Sowohl im Praxissemester als auch im Referendariat wird von den Lehramtsanwärtern verlangt, dass sie hospitieren. Und das nicht zu knapp: Ein Gespräch mit einer Praktikantin verriet, dass 80 Hospitationsstunden in drei Wochen geplant seien. Wird diese Zeit nur als abzusitzende Notwendigkeit empfunden, kann es sehr schnell langweilig werden, da man in die Rolle des Schülers/ der Schülerin verfällt, die jedoch alles schon weiß. Um das zu umgehen, gibt es einige Tipps, wie man so hospitiert, dass man für den eigenen Unterricht etwas mitnimmt.

Update: Ein Hospitationsbogen, der die hier vorgestellten Aspekte beinhaltet, findet sich bei Lehrermarktplatz zum kostenlosen Download. Für alle, die neue Impulse, Materialien und Neuigkeiten im Bereich Referendariat und digitale Bildung haben können, gibt es nun einen neuen Newsletter, der ein Mal im Monat erscheint.

Dieser Beitrag ist Teil des Buches „Wegweiser Referendariat“, in dem alle wichtigen Blogartikel zum Referendariat vollständig überarbeitet, erweitert und angepasst in einem handlichen Buch auf 200 Seiten gesammelt sind. 

Der Lehrer und Schulleiter Jan-Martin Klinge urteilt über das Buch: „Es ist ganz einfach: Wenn Sie dieses Buch lesen, werden Sie ein besserer Lehrer“. 

Wichtigster Tipp: Der Beobachtungsgegenstand muss klar definiert sein!

In einer Unterrichtsstunde geschehen hunderte Dinge auf einmal, derer man sich meist erst bewusst wird, wenn man selbst dort steht. Es geht von scheinbar banalen Fragen darüber, wo man im Raum steht und wie man eine Rückmeldung betont, bis hin zur Dramaturgie der Stunde, mitsamt ihren Überleitungen, Aufgabenstellungen und Verschnaufpausen. Alles gleichzeitig zu beobachten, ist schlicht unmöglich. Deshalb bietet es sich an, sich selbst verschiedene Aufgabenstellungen zu suchen und von diesen auch in dieser Stunde nicht abzuweichen.

Beobachtungsgegenstände können wie folgt aussehen:

Beobachtungsgegenstand Erklärung Ausprägung
Unterrichtsgegenstand Wie ist der Unterrichtsgegenstand, also das Thema im weitesten Sinne strukturiert? Ist es bedeutsam? Hat es Bezug zum Bildungsplan? Gibt es Verknüpfungen zum vorhergehenden Unterricht? Ist es sachlich richtig?
Lernziele Gibt es klar erkennbare Lernziele? Sind die Lernziele kognitiv, affektiv, sozial? Sind sie sinnvoll? Sind sie altersgemäß strukturiert? Sind sie realistisch zu erreichen?
Strukturierung Gibt es eine erkennbare Struktur? Sind Beginn und Ende deutlich gekennzeichnet? Bauen die Unterrichtsschritte aufeinander auf? Gibt es eine Ergebnissicherung? Gibt es Hausaufgaben? Wann und wie werden sie gestellt? Wie beziehen sie den Unterricht mit ein?
Methodik und Sozialformen Wie und in welcher Weise werden Methodik und Sozialformen genutzt? Passen Methodik und Sozialformen zum Inhalt der Stunde? Funktioniert die Aufteilung? Gibt es einen Wechsel der Sozialformen? Sind die Sozialformen sinnvoll? Sind sie der Lerngruppe und dem Lerngegenstand angepasst?
Aktivierung Werden alle/ viele Schüler in den Unterricht einbezogen? Wird breit aktiviert? Wie sieht die Aktivierung aus? Ist eine persönliche Begeisterung spürbar? Gibt es Spielraum für Schülerinnen?
Einsatz von Medien Wie und wann werden Medien (von Smartphone bis Tafel) eingesetzt? Ist der Medieneinsatz sinnvoll? Angemessen? Erfüllt er einen erkennbaren Zweck? Ist es ökonomisch? Kann man alles erkennen?
Interaktion/ Persönlichkeit Wie funktioniert der Umgang mit den Schülerinnen und Schülern? Beruht die gesamte Interaktion auf gegenseitiger Wertschätzung? Wie ist die Körpersprache? Wie ist die Rolle ausgefüllt? Wie wird mit Unterrichtsstörungen umgegangen? Worin zeichnet sich die Sprache aus?
Schüler/Innen Was machen die (oder besser: einige) Schüler/Innen während der Stunde? Was lernen die Schülerinnen? Wie reagieren sie auf Aufgaben/ Rückmeldungen/ Zurechtweisungen? Was machen sie während der Stunde?

