Manchmal ist Twitter seltsam. Da schreibe ich, müde aber glücklich vom Tage, einen Tweet darüber, dass ich in einer Stunde Frontalunterricht gemacht habe und der Tweet explodiert geradezu. Was als eine kleine, neckische Provokation gemeint war, verbreitet sich rasant und lässt zahlreiche Kommentatoren zu Wort kommen. Nicht mit allem bin ich einverstanden. Ein Kommentar und eine Einordnung. 

Zunächst einmal der Ausgangstweet.

Die ironische Konnotation wird durch das “Steinigt mich!” klar. Ich fordere quasi heraus, dass sich jene, die aus guten Gründen über selbstständiges Lernen schreiben (im Übrigen: so wie ich), sich zu positionieren. Natürlich gegenüber einem Gegenstand, der sehr vage formuliert “frontal unterrichten” heißt. Was genau soll das aber sein?

Frontalunterricht ist nicht Frontalunterricht

Ganz allgemein verbindet alle möglichen Formen dessen, was Frontalunterricht genannt wird, die Position des Lehrers oder der Lehrerin gegenüber der Klasse.

Vorne steht der Lehrer, hinten, in Reihen sortiert, die Schüler. Frontalunterricht ist dabei aber keine eng begrenzte und somit durchgehend definierbare Sozialform.

So kann die Instruktion frontal erfolgen und dann eine Partner- oder Gruppenarbeitsphase nach sich ziehen.

Es kann sich um ein fragend-entwickelndes Unterrichtsgespräch handeln, bei dem die Lehrperson durch Impulsfragen zu einem Gegenstand leitet und es so nachvollziehbar macht, wie man ihm begegnet.

Damit ist nicht das frontale Abfragen gemeint, das eher einer Prüfungssituation gleicht.

Es kann sich um einen durchgehenden Lehrervortrag handeln, in dem die Lehrperson als einzige/r im Raum spricht.

All das zeigt, dass schon die Frage aus dem Titel wichtiger für das Verständnis dessen ist, was den Leser erwartet, als einer Frage, die sich qualitativ beantworten ließe. Aber selbst wenn wir von einer “objektiv” ausgemachten Wirksamkeit ausgehen, ist die Beantwortung der Frage schwierig. Denn sie impliziert, dass man Wirksamkeit messen könnte.

Wirksamkeit von Unterricht

Die viel gefeierte Hattie-Studie, die größte Meta-Studie überhaupt, beantwortet nämlich (neben Problemen der Vergleichbarkeit) die Frage nicht, inwiefern Wirksamkeit überhaupt messbar ist. Als Beispiel: Wenn es um die stupide Reproduktion eines Inhaltes geht, dann kann die Instruktion sehr wirksam sein. Jeder versteht den Sachverhalt und kann ihn wiederholen. Das bedeutet aber nichts gegenüber einer Wirksamkeit, sondern nicht mehr als die Fähigkeit der verbalisierten Kopie.

Wirksamkeit ist beim Frontalunterricht überhaupt ein Problem, das sich auch beim Konsum von Youtube-Videos zeigt: Das Gefühl, etwas verstanden zu haben, gaukelt eine Kompetenz vor, die eventuell gar nicht gegeben ist. Nur weil ich verstehe, wie der Lehrer an der Tafel vorgeht, wenn er ein Tafelbild erläutert, heißt das nicht, dass ich als Schüler*in in der Lage bin, diese Gedankenführungen gegenüber einem neuen Gegenstand zu vollführen.

Frontalunterricht als gemeinsame, laute Denkübung

All dies sollte verdeutlichen, dass ich nicht mit jenen Leuten übereinstimme, die mir scheinbar beipflichten, dass Frontalunterricht überhaupt das Beste ist, was es gibt. Auch die anekdotische Evidenz, dass frontale Phasen in der eigenen Schulzeit immer am besten waren, ist kein Beweis, sondern zeigen höchstens, dass die Lehrperson nicht in der Lage war, eine für alle gleichermaßen gewinnbringende Lernsituation zu schaffen, bei der alle voneinander profitieren.

Frontale Phasen sind für mich dann gut und richtig, wenn ich zusammen mit Schülerinnen laut darüber nachdenke, wie man einem Gegenstand begegnen könnte. Der Modus ist dabei wichtig. Ich erkläre nicht, was ist, sondern ich erkläre, was sein könnte.

In diesem Fall ging es um die beschreibende Erläuterung, wie zu einem Gedicht assoziativ ein Zugang gefunden werden kann. Zumindest wenn man die Aha-Effekte, die sich in lautem Aufstöhnen bahnbrachen, als Effektmessung nimmt, war die Stunde also so gewinnbringend, wie ich in dem Tweet behaupte.

Ob es sich aber um eine nachhaltige Wirksamkeit handelt, weiß ich erst, wenn wir wieder in Phasen der Gruppenarbeit oder der Einzelarbeit kommen, in denen die individuellen Zugänge dann eine weitaus größere Rolle spielt.

Fazit

Frontale Unterrichtsphasen sind in für bestimmte Inhalte das beste Mittel. Aber nicht immer, überall und ständig. Denn Lernen bedeutet vor allem Tun. Und das geht nicht, wenn einer vorne steht und die Wege vorgibt, die beschritten werden (sollen).

Da all das aber ein wenig zu viel für einen Tweet gewesen ist, habe ich einen solchen verfasst. Wer hätte gedacht, dass dies so viele Menschen umtreibt.

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