Die politische Willensbildung ist schwierig. Vielleicht ist sie in diesen Zeiten schwieriger als sonst. Allenthalben verändert sich die Welt, sich differenziert sich in immer kleiner werdende Einzelinteressen, in Schnipsel von Wirklichkeiten und massiv globalen Veränderungen. Mittendrin ist der Einzelne, der versucht durch ein wenig Kontrolle die Fäden in der Hand zu behalten. Nun vor den Bundestagswahlen werden die Entitäten, um die es geht, aber größer. Und während sich viele Parteien zugestehen, dass nur durch Handlung in kleinem Maßstab überhaupt ein Rest an Kontrolle bleibt, posaunt die AfD, die Wahrheit zu kennen. Aber welche Wahrheit ist das?
Wer glaubt, dass er die Wahrheit gepachtet hat, besitzt ein sehr kleines geistiges Grundstück.
— ⓑ² (@blume_bob) 31. Januar 2016
Mit dem Begriff der Wahrheit musste man schon immer aufpassen. Ob nun die Konstatinische Schenkung, (die um das Jahr 800 datierte gefälschte Urkunde, die angeblich in den Jahren 315/317 vom römischen Kaiser Konstantin I. ausgestellt wurde), oder der in der Goethezeit als Referenzpunkt für den Geniegedanken herangezogene Epos "Ossian" (der sich später als zeitgenössische Fälschung herausstellte) zeigen, dass Wahrheit vor allem das ist, das Menschen glauben, und zwar insbesondere dann, wenn es in ihrer Wirklichkeit einen Vorteil bringt.
Der Glaube, dass es mit der Fotografie und flächendeckenden Videoaufnahmen eine Art objektive Wahrheit, musste schnell begraben werden. Ob Giftgasangriffe in Syrien, die Definition von dem, was diese oder jene staatliche oder außerparlamentarische Gruppe als Wahrheit betrachtet, zeigt vielmehr über das zeigende Subjekt als über das Objekt, dessen angebliche Wahrheit es benennt.
Eine Statistik (die gerade nicht aufzufinden ist) zeigte, dass in den letzten Monaten des US-Wahlkampfs mehr Fake-News (also ausgewiesene, deren Urheber zugaben, alles erfunden zu haben, um Klickzahlen zu generieren) im Umlauf waren als jene der großen journalistischen Netzwerke.
Freilich sind all dies nur kleinere Randnotizen. Wer sich eingehend mit dieser Thematik befassen will, dem sei Roger Willemsens und Dieter Hildebrandts ausgezeichnetes Hörbuch "Die Weltgeschichte der Lüge" empfohlen.
Die AfD mag in großen Teilen zersplittert und seit der Entmachtung von Frauke Petry eine hölzern und oft plump wirkende Partei sein. Ihre Kommunikationsstrategie ist jedoch hochgradig wirksam.
Dass es die AfD (nicht erst seit dem kalkulierten Eklat von Weidel) darum ging und geht, mit Provokationen im Gespräch zu bleiben, ist nicht erst seit dem internen Papier bekannt, in dem unverhohlen dazu aufgefordert wurde, zu provozieren, um dann wieder zurückzurudern.
Die dahinter steckende Strategie wurde schon des Öfteren analysiert.
All jene Strategien sind bekannt und wurden von der AfD nicht erfunden. Gut, man mag es besonders perfide finden, dass gerade eine Partei, die offen mit rassistischen Ressentiments um Wähler buhlt, jenen, die gegen sie sind, vorwerfen, eine zweite Judenverfolgung vorzunehmen.
Diese Umkehrung von Täter und Opfer geht mir auf den Sack. Gegen die AfD zu sein zeugt von Haltung, nicht von Intoleranz.
— ⓑ² (@blume_bob) 6. September 2017
Gerade diese paradox-schizophrene Opfer-Täter-Umkehrung, aus der dann der "erwachende" Übermensch wie ein Phönix aus der Asche aufsteigt, ist bei den AfD-Mitgliedern das Basisrepertoire - übrigens genau wie jene Memes, die den Gegenüber der Lächerlichkeit preisgeben.
Typisches Meme als TotschlagargumentSolche Memes nutzen wir alle.
Viel wichtiger als all die Strategien, als all die Memes und all die Beschimpfungen, die man sich, wenn man in jenen Kreisen digital aufhält, zu Gemüte führen muss, ist aber in der Tat das, was die AfD-Anhänger als Wahrheit sehen.
Die Wahrheit wird nur von den Erleuchteten gesehen.
Die Wahrheit können nur diese Erleuchteten aussprechen.
Die Wahrheit wird von allen anderen verschwiegen.
Die Wahrheit ist deutlich, und nur weil wir in der Unwahrheit leben, brauchen wir Mut.
Die Wahrheit ist, dass die Deutschen mehr wert sind als alle anderen.
Das ist sehr simpel, aber darauf beruht alles. Es zerstampft die humanistischen Werte, es zerfasert die Solidarität, es zerfetzt das Grundgesetz. Und es knüpft an dunkelste Zeiten an.
Insofern: Immer her mit der Nazikeule!
Wir müssen aufstehen, dagegenhalten, dazwischenreden. Nicht, weil diejenigen, die unsere Gesellschaft in gut (deutsch) und böse (alles andere) aufteilen wollen Spinner sind, die keine Ahnung haben. Sondern weil sie an eine Wahrheit denken, deren Umsetzung menschenverachtend, ja, unmenschlich ist.
Alle, die in den 90ern in der Schule sagten: "Ich hätte damals nicht mitgemacht."
Unsere Zeit ist jetzt.
— ⓑ² (@blume_bob) 1. November 2015