Vor allem der letzte Beobachtungsauftrag ist sehr interessant, wenn man es schafft, eine Stunde lang dem Verhalten einer bestimmten Gruppe zu widmen. Dies ist etwas, was ein Lehrer in dieser Form gar nicht mehr leisten kann, weil er zumeist alle Schülerinnen auf einmal im Blick haben muss. Hier können sich interessante Erkenntnisse ergeben, die man für seinen eigenen Unterricht nutzbar machen kann.

Generell sollte man – auch wenn manche Beobachtungsaufträge schon implizite Urteile beinhalten – darauf achten, zunächst einmal neutral und sachlich zu beobachten. Schlüsse ergeben sich zumeist aus einem Gespräch im Nachhinein. 

Natürlich bietet es sich immer an, wenn man etwas Schönes hört, dies auch dann zu notieren, wenn es grade nicht im Fokus ist.

Hospitationsbogen von Reichelt/Wenge.

Was man vor und nach der Hospitation beachten sollte

Für sehr viele Lehrer und Lehrerinnen ist die Hospitation trotz langjähriger Erfahrung ein Eingriff in den Unterricht. Sie sind wieder in der Rolle, dass sie beobachtet werden. Deshalb rechtfertigen sich viele auch als Spontanreaktion und erklären, dass der Unterricht aus diesen oder jenen Gründen nicht so ist, wie man ihn vielleicht im Seminar kennenlernt. Wichtig ist dabei immer, dass man es wertschätzt, am Unterricht teilnehmen zu können. Es ist egal, ob die neueste didaktische Finesse umgesetzt wird oder nicht. Lernen kann man immer etwas!

Um die Zusatzbelastung, die eine Hospitation für Kolleginnen und Kollegen oft darstellt so gering wie möglich zu halten, sollten einige Dinge berücksichtigt werden:

  • Rechtzeitig und höfliches Anfragen vor einer Stunde (und natürlich auch Akzeptanz, wenn die Anfrage abgewiesen wird).
  • Beim Feedback konstruktiv und sachlich bleiben und lieber Fragen stellen als explizit bewerten. Betonen, was gut gefallen hat.
  • Hilfe anbieten!

Man muss immer bedenken: Viele Kolleginnen und Kollegen sind schon seit längerer Zeit aus dem Seminar heraus, haben bestimmte Rituale und „Taktiken“ entwickelt und haben ihr ganz eigenes System. Davon zu lernen heißt auch, es auszuhalten, falls davon etwas dem, was man gelernt hat, widerspricht.

Hier geht es zu Tipps zur Sachanalyse und hier zu Tipps, wie man einen Unterricht richtig entwirft. 

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Wer noch mehr erfahren möchte, kann das Buch “Das Abc der gelassenen Referendare” käuflich erwerben. Es richtet sich an Lehramststudentinnen und Studenten sowie an Referendarinnen und Referendare, die schon vor oder beim Beginn ein paar hilfreiche Tipps gebrauchen können.

Man kann es hier über Amazon oder auf der Seite des Verlags kaufen.

Ich hoffe, dass dies dem einen oder anderen helfen kann. Wenn dem so ist, lasst mir doch ein Like auf meiner Facebook-Seite da. Hier findet ihr immer wieder Materialien, Diskussionen und hilfreiche Beschreibungen.

Für konstruktive Kommentare und Anmerkungen bin ich wie immer offen.

 

14 Kommentare

  1. Eine sehr hilfreiche Zusammenstellung.
    Damals, in meiner Grundschullehrerausbildung haben wir das ähnlich gemacht – ich muss zustimmen: Es ist hilfreich, sich auf einige Spezifika zu konzentrieren und diese konzentriert zu beobachten.
    Gut finde ich auch den Hinweis zum Schluss: Höfliches und respektvolles Auftreten von Seiten der Hospitierenden sollte selbstverständlich sein – auch wenn ich mich erinnern kann, dass wir als “Grünschnäbel” damals doch ab und zu ganz schön vorlaut waren.
    Aber: Auch davon habe ich was lernen können 🙂
    Viel Erfolg weiter und einen angenehmen Tag.
    VG, Marc.

