Es brodelt in den Filterblasen. Und außerhalb. In Frankreich wurde ein Gesetz eingeführt, das die Handynutzung an Schulen verbietet. Also fast. Im Unterricht ist der Einsatz immer noch erlaubt. Das ist für die hitzige Debatte aber irrelevant. Die ersten Forderungen nach Handyverboten in Deutschland werden in großen Zeitungen breit ausgetreten. Wieder einmal wird der große Graben zwischen den Befürwortern und den Gegnern digitaler Geräte und Methoden ersichtlich. Ein Kommentar.  

Valide Argumente

Fangen wir andersherum an. Es gibt gute Gründe, Handys in der Schule zu verbieten. Allerdings sollte man zunächst definieren, was das bedeutet. Wenn damit gemeint ist, dass Handys nicht unbegründet (d.h. in Notfällen)  in der Schule benutzt werden sollten, dann ist das durchaus plausibel. Kritiker eines Verbotes weisen darauf hin, dass auch Handynutzung zum Großteil aus Kommunikation bestehe. Das stimmt. Die Frage ist aber, mit wem und in welcher Weise. Wenn Kommunikation bedeutet, dass man mit seinen Freunden schreibt oder Social Media bedient, dann ist das eine legitime Form der Kommunikation. Aber es ist auch eine, die schon außerhalb der Schule die Zeit der Kinder und Jugendlichen einnimmt.

Das gemeinsame face-to-face Sprechen, das Aushandeln von Regeln und Normen, das Lachen, die Wahrnehmung der Reaktion der anderen, die verbale und non-verbale Konfliktlösung gehören zu den wichtigsten Aufgaben, die Schulen haben. Hier werden Wertehaltungen geformt. Nicht, dass das nicht auch mit dem Handy gehen würde (über diverse Accounts geschieht dies jeden Tag). Aber jeder, der schon eine Klassenfahrt mitgemacht hat, weiß um die Effekte. Die Gemeinsamkeiten dünnen sich aus, die “Mitspieler” werden weniger. Auch wenn es pathetisch klingt: In einem vollen Bus zu sitzen, gemeinsam zu singen, zu diskutieren, zu klatschen und zu rappen ist eine wunderbare Erfahrung, die auch ohne Hilfsmittel funktioniert (und wichtig ist).

Eine sachliche Diskussion über Handys zu führen, bedeutet auch, sich damit auseinanderzusetzen, wann Handys in der Tasche bleiben können.

Scheinargumente

Das Problem in einer Diskussion, die sich jedes Jahr (im Sommerloch) einmal zu wiederholen scheint, ist, dass die validen Argumente meist von Scheinargumenten übertüncht werden. Befürworter und Gegner bleiben damit schon im Ansatz stecken. Wer zwar kritisch, aber offen für eine wirkliche Auseinandersetzung ist, dem empfehle ich die schon lange bestehende Liste von Beat Doebeli-Honegger. Auf dieser Grundlage ließe sich diskutieren.

Die Diskussion geht allerdings an diesen Argumenten vorbei. Problematisch ist schon das am häufigsten zu hörende Argument, Handys lenkten vom “richtigen” Lernen ab. In Diskussionen, die unter den jeweiligen Artikeln auf Facebook und in Foren geführt werden, zeigt sich oftmals die Grundlage dieser Scheinargumente. Die Menschen sprechen von “prüfbarem Stoff”, mit dem man “durchkommen” müsse. Vor diesem Hintergrund lenkt das Handy dann in der Tat ab und sei es mit nützlichen, aber eben als nicht relevant für die Prüfung eingestuften Inhalten.

Über das “Argument”, dass “wir das früher auch nicht hatten”, sollte man gar nicht reden müssen. Wenn es nicht so häufig vorkäme. Wie so oft in den Social Media schreiben die Menschen voller Wut und ohne Punkt und Komma über die Verschlechterung der Lernleistung, ohne zu wissen, was das ist.

Was sich darin offenbart ist das grundlegende Missverständnis darüber, was Lernen bedeutet. Wer Lernen immer noch als ein zu transferierendes Gut sieht, dass von der hohen Autorität in den empfangenden Schüler gestopft wird, kann das Handy nicht als ein Werkzeug, ein Kulturzugangsgerät oder ein Weltaneignungsassistent sehen.

Drehen wir es also um: Die Frage ist nicht, ob Handys in die Schule gehören. Die Frage ist, wie diese komplexe Apparatur zum Lernen beiträgt. Wer dies durchdenkt, für den erübrigt sich auch die Frage nach dem Mehrwert.

Paradoxien

Aber selbst wenn man der Meinung ist, dass das Handy nichts mit dem (konventionellen) Lernen zu tun hat und in der Schule grundsätzlich nicht herausgeholt werden sollte, übersieht etwas. Denn was ist die Begründung dafür?

Dass Schülerinnen und Schüler sowieso schon sehr viel Zeit mit den Geräten verbringen (was auch immer sie damit tun) und dies nicht auch in der Schule geschehen sollte, ist eine durchaus nachvollziehbare Meinung.

Allerdings nehmen wir Schüler*innen damit nicht nur die Möglichkeit, mit dem Handy zu lernen, sondern auch über das Handy. Mit anderen Worten: Eine Reflexion tagtäglicher Praktiken wird verhindert. Die Schule verhindert so die Bildung über wichtige gesellschaftliche Prozesse.

Konsequenzen

Dies bleibt eine starke Verkürzung. Sie zeigt aber, dass ein einfaches “Verbot”, wie es gerade in den Kommentarspalten (!) gefeiert wird, viel zu kurz greift. Vielmehr sollte es um das Wie gehen. Wenn Schule sich nicht als eine Stoffanstalt sieht, sondern eine Institution, die individuelles Lernen ermöglicht, dann sollte sie den Lernenden zutrauen, die Mittel und Wege für ihr eigenes Lernen zu bestimmen. Das kann dazu führen, dass die Handys nicht benutzt werden. Oder dass sie benutzt werden. Aber eine Bevormundung, die den Schüler als Befehlsempfänger davon abhält, seine Lebenspraxis in den Unterricht einzubeziehen, ist nach meinem Dafürhalten kontraproduktiv.

 

1 Kommentar

  1. Dieser Artikel geht von der traditionellen Vorstellung aus, dass die Schule der alleinige, exklusive Lernort sei. Dabei war sie das noch nie und wird es auch nie sein – zumindest nicht, solange der Mensch während seiner ersten 4 Jahre im absoluten Idealfall jeden Ort zu einem Lernort bestimmen darf / kann / will. Nach wie vor klammern sich die Schule und ihre Exponenten nicht nur an ihren exklusiven Lernort, sondern auch an (aus Schülersicht) fremdbestimmte Lernzeiten und Lernpartner.

    Selbstverständlich hat Frankreich richtig entschieden. Solange die Schule und die LehrerInnen absolut unfähig sind, das Handy als orts- und zeitunabhängiges Lehr- und Lernmittel einzusetzen, solange soll es aus dem Schulzimmer verbannt werden.

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