Ich schreibe regelmäßig, seit ich 16 Jahre alt bin. An die Jahre zuvor kann ich mich zumindest nicht erinnern. Meine Mutter erzählte mir vor einiger Zeit, dass ich den Zauberlehrling mit 4 Jahren auswendig konnte. Ich liebte die Sprache also schon früh. Ich erinnere mich gut an meine Lieblingskassette, auf der auch Gedichte von Gottfried August Bürger und Theodor Fontane waren. Seitdem ist Schreiben - und das Nachdenken darüber - immer mehr Teil meines Lebens geworden. Einige Gedanken über das Schreiben und Nachdenken möchte ich hier teilen, wie in einem Tagebuch, das eigene Reflexion aber vielleicht auch Impulse liefert. Für wen, das weiß ich nicht.
7.12.2025
Über das Schreiben an und für sich
Ich habe mich erschrocken, als ich gesehen habe, dass ich vor so langer Zeit hier rein geschrieben habe. Denn eigentlich wollte ich das regelmäßig machen. Für mich. Das ist das Wortspiel des Titels: An und für sich. Haha. Seitdem ich schreibe, kämpfe ich mit dem Gedanken daran, für wen ich das tue. Viele Jahre meines Schreibens habe ich gesagt, dass ich es nur für mich tue. Heute bin ich mir sicher, dass ich das tat, um dem Schmerz zu entgehen, der sich einstellt, wenn jemand das Geschriebene kritisiert oder - noch schlimmer - ignoriert. Auch nach 13 Büchern innerhalb der letztens 6 Jahre ist das nicht besser geworden. Nur eine Sache hat sich verändert. Ich merke, wie sehr ich das schreiben liebe und auch, wie fürchterlich ich es finde, es in die Welt hinaus zu lassen. Aber ich weiß immer noch nicht, ob das eine ohne das andere weiter bestehen würde. Es ist ein stetiges Hin und Her. Dieser Text zum Beispiel hat kein richtiges Ziel außer meiner Orientierungslosigkeit Ausdruck zu verleihen. Für mich selbst. Aber er liegt auf dem Blog, kann also auch gelesen werden.
Über die letzten Monate versuchte ich mich von dem Gedanken zu verabschieden, dass ich ein Label finden muss. Dass ich zwischen all den Rollen irgendwo ankommen muss, wo mir klar ist, wenn mich jemand fragt, was ich bin, anstatt selbst zu überlegen oder die Entscheidung denjenigen zu überlassen, die mich eingeladen haben. Aber es fällt schwer. Ich glaube, ich bin ein wenig weiter gekommen, indem ich weiß, was ich will: Ich will schreiben. Für mich und für andere. So wie ich es auch in den letzten 25 Jahren getan habe. 25 Jahre! Und fast 15 Jahre hier auf dem Blog, auf dem mehr als 1000 Artikel liegen.
Als ich Anfang dieses Jahres darauf wartete, dass die Verträge für die nächsten beiden Bücher fertig gemacht wurden, las ich Benedikt Wells' Buch "Die Geschichten in uns". Danach las ich es nochmal. Und gerade höre ich es. Es war der Anlass, einen weiteren Versuch zu starten, einen Roman zu schreiben. Ich bin dabei. Und ich habe keine Ahnung, wann er fertig werden wird. Ich weiß aber durch Testleser, dass es zumindest mehr ist als eine fixe Idee, eine Träumerei. Es ist das Schönste und Schlimmste, was ich bisher geschrieben habe. Und ich bin mir sicher, dass ich dies tun möchte in meinem Leben. Dies ist wohl auch der Grund, warum ich dieses Jahr so viele Kurzgeschichten veröffentlicht habe wie in keinem Jahr zuvor. Kurzgeschichten, die auch in Schulen thematisiert werden. Warum muss ich das betonen? Ist also das Schreiben doch nicht an und für sich. Es bleibt für mich eine ewige Frage. Vielleicht kann ich sie irgendwann beantworten. Und vielleicht muss ich dann gar nicht mehr darüber schreiben.