  2. Schade, dass die Hospitationen meist mit dem Ende des Referendariats aufhören. Ich gebe meinen (viel zu seltenen)Praktikanten gezielt Beobachtungsaufgaben, Kinder, aber auch Lehrerhandeln/Lehrersprache betreffend und bin sehr dankbar für dieses Korrektiv. Auch wir Lehrer sollten viel öfter gegenseitig hospitieren, gerade in Klassen, in denen Schwierigkeiten auftreten, um gemeinsam Ursachen / Handlungsketten herauszufinden. Von dieser inneren Öffnung des Unterrichts könnten alle nur profitieren. M. E. gehört es zur Professionalisierung des Unterrichts dazu.

    • Guten Tag, C. Schicke,
      gegenseitige Hospitation im Unterricht kann man als Lehrkraft jederzeit machen. Suchen Sie sich einen Partner im Kollegium und laden Sie ihn in Ihren Unterricht. Sagen Sie ihm, was Ihnen in dieser Stunde wichtig ist bzw. was er/sie beobachten soll und werten Sie diese Beobachtung anschließend aus. Das Ganze kann man als Schulentwicklung unter dem Stichwort Individualfeedback angehen. Entsprechende Hinweise finden Sie auf dem baden-württembergischen Schulserver (www.schule-bw.de/unterstützung). Sinnvoll ist es, wenn man sich vorher etwas mit den Regeln zum Feedback-Geben vertraut gemacht hat, um sich herbe Enttäuschungen zu ersparen.

  3. Finde ich einen guten Überblick. Man sollte sich allerdings eine frage stellen, was man beobachten will. ‘wie reagiert Der Schüler darauf, Wenn Lehrer ihn trotz Melden nicht dran nimmt’.
    allerdings tu ich mich selbst mir so einer Frage sehr schwer…

  4. Ich habe eine nervige Referendarin bei mir drin sitzen. Nervig deshalb, weil sie sich ständig einmischt. Wenn ich eine Mitteilung gebe, sagt sie sofort: “Also bei MIR ist sowas ein Verweis! (Handy klingelt zb)” oder “Pass mal auf, was ICH gleich mit dir mache!” und rennt meinen Schülern hinterher und versucht, sie zu disziplinieren. Am Ende der Stunde beklagt sie sich immer, ist sehr negativ und jammert über die Schüler. Es ist zugegebenermaßen die “schlimmste” Klasse der Schule und dann hab ich die auch noch in Werken.
    Ständig muss ich mir anhören, was meine Referendarin aus ihrer Sicht alles besser machen würde. Was Gutes hat sie noch nie gefunden, obwohl die Schüler inzwischen zum Großteil konzentriert arbeiten und wir auch schöne Gruppenarbeiten etc machen.
    Wild sind sie natürlich immer noch, aber hey, es handelt sich um 8.klässler in der Mittelschule, Inklusion inklusive, also alles einigermaßen normal. Da muss man halt mal über das ein oder andere hinweg sehen, wenn man nicht in der Klapse landen will.

    Jetzt muss ich sie zum Gespräch bitten, damit sie ihre Hospitation wieder als solche wahrnimmt und sich nicht als mein Seminarleiter oder Teamlehrer aufspielt.

    Vielleicht ist nicht alles Referendaren klar, wo sie eine Grenze bei ihren Kollegen überschreiten können. Zwischendurch habe ich sogar angefangen, an mir zu zweifeln, weil sie wie so ein Teufelchen auf meiner Schulter sitzt und mir erzählt, wie schrecklich alles ist. Ehrlich gesagt, wäre mir das sonst gar nicht so aufgefallen XD

  5. Danke für den gewohnt guten Ratgeber.
    Ich wäre zu einer einwöchigen Hospitation am anderen Ende der Republik eingeladen.

    Selbstredend wird diese nicht vergütet werden, auch wenn Schulen mit Ausnahmen dies nicht äußern (eigentlich müssten sie das).

    Die große Bitte um eine Auskunft wäre jetzt: wäre Jemandem zufällig bekannt, ob bzw. dass es irgendwo Stipendien für Schulhospitationen gäbe bitte?

    Die Anfrage wäre per sofort; allerdings kann ich mir weder die Reise noch den Aufenthalt leisten.

  6. Entschuldige das off topic bei dem Lob, dass Du höchst energiereich im Kultus wirkst.
    Aktuell schätzte ich deinen Beitrag über die Geschichte der Staatsgründung von Israel.

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