Angeregt durch einen sehr gewinnbringenden Austausch mit meinem Kollegium über “zeitgemäße Prüfungsformate” und die dazugehörigen Ideen (unter anderem beim Institut für zeitgemäße Prüfungskultur) möchte ich weiter darüber nachdenken, wie man digitale Produkte bewerten kann. Da meine Gedanken dazu noch nicht abgeschlossen sind, erhoffe ich mir konstruktive Kritik und Ergänzungen über Social-Media und – im besten Falle – dem Kommentarbereich. Sollte so eine in sich stimmige Version entstehen, wird das “Work in Progress” im Titel entfernt. 

Worum es nicht geht

Zunächst eine Art Disclaimer: An dieser Stelle geht es nicht darum, inwiefern es sinnvoll ist zu bewerten oder nicht. Die Überlegungen gehen von der Prämisse aus, dass eine Bewertung auch unter den Bedingungen des digitalen (Fern-)Unterrichts stattfinden sollte und aus mehr besteht als aus einer Note. Aber: Auch diese sind eingeplant.

Bisherige Erfahrungen

Meine eigenen Erfahrungen mit der Bewertung digitaler Produkte sind positiv, aber, wie ich meine, unvollständig. Bewertet wurden beispielsweise digitale Lesejournale (als Padlets), Blogbeiträge zu verschiedenen, selbst gewählten Themen und zuletzt eine Broschüre in Englisch. Dazu einige Bemerkungen:

1. Lesejournale/ Broschüren

Die Lesejournale basierten auf bestehenden Aufgaben und Kriterien. Aufgaben konnten ausgesucht und in einem zuvor transparent gemacht Zeitraum (über mehrere Wochen) erarbeitet werden. Die Lesejournale liefen neben dem Unterricht, waren also nicht explizit Teil der Zusammenarbeit. Die Bewertung war keine isolierte Note, sondern eine (mögliche) Verbesserung der Note der Arbeit.

Dies traf auch auf digitale Broschüren im Englischunterricht zu. Hier waren die Aufgaben weniger vorgegeben als in dem Lesejournal. Es ging vielmehr darum, einem irischen Besucher eine Broschüre an die Hand zu geben, mit der dieser sich in Deutschland zurecht finden könnte. Auch die Broschüre fand über ein Padlet statt.

Ausschnitt des digitalen Lesejournals. Über Padlet abrufbar und klonbar.

Erkenntnisse

Aus meiner Sicht haben die digitalen Lesejournale bei vielen Schüler*innen dazu geführt, dass das digitale Produkt mehr als ein tatsächliches Produkt angesehen wurde. Zuvor hatte ich zumindest das (vage) Gefühl, dass dies eher bei haptisch erfahrbaren Produkten der Fall war. Es fanden sich fantastische Inhalte, die von eigenen Trailern zu Leseproben reichten. Natürlich gab es auch Versionen, in denen deutlich wurde, dass die Ersteller eher weniger Zeit und Muse investiert hatten.

Die Bewertung wurde angenommen, was aber auch an dem Audiofeedback lag, in dem ich für jedes Lesejournal die einzelnen Teile rückmeldete. Die Kriterien waren zwar transparent, aber von mir entworfen. Hier möchte ich zukünftig ansetzen.

2. Blogbeiträge

Seit etwa drei Jahren lasse ich Schüler*innen der Kursstufe einen eigenen Blog führen, der zu einem eigenen Thema geführt, aber auch als digitales Heft geführt werden kann. Anders als beispielsweise die Kollegin Monika Stiller bin ich aber schnell davon abkommen, die Beiträge (selbst dann, wenn sie selbst ausgesucht worden sind) zu bewerten.

Erkenntnisse

Eine Schülerin, die damals sehr große Probleme mit dem Schreiben hatte, schrieb auf ihrem Blog über ihre Heimat. Das war stilistisch nicht brillant, es gab viele Fehler aber, so pathetisch es kling: Es kam von Herzen. Sollte ich der Schülerin dafür danken, das erst Mal mit viel Freude und Herzblut geschrieben zu haben und ihr danach eine Ziffer dafür zu geben, die wieder zeigt, dass sie den Ansprüchen nicht gerecht wird? Das kam mir falsch vor. Ich bewertete die Blogs nicht mehr und versuchte, mit viel gutem Zuspruch dafür zu sorgen, dass dennoch weiter gebloggt wird. Das ist sehr anstrengend, aber möglich.

