Mein Deutschkurs hat mich gefragt, ob ich eine Texterörterung schreiben könne, an der sich einige der geforderten Strategien nachvollziehen lassen. Dieser Bitte möchte ich gerne nachkommen. Es sei darauf hingewiesen, dass dich Aufgabenstellung normalerweise den Schwerpunkt unterscheidet. Dieser kann auf der ersten Teilaufgabe liegen (Analyse) oder auf der zweiten (Erörterung). Für die Ausführung bedeutet das ganz konkret mehr Umfang für den jeweiligen Bereich. In dieser Beispielerörterung verzichte ich auf eine Schwerpunktsetzung. Einige Ausführungen (z.B. die Gliederung) beziehen sich auf die Vorarbeit von Friederike Klett, die im Rahmen einer Zusammenarbeit den Text bearbeitet hat. Da die Zeilenangaben in der Kolumne selbst nicht dabei sind, werde ich sie nur in der Gliederung nutzen und beim Rest weglassen. Es sei aber darauf hingewiesen, dass ansonsten jedes (!) Zitat mit Zeilenangabe versehen werden muss.

Rechte Gruppen gefallen sich oftmals darin, sich als Opfer darzustellen. Jeder, der ihnen entgegentritt wird somit zu einem „linksversifften Gutmenschen“, der sie in die „rechte Ecke“ stellen will. Damit wird die Schuld übertragen. Anstatt sich für eine rassistische Meinung rechtfertigen zu müssen, wird der demokratische Kritiker zum Täter der Stigmatisierung. Dass dies Strategie ist, wird im vorliegenden Text deutlich.

In seiner SPIEGELONLINE-Kolumne „Immer her mit der Nazikeule“, die am 11.11.2015 erschien, beschreibt der Blogger, Unternehmensberater und Kolumnist Sascha Lobo Strategien im Umgang mit rechten und rechtsoffenen Personen. Er spricht sich für die Verwendung der sogenannten „Nazi-Keule“ als Instrument der Benennung einer antidemokratischen und menschenfeindlichen Einstellung aus.

Lobos Text lässt sich in fünf Abschnitte unterteilen. Zunächst beschreibt Lobo Möglichkeiten, mit der sogenannten Neuen Rechten zu sprechen (Z.7-14). Er beschreibt die Strategien der Rechten und wie diese sich vor allem im Netz äußern (Z.15-22). Kernelement des Textes ist, die Strategie der Opfer-Täter-Umkehr der (neuen) Rechten und wie der titelgebende Begriff der Nazi-Keule eingesetzt werden kann, um diese wieder umzukehren (Z.23-28). Es folgt eine genauere Erläuterung und die Ausweitung des Begriffs (S.2, Z.2-28). Im letzten Teil erfolgt ein Plädoyer, das die Leser*innen anmahnt, den Begriff zu verwenden.

Lobos Text ist in einer für den Kolumnisten typischen ironischen Brechung geschrieben. Die Besonderheit der Kolumne liegt in der Begriffsverwendung der „Nazi-Keule“ als legitimes Mittel der Diskussionsstrategie. Insgesamt beschreibt die Kolumne Strategien und Gegenstrategien der (Netz-)Diskussion und bietet appellative Passagen, in denen die Leser*innen aufgefordert werden, kommunikative Haltung zu zeigen.

Um auf den eigentlichen Kern seiner Kolumne zu kommen, nämlich der titelgebenden Tatsache, dass man die „Nazi-Keule“ gegenüber rechtsoffenen Menschen nutzen sollte, analysiert Lobo zunächst jene Apologeten, die meinen: „Man muss mit den Leuten reden“. Gemeint sind hier jene „Besonnenen“, die meinen, man könnte sich – wie es heißt – „diskursiv entgegenstellen“. An dieser Stelle wird die Haltung Lobos schon deutlich: Verständnis hat Grenzen. In der Tat folgt die Beschreibung jener, die schon Erfahrungen gemacht haben damit, mit „diesen Leuten“ zu reden.

Zusammengefasst heißt es, dass es nicht um Gespräche gehe, sondern um „Signale der Zusammengehörigkeit“, dass selbst „sanfte Entgegnungen“  oftmals „brachial gekontert“ würden und dass dabei die rhetorische Figur der „Nazikeule“ oftmals auftauche. Genauer: „Verlässlich“, wie es heißt. Die Nazikeule erscheint also wie eine immer wiederkehrende Strategie, mit der die Argumentation abgewürgt wird. Aus diesem Grund führt Lobo in den weiteren Ausführungen den Begriff weiter aus, indem er seine Genese aus der sogenannten „Moralkeule“ von Martin Walser ableitet.

Das ist deshalb relevant, weil sich hier ein genauso wiederkehrendes Schema innerhalb einer Diskussion mit Rechten zeigt, die „Täter-Opfer-Umkehr“. Sie besagt, dass eben jener, der mit der Moral- oder Nazikeule hantiere der eigentliche Täter sei. Dass es also – so könnte man folgern – schlimmer ist jemanden als Nazi zu bezeichnen als etwas zu sagen, das einen zum Nazi machen könnte. Oder zum Rassisten. Da die beiden Begriffe nicht trennscharf verwendet werden, erläutert Lobo dessen Gebrauch: „Der Begriff Nazi hat sich zum Sammelbegriff entwickelt, er bezeichnet eine Personengruppe, die zu rechtsorientierter Menschenfeindlichkeit neigt.“ Der ironische Beisatz, dass es eben nicht um einen Begriff gehe, der so eng gefasst sei, „dass eigentlich nur Hitler übrigbleibt“, verdeutlicht Lobos Haltung: Man darf Nazis Nazis nennen. Ja, muss es tun.

