Der Bildungsbegriff ist in seinem Verständnis und seiner Auslegung so schwammig, dass Menschen, wenn sie von Bildung reden, sehr unterschiedliche Dinge meinen. Auf der Suche nach nachvollziehbaren Leitgedanken für ein Begriffsverständnis bin ich bei Wilfried Plöger fündig geworden. Sein Exzerpt von Klafkis Gedanken zum Bildungsbegriff sind nicht nur sinnvoll, sondern bieten Anknüpfungsmöglichkeiten an einen Bildungsbegriff, der zeitgemäßes Lernen einschließt. 

Auszüge aus der “Allgemeinen Didaktik” (Wilfried Plöger: Allgemeine Didaktik und Fachdidaktik. München 1999). Plöger zitiert und kommentiert Klafki in sieben Punkten, den achten führt er an:

Ergebnisse von Bildung als Bildungsdefinition

(1) Alles Denken und Handeln des Pädagogen ist der „didaktischen Generalinstanz” (Klafki 1963 a, S. 38), der pädagogischen Verantwortung, verpflichtet. Das didaktische Feld ist daher von einem Punkte aus aufzuschlüsseln: „von der pädagogischen Verantwortung vor dem jungen Menschen, der den Sinn seines Lebens”als Kind und Jugendlicher erfüllen und zugleich schrittweise in seine Mündigkeit hineinwachsen soll”. (Ebd., S. 38) Gebildet ist dann derjenige, der kraft seiner Mündigkeit ein vor sich und anderen zu verantwortendes Leben zu führen vermag. 

(2) Dem Bildungsbegriff kommt somit auch eine politische Dimension zu, er muß „auf die Mitmenschlichkeit, die Sozialität (Gesellschaft) und auf die politische Existenz des Menschen bezogen gedacht werden”. (1963 a, S. 31) 

(3) Bildender Unterricht orientiert sich an der Idee „einer demokratischen, mobilen Gesellschaft der Gleichberechtigten und Gleichwertigen”. (Ebd., S. 34) In diesem Verständnis kann Bildung nicht als Privileg weniger Menschen aufgefaßt werden, sondern nur als „Allgemeinbildung”, die jedem Bürger gleiche Chancen und Zugangsmöglichkeiten eröffnet. 

(4) Die soziale Wirklichkeit, die sich der junge Mensch erschließen soll, kann im Unterricht nur angemessen thematisiert werden unter Verzicht auf „harmonistische und perfektionistische Leitbilder” (1963 a, S. 33) Bildung”hilft dem einzelnen, „Lebensspannungen, nicht auf einen Nenner zu bringende Verhaltensweisen, die die verschiedenen Wirklichkeitsbezüge von uns fordern, zu bewältigen”. (Ebd.)

(5) Das so formulierte Bildungsverständnis schließt zugleich eine Haltung mit ein, die Dynamik und Wandlungsfähigkeit als entscheidende Fähigkeiten des einzelnen einfordert. „Wandlungsfähigkeit als Moment der Bildung bedeutet nicht blinde Anpassungsbereitschaft, sondern Bereitschaft, auf neue Situationen produktiv zu antworten.“ (1963a, S.35)

(6) Bildungsprozesse müssen über die „Grenzen des Heimatlichen und der nationalen Kultur und Geschichte” hinaus auch „die Auseinandersetzung mit weltumspannenden Fragen und mit exemplarischen Beispielen der geistigen Welt anderer Völker“ ((1963 a, S34) aktualisieren. 

(7) Bildung als Haltung basiert „auf der Erfahrung und der bewußten Aneignung übergreifender Wertprinzipien. Treue und Wahrhaftigkeit, Gerechtigkeit und Hilfsbereitschaft, Tapferkeit und Standhaftigkeit sind auch und gerade heute unabdingbare Werte und Tugenden.“ (1963a, S.35)

(8) Diese angeführten sieben Bestimmungsstücke machen im wesentlichen das Ergebnis von Bildung (Bildung als Haltung, wie Klafki sagt) aus; nicht weniger wichtig ist in diesem Zusammenhang aber auch der Aspekt des Bildungsprozesses. Hierdurch rückt vor allem die konkrete geistige Aktivität des Schülers, die Art und Weise, in der er „Kategorien“ gewinnt, in das Blickfeld. 

