie er versucht, männlich zu sein, in dem er sich in eine Horde englischer Dorfmänner wirft, die als Dörfer gegeneinander Fußball spielen, sich von einem Ranger das Schießen erklären lässt, in der Stille der See angelt, endlich zu verstehen versucht, wie ein gewöhnlicher Motor überhaupt geht, den schlimmsten Marathon der Welt über sich ergehen lässt (als Zuschauer, hust), mit Hugh Hefner spricht und sich erklären lässt, was ein richtiger Aufreißer eigentlich macht, bevor er selbst ein Schlammbad nimmt – nachdem wir ihn also bei einer einzigen großen Sadismusparade beobachtet haben, kann man nicht anders umhin, als ihn zu mögen. Es ist ein wenig dieser Stromberg-Komplex: Menschen beim Falschmachen zuschauen fördert irgendwie das Bedürfnis, ihn mal gehörig zu knuddeln. Ob das so männlich ist, ist die andere Frage.

DEMS: Mit einem Korb zum Wochenmarkt gehen

Das wir uns nicht falsch verstehen. Neben all den Dingen, die Christoph Koch in unsrem Namen ausführt, damit wir es nicht selbst machen müssen, ist sein Buch wieder einmal mit gut recherchierten und obendrein interessanten Fakten gefüllt, die einen die Dinge etwas anders sehen lassen. Man hat zuweilen das Gefühl, dass Christoph Koch die Klischees, die er ausprobiert, gleichzeitig im positiven Sinne entlarvt als Möglichkeiten. Dies ist ungemein beruhigend, da man nicht befürchten muss, man müsse alles machen, um auch wirklich ein Mann zu sein. Vielleicht reicht es ja, ab und zu den Amazonas zu durchschwimmen oder sich von Klippen zu stürzen. Im Ernst: Die witzige Beschäftigung mit dem Konzept Männlichkeit zeigt, dass man vielleicht nicht alles so ernst nehmen sollte, was als vermeintliche Wahrheit über das eine oder das andere Geschlecht gesagt wird.

So, aber nun ist Schluss. Gleich kommt nämlich Fußball und im Gegensatz zu dem Weichei bin ICH ein WIRKLICHER Fan. Schalalala!

 

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