17.5.2025
Über den Wert der Schullektüre
Vor nicht allzu langer Zeit gab es einen Zeitungsbericht darüber, wie ein Schweizer Maturant KI so trainierte, dass sie in der Lage war, in bestmöglich auf Goethes "Faust" vorzubereiten. Kein langwieriges Lesen, Unterstreichen und Herausschreiben mehr, sondern effizientes Lernen aller nötigen Zusammenhänge. Schöne neue Welt, könnte man meinen. Und in der Tat wurde der Junge auf LinkedIn gefeiert. Er hat das System gehackt und gute Noten bekommen. Ich hatte - und habe - ein flaues Gefühl. Kein Wunder, da ich als Deutschlehrer und damaliger Germanistikstudent, der es geliebt hat, sich intensiv mit den Büchern, Dramen und Gedichten zu befassen, an den inhärenten Wert von Literatur glaube. Und zwar nicht zweckgebunden, sondern auch als Möglichkeit, eine andere Perspektive zu verstehen, eine andere Zeit, oder gleichsam beides: andere Perspektiven in einer anderen Zeit. Nun ist es freilich so, dass Schule dies oftmals nicht transportieren kann. Und ist es nicht besser, wenn jemand die neuesten Mittel, die ihm oder ihr zur Verfügung stehen, nutzt, um einen alten Stoff zumindest in den Kernbestandteilen zu verstehen? Früher gab es auch die "Lektüreschlüssel", die einem dabei geholfen haben, dem Text Sinn zu entnehmen. Ich glaube weiterhin, dass Schulen in Zeiten der KI die Frage beantworten müssen, wie sie den Stoff zu Sprechen bringen. Wie sie es erlauben, dass Bildung berührt.
Gleichzeitig machte, oder mache ich, eine weitere Erfahrung. Mit einem alten Schulfreund haben wir über eine Schullektüre gesprochen, die uns mittlerweile berührt, die damals aber weit von unseren Erfahrungen entfernt war. Nun verstehen wir die Passagen, sprechen über sie und finden sie für uns selbst gewinnbringend. Würden wir diese über 200 Jahre alte Lektüre lesen, wenn wir nicht schon eine Idee aus der Schule mitbekommen hätten, das sie existiert? Ich bezweifle dies. Und würden wir zurückkommen auf diesen Text, wenn wir ihn uns damals mittels KI in effizienter Form angeeignet hätten? Diese Frage lässt sich schwer beantworten, aber auch dies bezweifle ich.
"Bildung bedeutet auch das kennenzulernen, wogegen man sich entscheiden kann", sagte ich in meinem Ted-Talk. Die Pointe ist im Grunde genommen auch, dass die überall als Maßstab genommene Zweckmäßigkeit sich auch sehr viel später ergeben kann. Damit wird Bildung zu einem in die Zukunft gerichteten Möglichkeitsraum. Die Möglichkeit, sich zurückzuwenden oder in eine Breite, von der vorher noch nicht klar war, dass sie einmal relevant sein könnte. "Wozu brauche ich das?" greift dabei als Frage zu kurz, weil Nützlichkeit sich meist auf eine Tätigkeit ausrichtet, und dann meist auf eine, die mit monetären Interessen zu tun hat. Hätte hingegen der Lehrer, bei dem wir die Lektüre lasen, damals gesagt, dass die Nützlichkeit darin besteht, dass wir 25 Jahre später über tausende Kilometer hinweg darüber sprechen, hätten wir ihm wohl zumindest innerlich den Vogel gezeigt.
Ich bin froh darüber, auf jene Texte und Inhalte zugreifen zu können, wenn ich es will, auch wenn sich deren Relevanz erst sehr viele Jahre später zeigt. Und wenn sie sich nicht oder noch nicht zeigt, dass ist es doch jener Möglichkeitsraum, der als zukünftiges Potenzial für immer bestehen wird.
25.4.2025
Erinnerungen an meine erste re:publica
"Das sind ja echte Menschen", dachte ich, als ich in der U-Bahn zu meiner ersten re:publica fahre. Das ist 10 Jahre her. Und ein Ereignis hat mich damals irritiert, obwohl es sich, wenn man es liest, trivial und naiv anhören muss. Ich stand in der Bahn, ein Ticket um den Hals und eine nette Frau sprach mich an: "Du bist doch der, der diesen Tweet zum Bruchrechnen geschrieben hat, oder?" "Ja, sagte ich." "Mein Sohn und ich haben so gelacht." Und dann ging das Gespräch weiter, aber an den Rest erinnere ich mich nicht mehr. Nur, dass ich damals das erste Mal verstand, dass auf der anderen Seite dessen, was ich poste, echte Menschen sind, die echt darauf reagieren, was ich schreibe. Sollte man das nicht sowieso wissen? Ist es nicht naiv, das nicht mit einzubeziehen?
Mittlerweile denke ich, zu einem gewissen Grad ist das sogar gut. Mit dem Gedanken, wie viele Menschen einen Post (mittlerweile) sehen, wer das ist und was diese sich denken, würde man wohl paranoid. Und würde gar nichts mehr posten. Zu groß die Chance, dass jemand was falsch versteht, dass man selbst etwas ungünstig oder verkürzt ausdrückt, dass es Kritik hagelt oder Drohungen. Ich blende es aus, aber die damalige kurze Begegnung war dennoch etwas Besonderes. Ich weiß nicht, ob man das nachvollziehen kann.