Kommentar und Zusatz “in einer digitalen Welt”

Ich nehme an, dass die einzelnen Aspekte selbsterklärend sind. Und ich hoffe, dass diejenigen, die diesen Blog lesen so begeistert sind wie ich. Dennoch möchte ich die einzelnen Punkte an den Zusatz “in einer digitalen Welt” andocken, indem ich die Schlüsselbegriffe herausnehme und sie um das ergänze, was oftmals als 21st Century Skills beschrieben wird.

(1) Mündigkeit

Bildung in diesem Zusammenhang hat den ultimativen Ausgang der Mündigkeit. Mündigkeit in einer digitalen Welt ist digitale Mündigkeit. Ein verantwortungsvolles Leben schließt digitale und nicht-digitale Welt ein.

(2) Mitmenschlichkeit

Wenn Bildung unter den Bedingungen der Kultur der Digitalität Mitmenschlichkeit zum Ziel hat, schließt sie den Umgang mit, über und in der digitalen Gesellschaft ein.

(3) Gleichberechtigung

Allgemeinbildung ist hier als allgemeine Bildung zu verstehen, d.h. eine Bildung, Zugänge für alle eröffnet. Wenn das Netz weiterhin Zugänge für alle öffnen soll, muss es allen offen sein. Das gilt für seine Inhalte, das Verständnis der Inhalte und die technischen Möglichkeiten diese Inhalte aufzurufen.

(4) Komplexität

Gerade in der “digitalen Gesellschaft” Nassehi muss der Einzelne damit klar kommen, dass es komplexe Verbindungen und verschiedene, pluralistische Zugänge zu allem gibt. Gefordert wird in diesem Sinn das Verständnis. Das ist eben jenes “kritische Denken”, das in den 4K gefordert wird.

(5) Wandlungsfähigkeit

Wandlungsfähigkeit kann heutzutage nicht nur auf die Offenheit gegenüber der sich verändernden Gesellschaft und ihrer Bedingungen gesehen werden, sondern auch als Ansatz für das lebenslange Lernen. Denn nur wer dazu lernt, kann eine “produktive Antwort” auf das finden, was aus den neuen Prozessen entsteht.

(6) Globalisierung

Dieser Ansatz weist auf kosmopolitisches Weltbild hin. Weg von den nationalen Grenzen (und damit auch normativen Kanons), hin zu globalen Inhalten, die den zuvor beschriebenen Bildungskonsequenzen dienlich sind.

(7) Wertprinzipien

Sehr wahrscheinlich haben sich in einer digitalen Gesellschaft die Wertprinzipien geändert. Dennoch erscheint gerade die Wahrhaftigkeit eine zentrale Kompetenz zu sein, die die Grundlage für die Beurteilung des Unwahren bildet.

(8) Prozessorientierung

Die Orientierung auf den (eigenen) Prozess erscheint hier als eine Art des Meta-Lernens, das in einer Zeit der Transformation immer wichtiger wird.

Fazit

Alles in allem erscheinen diese Bereiche von Bildung sehr fruchtbar als Ansatz für ein Verständnis dessen, welchen Ausgang Bildung im 21. Jahrhundert haben kann und soll. Für mich mehr als nur ein Impuls, weiterzudenken.

4 Kommentare

  1. Ich würde dir soweit zustimmen, sehe jedoch in Punkt 8 die größte Herausforderung, da sie mit dem bisherigen Lernen kaum etwas zu tun hat. Ich kenne zumindest wenige Kollegen, die ihren Schülern Lernprozesse sichtbar machen oder diese gar bewerten.
    Punkt 7 würde ich sogar besonders hervorheben, da ich hierunter Dinge verstehe, die im Zeitalter der Fakenews, social bots und Beeiflussung durch Propaganda und Verschwörungstheorien als immens wichtig für unsere Schüler erachten würde.

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