3. Vermischte digitale Produkte

Des Weiteren haben Schüler Videos (nach dem Beispiel von Rezo und als Antwort auf diesen), Audioreportagen (zu “Jugend ohne Gott”) und verschiedene kreative Kleinformen erstellt. Bei diesen Beispielen verzichtete ich auf eine Bewertung, da immer die Gefahr besteht, dass durch die Bewertung das Interesse an dem eigentlichen Gegenstand verloren geht.

Ausgangslage

Nun also geht es mir darum, anhand von einigen weiteren Impulsen ein digitales Produkt erstellen zu lassen. Einige Punkte habe ich schon vage im Kopf, würde mich an dieser Stelle aber über Kritik und Ergänzungen freuen.

  1. Formen des digitalen Produkts: Ich möchte Schüler*innen in Kleingruppen dazu bringen, selbst über digitale Produkte zu sprechen, die komplex genug sind, bewertet zu werden. Davon erwarte ich mir, dass diese schon vor der eigentlichen Arbeit kreativ sein können und so nicht gezwungen sind, kreativ zu sein, wenn schon eine Entscheidung gefallen ist.
  2. Kriterien für die Bewertung: Die Kriterien für die Bewertung möchte ich auch mit den Schüler*innen erarbeiten. Dazu sind zwei Punkte wichtig: Zum einen habe ich vor, Schüler*innen in Kleingruppen Kriterien bearbeiten zu lassen, und diese dann in einem zweiten Teil mit der Klasse zu besprechen. Die Erarbeitung der Kriterien ist als nicht nur Mittel zum Zweck, sondern ein eigener Gegenstand. Davon erhoffe ich mir Transparenz, Augenhöhe und Nachvollziehbarkeit der spätere Wertung. Allerdings werde ich dennoch Kriterien einfließen lassen, die unverhandelbar sind. Diese können sich natürlich je nach Gegenstand und Kompetenz unterscheiden. Zu denken ist an: Inhaltliche Tiefe und Richtigkeit. Aber auch an einen weiteren Punkt, den ich separat besprechen möchte.
  3. Prozess-Protokoll: Bei Lars Mecklenburg gibt es zu offenen Klassenarbeiten eine “Academic Honesty Erklärung“, in der Schüler*innen festhalten, welche Hilfen sie beansprucht haben. Daran angelehnt würde ich gerne ein Prozess-Protokoll als Teil der Bewertung vorgeben. Dies soll dafür sorgen, dass die eigene Arbeit (und Verantwortung in der Zusammenarbeit) reflektiert und nachvollziehbar gemacht wird. Von einem solchen Protokoll erhoffe ich mir sehr viel, weil ich mir vorstellen kann, dass dies auch zu Klausuren führen kann, in denen (in Präsenz) das Handy genutzt wird. Zu überlegen wird sein, ob genaue Fragen für das Protokoll vorgegeben werden (Also im Sinne eines “wer hat wann was warum” gemacht oder ob dieses offen bleibt). Ich denke, dass dies auch von Klassenstufe und Vorerfahrung abhängig gemacht werden muss.

Offene Frage(n)

Auf dieser Grundlage eines gemeinsam erarbeiteten Kriterienkatalogs, in dem auch ein Prozess-Protokoll festgelegt wird, kann ich mir eine Bewertung einer digitalen Arbeit vorstellen, selbst wenn diese von Schülern selbst erarbeitet worden ist. Oder gerade deshalb.

Offen ist für mich noch, was genau eigentlich “komplex” ist. Ein sehr genau geplanter Podcast oder ein Hörspiel kann sicherlich mehr Tiefe haben als ein Stop-Motion-Film. Oder doch nicht? Sind Filme per se komplexer als Audioaufnahmen? Und wie soll man dies festhalten?

Eine weitere Frage ist es, ob es möglich wäre, eine Art Matrix herzustellen. Darüber habe ich mir schon den Kopf zerbrochen, aber vielleicht sind meine mathematischen Fähigkeiten auch nicht weit genug. Die Idee: Ein Raster mit verschiedenen Kategorien von medialer Umsetzung über formale Kriterien und eben Protokoll, die die Stufen einer Wertung so zeigen, dass diese nachvollziehbar ist.

Was dies angeht, würde ich mich sehr über Anmerkungen freuen.

