Das Thema „Störungen im Unterricht“ ist allgegenwärtig und wird oft diskutiert. Dabei wird der Schwerpunkt oftmals (und fälschlicherweise) auf das Verhalten der Lehrperson nach einer Störung geachtet. Dabei zeigt Hans-Peter Nolting[1], wie wichtig die Prävention eines Störverhaltens ist.

Ob jung und unerfahren oder alt und erfahren: Lehrerinnen und Lehrer kennen das Problem von aufmüpfigen, unkonzentrierten oder übel gelaunten Klassen. Schnell zeigt sich, dass es aber nicht nur auf die Klasse selbst ankommt, sondern auch auf das institutionelle Umfeld – sei es, dass die Klasse eine Arbeit geschrieben hat oder dass gerade Baumaßnahmen an der Schule anstehen. Schnell verzweifelt man ob den fehlenden Alternativen, die Klasse „in den Griff zu kriegen“.

Prävention ist wichtiger als Intervention

Dr. Hans-Peter Nolting, der Pädagogische Psychologie an der Universität Göttingen lehrt und dort für die Lehrerausbildung verantwortlich ist, zeigt in seinem für die Praxis ausgerichteten Buch, dass der Fokus auf das Verhalten nach einer Störung[2] Teil des eigentlichen Problems ist:

“Disziplin ist nicht eine Frage der Disziplinierung, sondern des pädagogischen Geschicks.“[3]

Es wird also davon ausgegangen, dass zumindest jenem Teil der Störungen, die im direkten Einflussbereich der Lehrperson liegen, aktiv und im Vorhinein begegnet werden kann. Gegen die Annahme von befragten Lehrern, dass es vor allem die (jeweils für gut oder schlecht befundenen) Interventionsmaßnahmen sind, bei denen sich gute von schlechten Lehrern unterscheiden, zeigt Nolting anhand der Forschung von Jacob Kounin[4], dass es nicht darum geht, in welchem Maße und in welcher Weise eine Klasse oder ihre Schüler ermahnt werden, sondern um die Analyse der Situation, die vor der eigentlichen Störung stattgefunden hat. Damit desavouiert er wirksame Interventionstechniken als bloße „Täuschung“[5].

Die von Kounin durch Videoanalysen ergebenen Funde, die Nolting in die Praxis überträgt, sind so simpel wie hilfreich. Es ergeben sich vier „disziplinarrelevante Bereiche“[6] (folgende Beschreibungen sind angelehnt an die Wortwahl Noltings in der Übersicht zu dem Thema):

  • Vorausplanende Prävention: Wichtigkeit von bekannten Regeln und der Etablierung eines überdauernden Ordnungssystems, Vorbereitung der Unterrichtsabläufe
  • Prävention durch breite Aktivierung: Akzent auf Unterrichtsführung bzw. Lernmanagement mit dem Ziel der breiten Aktivierung möglichst vieler Schüler
  • Prävention durch Unterrichtsfluss: Akzent auf Vermeidung eigener Unterbrechungen des eigentlichen Unterrichts
  • Prävention durch Präsenz- und Stoppsignale: Akzent auf die Überwachung und Beeinflussung der SchülerInnen hinsichtlich regelgerechten Verhaltens.

Die Konsequenzen, die sich aus diesen grundlegenden präventiven Maßnahmen ergeben, sind in so großem Maße relevant für den gelingenden Unterricht, dass die Energie nicht mehr oder zumindest in einem erheblich verminderten Maße auf die Intervention und Sanktionierung zu verbrauchen ist.

(Für eine Übersicht der weiteren, hier nicht besprochenen Themen, siehe Anhang am Ende des Artikels).

Die wohl größte Überraschung ist es wohl für die meisten, dass eine präventive Maßnahme das Auslassen des eigenen Störverhaltens ist (das zum Beispiel durch einen „Einfall“ bezüglich Organisation oder unverhältnismäßige „Standpauken“ entstehen kann). Auch heißt wohl der kleinste Nenner: Inhaltliche und strukturelle Klarheit lässt keinen Raum für anderweitiges (Fehl-)Verhalten.

Man sollte einmal auf eines oder mehrere dieser Maßnahmen zu achten; es ist erstaunlich, wie sehr sie den Unterricht beeinflussen können.

Ist jemand mit der Theorie vertraut und hat Erfahrungen gemacht? Was meint ihr zu der Forderung nach mehr Prävention und weniger Intervention?

Anhang:

Struktur des Buches

1. Vorstellung der Rahmenbedingungen  

  • Definition von Störung/ Gründe für Störungen
  • Umfrage
  • Kounins Befunde
  • Konsequenzen

2. Störungsprävention 

  • Regeln und Organisation
  • Prävention durch breite Aktivierung
  • Prävention durch Unterrichtsfluss
  • Prävention durch Präsens- und Stoppsignale

3. Intervention bei Konflikten

  • Akute Intervention
  • Maßnahmen gegenüber der Klasse
  • Maßnahmen gegenüber Einzelnen
  • Problemdiagnose
  • Kooperative Intervention
  • Aggressionsverminderung

4. Pädagogische und praktische Konsequenzen

 

 


[1] Nolting, Hans-Peter: Störungen in der Schulklasse. Ein Leitfaden zur Vorbeugung und Konfliktlösung. 6., überarbeitete und erweiterte Auflage. Weinheim und Basel 2007.

[2] Nolting unterscheidet zwischen aktiven und passiven Störungen, wobei passive Störungen sich auf einen „Mangel an erwünschter Aktivität“ beziehen. Vgl. Ebd. S.12.

[3] Ebd. S.23.

[4] Kounin, J. S.; Techniken der Klassenführung. Stuttgart 1970.

[5] Nolting (2007). S.40.

[6] Ebd. S.43.

4 Kommentare

  1. Kannt diese Theorie noch nicht.

    Ich unterstütze ich die theoretische Annahme, dass eine klare Klassen- und Unterrichtsführung mit Aktivierung möglichst Vieler zu einem eigenen Lernprozess ein sehr wirksame Vorbeugung von Störungen des Unterrichts darstellt.

    Ergänzen möchte ich noch eine Beobachtung aus Elternsicht: Offensichtlich wird Lehrer/innen in der Ausbildung der häufigere Wechsel der Sitzordnung als Methode zur Unterstützung der Klassen-Gruppenbildung empfohlen. – Kann durchaus hilfreich sein, wird aber meiner Meinung nach öfters in Überreglementierung und Häufigkeit übertrieben. Oft beklagen die Lehrkräfte dann die “Unruhe” in der Klasse, die sie selbst mit angestoßen haben. Meine Anregung: Nach einem Schuljahr können die Kinder und Jugendlichen durchaus eine eigene Idee für die Sitzordnung entwickeln und in diese sollten wir Lehrkräfte nur dann eingreifen, wenn es Probleme gibt.

    • Das kann ich unterstützen, jedoch sind die verschiedenen Standpunkte zu diesem Thema so verschieden, dass man auch Kompromisse eingehen muss.

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