Beginnen wir wie ein Selfie: Beim Ich. Vierfach. Man sieht Kopf und Schulterpartie eines jungen Mannes, Ziegelgemäuer im Hintergrund. Vier Bilder im Quadrat angeordnet, aufgenommen in kurzen zeitlichen Abständen hintereinander. Auf allen schaut der junge Mann ein bisschen anders. Links oben ernst, daneben, als wolle er, in die Ferne blicken, etwas sagen, dann ein Lächeln, der Kamera zugewandt, freundlich, sympathisch wirkend, zuletzt den geschürzten Mund, als wolle er auf eine Aussage des Gegenübers reagieren. Man könnte meinen, der junge Mann habe sich in einem Interview befunden. Hat er nicht. Es ist eine filterunterlegte Bilderserie, die genau so gewollt war. Sie wollte künstlich zeigen: Das bin ich, ich wenn ich nicht künstlich bin. Der junge Mann nutzte das Bild aus seinem Twitterprofil. Der junge Mann bin ich.

Die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe lädt gemeinsam mit den Kulturkonsorten in den sozialen Netzwerken zu einer Diskussion und Blogparade über das Thema „Selfies“ ein. Anlass ist die am 31. Oktober beginnende Ausstellung „Ich bin hier. Von Rembrandt zum Selfie“ in der Kunsthalle mit der Begleitausstellung „Selfies“ in der Jungen Kunsthalle.

Natürlich spielen wir alle Rollen, tragen Masken. Mein Ich ist nun das des anachronistischen Kulturkritikers. Es ist nicht böse gemeint. Ich – meine es nicht böse.

Die Zielsetzung der Kunsthalle ist verständlich. Man zieht eine Linie zwischen Hoch- und Tiefkultur (welch normatives Urteil), lässt die Menschen partizipieren und am Ende – wie die von mir geschätzte Tanja Praske sagt – am Ende „gewinnt Kultur“. Wenn es denn nur so wäre.

Dieser Artikel schreit ein egozentrisches Nein in den Äther, das nicht anhand von historischen Hintergründen herausgearbeitet, sondern wie heutzutage üblich aus einer trägen, sich nicht reflektierenden Meinung heraus entsteht. Das sich nichts aus der Wirklichkeit macht, das die eine Kultur über die andere stellt. Dass die eigene Meinung zum Höhepunkt der Begutachtung stellt: Wie das Selfie.

Das Selfie soll die Kunst aufwerten?

Da lacht das Ich, das Es und das Über-Ich im Chor der postmodernen Selbstbeweihräucherungskultur. Die Kunst wird nicht vom Selfie aufgewertet. Sowie jede architektonische Glanzleistung, jede menschenleere (soweit vorhanden) Gegend, jedes hunderttausend Dollar schwere Hotelzimmer nicht vom Selfie aufgewertet wird.

Das Selfie wertet nicht auf, das Selfie lässt aufwerten. Wenn es – wie in Praskes wunderbarem Artikel – eine Botschaft gibt, dann ist das der doppelte Ich-Bezug. Das Bild/ das Kunstobjekt/ die Gegend kennt jeder. Hier bin ICH vor dem Bild. Das Bild wird durch mich aufgewertet, weil ich mich durch das Bild aufwerte. Kausal. Und die Botschaft ist einseitig. Wenn man die Selfie-Kultur wie Philippe Wampfler als eine Art des selbstvergewissernden fotografischen Tagebuchs sieht, dass eben deshalb nicht als Verstoß gegen die Norm gewertet werden kann (etwa bei einem Selfie auf einem Friedhof), dann ist das richtig, zeigt aber zugleich, dass der Kommunikationspartner gar nicht erwünscht ist.

Sagen wir es deutlicher: Das Selfie ist nicht nur selbstbezogen, sondern auch in seiner Qualität asozial und exklusiv.

Es wertet das Selbst durch ein anderes auf, das aber vor dem aufgewerteten Selbst in den Hintergrund treten muss.

Selfie essen Seele auf.

Stephan Urbach erklärt in seinem spannenden Artikel über das sechszehnjährige australische Mädel, das unter großem Tam-Tam seinen Instagram-Account löschte und nun nach irgendeinem echten Leben hinter dünnen Bauch und jugendlichem Astralkörper sucht, dass eine der drängendsten Frage sei, wie viel echtes Leben in der Social-Media-Darstellung in unserem Leben steckt. Das ist richtig. Und wenn wir ehrlich sind, kommt an erster und letzter Stelle, als Wahrheitsgehalt und letzte Instanz das heraus, was wir so sehr lieben: Das Ich (Und währenddessen freut sich die arme sechszehnjährige vormalige Instagram-Berühmtheit darüber, dass sie nun eine Youtube-Berühmtheit ist und statt ihrem Hintern Floskeln in den Äther posaunen kann).

Das Selfie ist das Ich im Quadrat. Ich mal Ich. Und dahinter kann man in den meisten Fällen gar nichts mehr sehen. Das dahinter ist der tote Winkel der selbstreferentiellen Selbstvergewisserungskultur.

Wer findet, dass das Kultur ist, sollte jetzt kommentieren oder sollte für immer schweigen.