Insofern ist die Nazikeulen-Erwiderung, wie er sagt, eine „Schutzpose“. Wenn man alle Vorwürfe, man sei ein Nazi, damit abwenden kann, dass der andere Schuld ist, weil die Bezeichnung nicht stimme, lenkt man von sich ab. Aus diesem Grund ist sie, wie Lobo lakonisch anfügt, das „Arschgeweih der Rechtspopulisten“. Man ist abgelenkt, obwohl es niemanden gibt, der sich ernsthaft damit befassen möchte. Die nun folgende rhetorische Analyse ist zentral: Diejenigen, die jene rhetorische Figur als Schutz nutzen, wissen, dass Nazis schlimm sind. Denn ansonsten müssten sie sich nicht bemühen, nicht so genannt zu werden (was leider auch passiert). Und, weiter folgend: “Wer vorauseilend vor dem Einsatz der Nazikeule warnt, erkennt damit indirekt an, dass seine Äußerungen als rechtsradikal verstanden werden könnten.” Dies ist für Lobos weitere Äußerungen zentral, denn es zeigt ein Paradox an: „Man wird doch wohl noch Rechtsradikales sagen dürfen, ohne gleich rechtsradikal genannt zu werden!“ Das geht natürlich nicht.

Insofern ist deutlich, warum Lobo dafür appelliert, die Nazikeule zu nutzen. Denn die einen seien sowieso verloren. Die anderen jedoch, die „muss man dort packen, wo es schmerzt, also bei ihrem Wunsch, kein Nazi zu sein.“ Und weiter: „So lange Leute Nazikeule sagen, wollen sie keine Nazis sein.“ Das ist nachvollziehbar, und zwar genauso wie der Wunsch, dass man jene, die rechtsoffen und empfänglich für jene Parolen sind, mit diesem rhetorischen Kniff wieder ins Boot holt.

So einfach ist das natürlich nicht. Das macht Lobos Text nicht weniger lesenswert, führt aber zu der Frage, ob eine Stigmatisierung nicht genau das Gegenteil bewirkt. Gerade wenn man mit jenen gesprochen hat, die sich als rechtsoffen zeigen, wird oftmals deutlich, dass das Bewusstsein, vielleicht das Falsche zu sagen, sowieso schon vorhanden ist.

Das bedeutet: Welchen Wert habe ich, diejenigen daran zu erinnern, dass sie sich insgesamt mit den Nazis gemein machen. Eine Strategie könnte anders aussehen: Versuchen zu verstehen, ohne Verständnis zu zeigen. Damit ist nicht gemeint, dass man sich argumentativ auf dieselbe Bühne begeben sollte. Aber Lobos Text gibt ja ohnehin vor, dass es nicht um jene Menschen gibt, die unwiederbringlich verloren sind.

Es geht um jene, von denen oftmals gesagt wurde, dass sie „Ängste und Sorgen“ haben. Damit sind natürlich auch jene Klischees und Übertreibungen von Überfremdung gemeint, die sich die Rechtspopulisten überall in Europa zu nutzen machen. Aber dieses Zu-Nutze-Machen, die Instrumentalisierung dieser Ängste, ist erst der zweite Schritt.

Die Journalistin Dunja Hayali hat in unzähligen Gesprächen gezeigt, wie schwierig es ist, mit Menschen zu sprechen, die undefinierbare Ängste haben. Aber dass sie es gemacht hat, zeigt, was eine Zivilgesellschaft, die die Demokratie aufrechterhalten will, braucht. Menschen mit Mut und Haltung. Menschen die zuhören, ohne zu verurteilen. Aber eben auch Menschen, die in einem zweiten Schritt standhaft bleiben.

Der rhetorische Kniff der Nazikeule mag in der einen oder anderen Situation dazu geeignet sein, darauf hinzuweisen. Vielleicht lapidar. Vielleicht, indem man darauf hinweist, wo der Unterschied zwischen menschenverachtenden Sätzen ist und Sätzen, die eine Angst in Worte fasst, die zunächst einmal sich selbst in den Mittelpunkt stellt und nicht das böse Andere.

Aber insgesamt scheint eine Strategie der zugewandten Standhaftigkeit überzeugender: Du kannst mir alles sagen, aber du musst akzeptieren, dass ich alles dafür tue, die Grundfesten unserer Demokratie zu stützen. Das geht übrigens auch im Kleinen. Jeder hat die Chance, im Freundeskreis den antisemitischen Witz nicht unkommentiert zu lassen. Eine rechtspopulistische Meinung nicht zu akzeptieren. Eine rassistische Anmerkung auch so zu nennen. „Immer her mit der Nazikeule“? Von mir aus. Aber eben auch mit sinnvollen Strategien für eine gelingende Kommunikation.

Anmerkung: Sascha Lobo ist ein deutscher Internet-Experte, SPIEGEL-Online-Kolumnist und Blogger. Zuletzt erschien sein Buch „Realitätsschock“ bei Kiepenheuer und Wisch.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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