ESSAY: Geständnisse eines Essayisten

Bob Blume
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6. Mai 2013
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Sapere aude! Der Essayist übersetzt keine lateinischen Zitate. Er geht davon aus, dass jeder, der seine Schreibe liest, auch weiß, was gemeint ist. Deshalb braucht es auch kein Vorgeplänkel. Es geht direkt in den Text.

In medias res. Der Essayist sucht nicht nach Motiven. Er findet sprachliche Klammern zwischen den ihn abstoßenden menschlichen Wesen, deren Individualität er ihnen per se abspricht, weil sie Belletristik lesen, und der Natur, die er vergöttert, weil man sie als Essayist vergöttern muss.

Der Essayist schreibt über nichts Belangloses, weil alles, über das er schreibt, von Belang ist, weil er darüber schreibt.

Der Essayist ist, was er ist. Alles und nichts.

Eigentlich hasst der Essayist Sprachwitze, nicht nur, weil er Sprache als logisches Werkzeug seiner Gedanken sieht, sondern auch, weil er an der Dechiffrierungsqualität seiner Leser zweifelt.

Der Essayist raucht und schreibt über das Rauchen, veröffentlicht es aber nicht, weil er das zu Mainstream findet.

Der Essayist benutzt keine Wörter wie Mainstream, weil er anglophob ist. (Der Grund dafür ist in der Geschichte des englischen Essays begründet, die dem Schreibenden eine Wissenschaftlichkeit abverlangt, die der Essayist verabscheut).

Der Essay wünschte sich manchmal, dass er eine Aufgabe hätte, über die sich zu schreiben lohnte.

Der Essayist verbindet in einem Satz das Politische, das Historische und das Banale, wobei er nur die Art von Banalem beschreibt, die ihm nicht zu banal ist. Natürlich bleibt es aber nicht banal, wenn der Essayist darüber schreibt.

Der Essayist hasst den Parallelismus.

Der Essayist hasst den Nominalstil.

Der Essayist trägt Kleidung, um sich dem Wetter anzupassen. Stil ist nicht sein Stil, außer beim Schreiben.

Sapere aude! Der Essayist lacht über griechische Autoren, um damit zu zeigen, dass er sie kennt.

Der Essayist kennt so gut wie keine griechischen Autoren.

Am Ende seines Essays kommt der Essayist zu einer Erkenntnis, die sich zumeist darauf beschränkt, dass die Erkenntnis an sich Beschränkungen unterlegen ist, denen man mithilfe von Essays nicht beikommen kann.
Dann lächelt der Essayist und ist irgendwie zufrieden.

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