Nachdem ich aus der Bahn ausgestiegen bin, ging es natürlich weiter. Ich war überwältigt: So viele Menschen, die auch Interesse an der (digitalen) Gesellschaft haben. Es brummte vor Inspiration. Auf Tagungen und Konferenzen, auf die Lehrkräfte gehen, die Schule verändern wollen, erlebe ich dies aus zweiter Hand: In den Augen und Gesprächen derjenigen, die zum ersten Mal in einen Kontext kommen, wo Menschen sind, die so ähnlich denken wie sie. Nicht in jedem Bereich, aber doch in dem Grundverständnis, dass eine andere, eine bessere Gesellschaft möglich ist. Und nun freue ich mich auf die nächste re:publica, auf die Gespräche, auf die Talks und natürlich auf meine eigene Keynote. Mal sehen, welche kleine oder große Erkenntnis ich dieses Mal mitnehmen werde.
15.3.2025
Über Bücher
Egal, wohin ich in unserer Wohnung gehe: Überall bin ich umgeben von Büchern (vielleicht mit Ausnahme des Kellers). Sie finden sich in einem großen Regal im Wohnzimmer, in der Küche, im Schlafzimmer, auf der Toilette, im Bad und selbstverständlich in meinem Büro, das ich liebevoll Bibliothek nenne. Es gab eine Zeit, da haben mich die Bücher, damals noch weniger, unter Druck gesetzt. Sie schaute mich an und fragten vorwurfsvoll: Warum liest du mich nicht? Und selbstverständlich habe ich nicht alle gelesen. Viele, vielleicht die meisten. Mit manchen beginne ich, lege sie weg, krame sie irgendwann wieder hervor. Ich lese meist mehrere Bücher auf einmal, eine Angewohnheit, die nicht zu empfehlen ist. Aber andererseits mag ich es, vom Roman zum Sachbuch zu wechseln, eine Erzählung zu lesen oder Essays und Briefe. So findet sich Bregman neben Kafka, Wells neben Nassehi, und viele andere mehr. Der Beistelltisch neben meinem Bett ist ein Berg, den ich nur selten abtrage.
Wie passt das zusammen mit jemandem, der doch so oft in Sachen "Digitalisierung" angefragt wird? Für mich gibt es verschiedene Arten zu lesen. Und diese haben nicht nur, aber auch mit der Form zu tun: Die Buchform selbst fordert dazu heraus, den dort entfalteten Gedanken, die Geschichte, als ein Ganzes zu lesen, von vorne bis hinten. Es geht nicht um das schnelle Ergebnis, die es die KI einem auf Knopfdruck vorlegt, sondern um den Prozess, der einen meist erst den Gedanken, der viel später kommt, verstehen lässt. Es setzen sich Gedanken fest, unbewusst, die dann wieder hervorkommen, Wochen, manchmal Monate später. Dann denke ich: Das stand in dem Buch. In welchem? Das braune. Wo war es? Links oben im Regal, neben der Geschichte der Menschheit. Und dann nehme ich es zur Hand und erinnere mich: Es war kurz nach dem Zitat, Dreiviertel ins Buch hinein, links oben. So etwas hatte ich digital noch nie. Und es freut mich, von diesen Gedanken umgeben zu sein, die ich im Gehen erreichen kann und die mir zur Verfügung stehen, wann immer ich mich aufmache, sie wieder zu umfassen.
13.3.2025
Über die Unzweckmäßigkeit
Seit langem wieder habe ich mit einem Studienfreund telefoniert. Nachdem wir auf dem neuesten Stand unserer Lebensentwürfe angekommen waren, sprachen wir über unsere Studienzeit. Sie war geprägt von einem Interesse, das die Frage nach Ziel oder Note ausließ. Es war vor der Bolognareform, es gab keine ECTS-Punkte. Zwar wurden die Hausarbeiten und Prüfungen bewertet, aber für den späteren Abschluss waren sie irrelevant. Mich erinnerte das an Kants „Kritik der Urteilskraft“ (1790), in der er anmerkt, dass wahre Kunst nicht primär einem praktischen Nutzen dient, sondern vielmehr für sich selbst existiert und als ästhetisches Erlebnis geschätzt wird. Nicht jeden Abschnitt, aber doch viele meines Studiums, kann ich in diesem Sinne beschreiben. Zwar nicht als bloße Rezeption des Schönen und Wahren, sondern in der Auseinandersetzung. Aber eben in einer Form der Ziellosigkeit, der Unzweckmäßigkeit, die es erst schafft, die oberen Schichten eines allzu naheliegenden Verständnisses abzuschaben. Ich habe es geliebt.
Gleichzeitig werde ich wehmütig, weil ich wahrnehme, dass Unzweckmäßigkeit sich verdächtig macht, dass Nutzen und Nützlichkeit geradezu unterstellt werden. Vielleicht bin ich schon angelangt in eben jener verklärenden Phase des Rückblicks, die man immer nur bei anderen vermutet. Dann wäre der Gedanke eine Sackgasse.