ESSAY: Denn sie wissen nicht, was sie tun (sollen)

Bob Blume
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13. Mai 2017
3 Kommentare
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Bild: Thomas Clemens

Es ist doch immer wieder interessant, wie leicht es ist, einen Beleg für die Wirksamkeit für alles zu finden, was man unterstützt. Das beste Beispiel dafür ist G8. Da werden Studien durchgeführt, die dort, wo das neue Modell noch nicht wieder auf der Kippe steht, beweisen sollen, dass das achtjährige Gymnasium genau so funktioniert wie das neunjährige. Das ist nicht nur falsch, sondern auch naiv. Denn wer kognitive Leistungsfähigkeit mit Reife verwechselt, der verstellt den Fokus. Ein Kommentar. 

In Deutschland wird sich gerne beklagt: Über die Konjunktur, fehlende Kitaplätze, fehlende Erzieherinnen und Erzieher, Altenpfleger und nicht zuletzt über Orientierungslosigkeit der Jugend, die sich zumeist nach drei Semestern des Hochschulstudiums zeigt. Abbruch und Neuorientierung sind die Folge. Oder ganze Semester der Vorbereitung auf ein Studium an, weil die kommenden Studenten nicht in der Lage sind, das zu können, was sie können sollten, wenn sie mit dem höchsten deutschen Bildungsabschluss in der Tasche vor den Türen der Universitäten stehen, um sich für einen von ca. 14.000 Studiengängen zu entscheiden. 

Effizienz vor Mensch

Seit der Einführung der Bachelorstudiengänge und der Umstellung auf das sogenannte „Turbo-Abitur“ hat die Effizienz Einzug in die deutsche Bildungswelt erhalten (Oder man müsste besser sagen: Ein wirtschaftlich konnotierter Begriff von "Effizienz"). Die Maßeinheit für Wirtschaftlichkeit als Messlatte für Menschen passt gut in die Zeit. Alles soll schneller werden. Nach einem schnellen Abitur und einem direkten Einstieg in das Hochschulstudium kann dann ein schneller Berufseinstieg stattfinden. Die Wirtschaft wird mit Nachwuchskräften bombardiert, wächst weiter und Deutschland festigt seinen Platz als Exportnation Nummer 1. Soweit die Theorie.

Spricht man mit denjenigen Abiturienten, die nach dem stressigen Unterfangen tatsächlich direkt in die Universität einsteigen wollen (im Gegensatz zu denjenigen, die durch die monetäre Unterstützung der Eltern in die weite Welt fliehen, was zu begrüßen, aber natürlich nicht immer möglich ist), zeichnet sich oftmals ein Bild des indifferenten Schreckens: BWL wolle man studieren, das habe auch jemand anders studiert, was genau das sei, ist nicht so ganz klar. In Fernsehsendungen über das G8, in denen diejenigen, die verantwortlich sind, "evidenzbasiert" erklären, wieso doch alles funktioniert (d.h. indem sie die Noten anführen, ohne dabei zu sagen, dass diese politisch gewollt immer besser werden bzw. die Aufgaben immer leichter), werden oft auch Abiturienten gefragt, was sie vom Modell halten. Interessante Herangehensweise. Was sollen sie denn sagen? Ich finde mich nicht geeignet?

Universitäre Realitäten

Als Mitarbeiter in der Universität, sei es ein Tutor oder ein Dozent, erkennt man die direkten Überläufer der Schule zumeist schnell am Mangel an Eigeninteresse und Verantwortungsbewusstsein. Die in der Schule antrainierte Attitüde, alles auf dem Silbertablett serviert zu bekommen, überträgt sich so auf die ersten Semester. Da hörte man als Deutschstudent doch das eine oder andere Mal mehr, dass sich die Leute darüber aufregten, wieder einen Roman lesen zu müssen. Einen Roman! Im Fach Germanistik!

Man könnte sagen, dass es eben passiert, dass der eine oder andere nicht das richtige Fach gewählt hat. Schaut man auf die Abbruchquote von Bachelorstudiengängen zeichnet sich jedoch ein anderes Bild. Über 27% der Studierenden haben ihr Studium vor dem Abschluss beendet, in den Ingenieurswissenschaften waren es fast die Hälfte aller Studenten. Als Ursache werden die verschiedensten Gründe angegeben. Mal ist es die fehlende Qualität der Lehre, mal sind es die selektiven Bedingungen der Klausuren.

Komischerweise fehlt eine Instanz: Die Studenten selbst. Denn ist es denn nicht ihre Wahl gewesen? Das Problem ist: Nach zwei Monaten „Pause“ zwischen einem Abitur, das die meisten Schüler an ihre kognitiven und physischen Grenzen bringt, ist für viele die Universität und der Effizienzdruck in den immer weiter verschulten Universitäten nicht die einzige Hürde.