Fazit

Wenngleich ich es sehr begrüßen würde, wenn Kritik, Anmerkungen und Ergänzungen kommen, werde ich wohl auch im Falle des Ausbleibens ein wenig ins Blaue arbeiten. Die momentane Lage verlangt nach kreativen Lösungen, die nicht immer bis zu Ende gedacht werden können. Klar ist, dass man natürlich dafür sorgen muss, dass diese Unsicherheit nicht auf Kosten der Schüler geschieht. Ich bin gespannt auf mögliche Stimmen.

5 Kommentare

  1. Hallo, ich finde die Thematik für mich momentan sehr spannend. Ich bin Ma./Ph.- Lehrer am Gymnasium, Vertreter der Schulleiterin und digital affin.
    Für mich gilt: Komplexität kann ein Merkmal sein, wie oben beschrieben, komplex könnte aber auch eine Ausprägung eines Merkmals (z. B. der Inhalt) Dann kann ich beim Podcast den Inhalt von einfach bis komplex beschreiben. Dazu ein Beispiel aus meinem Unterricht. Im Seminarfach (fächerübergreifendes Fach in der Oberstufe) hatte ich als Thema “mathematische Spiele” vorgegeben. Die Schüler*innen erhielten Beispiele und sollten dann eigene Spiele erfinden und sich vorstellen. Eine Gruppe veränderte ein vorgeführtes Anlegespiel (Domino) und erweiterte den Inhalt, eine Gruppe entwarf ein Wegespiel mit Regelwerk und Spielkarten, eine Gruppe baute einen Kasten mit allen Utensilien als Holz und anderen Werkstoffen und eine letzte programmierte für die damals neuen Smartboards ein offenes System mit dem man zu Fragen Antworten nach Regeln finden musste, wobei die Fragen und Antworten editierbar waren. Kriterien zur Bewertung war die inhaltliche Richtigkeit der Fragen und Antworten, Kreativität (also nachgemacht aus dem Unterricht bis zu neu erfunden), bis zur Spielbarkeit. Spaß am Spiel ist nicht in die Bewertung eingeflossen, da der Inhalt immer Mathematik war. 🙂
    Komplex war ein Kriterium der inhaltlichen Tiefe, komplex war auch das ausgedachte Regelwerk (oder auch nicht)…
    Ich denke, man fährt meist besser mit der Ausprägung, sobald verschiedene Handlungsprodukte vorliegen.

  2. Hey Bob Blume,
    alle Deine Überlegungen finde ich gut nachvollziehbar und halte es für richtig, Beurteilungskriterien im Vorwege transparent zu machen. Mir fehlen an dieser Stelle noch Merkmale zur Methodenkompetenz. Das zeigt auch deine Frage zur Komplexität der Aufgaben, denn letztlich ist doch die Frage: warum hilft mir die Auseinandersetzung beim Lernen? Bei Stop Motion Filmen sorgt vielleicht die häufige Wiederholung des fachlichen Inhalts dafür, dass ich den Inhalt durchdringen konnte. Insofern berücksichtige ich gern auch Selbstreflexionen zur methodischen Auseinandersetzung in der Beurteilung.
    Viele Grüße
    Friederike

    • Ein sehr interessanter Punkt. Ich denke, dass man dies vielleicht zuvor klären müsste, insofern könnten die Schwerpunkte sich dann unterscheiden. Beispielsweise, wenn es eher um das Erlernen einer speziellen Form geht (Stop Motion) und die Freiheit eher darin liegt, den Inhalt auszuwählen. Oder eben, indem es mehr um den Inhalt geht, und die Freiheit in der Auswahl der Mittel liegt. Graubereiche sind auch möglich. Da bleibe ich dran.

  3. Hallo Bob,
    da wir gerade GENAU an dieser Stelle stehen, danke ich dir für deine klugen Vorüberlegungen und für die strukturierte Herangehensweise. Gerne folge ich auf Twitter oder hier deinen weiteren Erkenntnisse.
    Ergänzen möchte ich den Punkt Prozess-Protokoll noch um den Hinweis, dass SuS ihre Verbesserungen/Arbeitsschritte protokollieren können. Also von der Stichwortsammlung in einen ersten Draft, Feedback von L/L’ mit Vorschlägen/Ergänzungen bis hin zum fertigen Produkt. Die kriteriengelenkte Mehrschrittigkeit wirkt (in unserem Kollegium und vor unserer ambitionierten Elternschaft) auch prophylaktisch gegen den Vorwurf, die Eltern würden bei digitalen Produkten so viel mitmischen.

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