Des Pudels Kern

Das wirklich Problem ist: Um zu wissen, was ich will, muss ich Entscheidungsmöglichkeiten bekommen. Entscheidungsmöglichkeiten fallen aber nicht vom Himmel. Sie sind weder durch einen eintägigen Besuch in einer „Jobbörse“ noch durch eine Doppelstunde mit dem Thema „Welcher Beruf passt zu mir?“ zu erreichen. Die Wahl des Studienganges ist in den meisten Fällen eine Lebensentscheidung, und zwar sowohl für den, der es unternimmt, als auch für seine Familie. Nicht zuletzt aber auch für den Staat, der davon profitiert, wenn die Menschen ihre Arbeit gut machen.

Wann aber geschieht das? Es wird wohl keiner widersprechen, dass man die Dinge besonders gut macht, die einem Spaß machen, weil sie den eigenen Kompetenzen entsprechen. Wie aber soll man, wenn man aus der „Druckpresse“ Schule herauskommt festlegen, was genau einen eigentlich interessiert?

Ist es als Effizienz zu verstehen, dass man die Schule verkürzt und die Studienfächer verschult, nur um dann festzustellen, dass ein Drittel derjenigen, die dies betrifft, gar keinen blassen Schimmer haben, auf was sie sich da eingelassen haben?

Ein Vorschlag

Als Konsequenz der beschriebenen Problematik falsch verstandener Effizienz, beschönigter Belege und bestehender Orientierungslosigkeit ergeben sich zwei Forderungen, die utopisch sind, weil sie einem auf maximale Wirtschaftlichkeit angelegten Zeit den Verantwortlichen wahrscheinlich nicht mehr als ein müdes Lächeln entlocken könnten.

Erstens, dreizehn Jahre Abitur, die eine Bildung ermöglicht, auf der die Universitäten aufbauen können.

Zweitens, ein verpflichtendes soziales Jahr.

Vor allem der zweite Punkt ist nicht nur die Möglichkeit für die jungen Menschen, in ihren Ansichten und Meinungen zu reifen und so dann eine größere Wahrscheinlichkeit zu haben, den Studiengang oder den Job zu wählen, der sie tatsächlich interessiert. Er bietet gleichzeitig auf Abhilfe in den Problemfeldern, die der Bundesrepublik schon lange bekannt sind:

Es fehlen Erzieher, Altenpfleger und viele weitere Arbeiter vor allem in sozialen Einrichtungen. Dies ist natürlich auch Folge der Abschaffung des Zivildienstes. Dieser hatte eben jenen Vorteil, dass die Zivildienstleitenden oder diejenigen, die sich für das Militär entschieden, fernab von der Frage, ob sie später in der Institution bleiben würden, die Möglichkeit hatten, andere Dinge als die Schule kennenzulernen.

Nicht jeder hat die Möglichkeit, ins Ausland zu gehen, denn ansonsten wäre dies natürlich sehr zu empfehlen. Aber jeder sollte zu dem Glück gezwungen werden, sich mit Menschen auszutauschen und Erfahrungen zu machen, die ihn oder sie persönlich weiterbringen. Im Augenblick können die jungen Leute nicht wissen, was sie tun, weil sie keine Zeit mehr haben, sich darüber Gedanken zu machen.

Wahre Effizienz wäre es, ihnen mehr Zeit zu geben.

Die Früchte einer solchen entschleunigten Politik wären mit Sicherheit schnell spürbar – sowohl in Hochschule und Job als auch im Privaten.

 

 

3 comments on “ESSAY: Denn sie wissen nicht, was sie tun (sollen)”

  1. Hallo

    ein wie ich finde sehr intelligenter Kommentar zu dem Thema der Berufswahl, und insgesamt zu dem deutschen Bildungssystem, wenn man es denn so nennen will.

    "Um zu wissen, was ich will, muss ich Entscheidungsmöglichkeiten bekommen." Das ist sehr richtig. Ich denke, die Idee mit der verpflichtenden sozialen Jahr ist sehr gut, und würde auch durchaus Früchte tragen, ich glaube aber dass die Umsetzung nicht ganz einfach ist.

    Ein Vorschlag von mir ist, dass man die Reflektion dessen, was man gerne und gut macht, in die Schulzeit einbaut. Dass es verpflichtende Fächer geben muss, in denen man über diese Thematiken spricht, unabhängig davon, wie lange man zur Schule geht. Die Gedanken darüber, wlecher Beruf zu einem Menschen passt, sollte in unserem Bildungssystem einen festen Platz haben, wenn möglich unter einigermaßen professioneller Anleitung.

    Beste Grüße, Alex

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