Sie dürfen das Ich jetzt küssen.

 

5 Kommentare

  1. […] Blogposts der Blogparade #selfierade: 15.10.15 / Christian Gries: “Das Künstlerselfie auf Instagram” 16.10.15 / Michael Kröger auf dem Marta-Blog: “Schöne heile Selfie-Welt?” Ein Einwurf zur #Selfierade 18.10.15 / Anika Meier: “Gefährliche Selfies – sichere Klicks” 19.10.15 / Michael Mike Bauer: “Was ist ein #selfie?” 20.10.15 / Jessica Koppe: “Gesellschaftsfähige Selbstvergewisserung” 21.10.15 / Maria Männig: “Das optimierte Ich” 21.10.15 / Anne Kathrin Kohout: “Lasst endlich die Kunst in Ruhe! Selfies haben keine Vorläufer” 27.10.15 / Tanja Praske: “Selfie – ist es ein tatsächlich so neues Phänomen?” 29.10.15 / Wibke Ladwig: “Ist das Selfie das Arschgeweih des Internets?” 04.11.15 / Elena Welscher: “#JuKuSelfies – von der Amateurin zur „Selfinistin“” 05.11.15 / Bob Blume: “Das Ich im toten Winkel des Quadrats #selfierade” […]

  2. Lieber Bob (Künstlername oder echt?),

    es freut mich sehr, dass mein Artikel, vor allem aber die Blogparade #Selfierade deinen Widerspruch, Skeptik, Kritik herausgekitzelt hat. Ich hoffe auf noch mehr Beiträge dieser Art. Das Freudsche Tanzspiel von Ich, Es und Über-Ich fand ich sehr treffend.

    Was der Kunsthalle Karlsruhe gelungen ist, ist das über die Ausstellung gesprochen wird. Hat dann Kunst schon gewonnen? Vielleicht. Lese ich parallel zu deinem Beitrag den von Elena Welscher, die das Vermittlungsprogramm rund um Selfies für Junge mit ausbaldowert hat, dann sind die Gegensätze sehr spannend: http://kulturkonsorten.de/allgemein/jukuselfies-von-der-amateurin-zur-selfinistin

    Das Ich bleibt in der Öffentlichkeit konstruiert, in der Jungen Kunsthalle sowie im Alltagsgebrauch. Noch findet man zwar weder auf Instagram noch auf Twitter das von der Kunsthalle beauftragte #JUKUselfie, kann ja noch kommen. Tatsächlich ist hier der Inszenierungsprozess ein viel länger andauernder Prozess, setzt mehr Reflektion voraus, bleibt aber von der Struktur gleich: Das Ich wird inszeniert.

    Wenn ich von Botschaften spreche, dann wende ich mich gegen das “Selfie als Weltsprache”, Inszenierungen gab es schon immer, der einzige Unterschied dabei ist die Inszenierung Vieler, die doch allgemeingültigen Codes unterliegen – Gesellschaftsdruck.

    Dann gehört auch dazu, dass eine Social Media Schnecke durch nettes Äußeres, ihren kalkulierten Ausstieg gewinnbringend vermarktet. Yep, die Promis sollten sich jetzt warm anziehen, denn jeder kann einer werden und andere verdrängen. Wer spielt da virtuoser auf dem Piano der Selbstdarstellung? Vermarktung entscheidet.

    Und ja, der ganze Selfieboom, der jetzt von Museen vereinnahmt wird, in Vermittlungsprogramme eingebaut wird, dient auch als Empfehlungsmarketing, häre Absichten hin oder her. Die amerikanischen Museen, die nicht der Subventionskultur unterliegen, haben das schon viel früher begriffen. Vom Vermittlungsgedanken kann da etwas bleiben, es wird nach Partizipation gerufen, verstanden oder nicht, die Macht wird nur scheinbar abgegeben. Funktioniert sie dann? Gute Frage, deshalb verweise ich hier einfach mal auf @Mikelbower-s Beitrag zur Blogparade #BesucherMacht des Marta Herford Museums. Wäre das nicht auch etwas für dich, einige Gedankenfäden von hier dort weiterzuspinnen? Das Marta Museum diskutiert gerne “freche” und “kritische” Beiträge: http://mikelbower.de/category/allgemein/missionen-digitale/

    Danke für deinen wunderbaren Beitrag! Ich mag den Titel sehr!

    Herzlich,
    Tanja

  3. Sehr geehrter Herr Blume,

    vielen Dank für Ihren #selfierade-Diskussionsbeitrag.
    Eine Unterscheidung zwischen Hoch- und Tiefkultur oder eine finale Bestimmung von Selfies streben wir nicht an, da das Phänomen noch zu jung dafür ist. Unsere Ausstellung zeigt 140 Selbstporträts aus sechs Jahrhunderten – bei einer Ausstellung über sechs Jahrhunderte bis heute kann man das aktuelle Phänomen der Selfies nicht ausblenden, auch Künstler wie Ai Weiwei machen Selfies und Selfie-Editionen.
    Was gewinnen wir als Museum? Die Ausstellung “Selfies” der Jungen Kunsthalle gibt uns die Möglichkeit, die Jugendlichen in ihrem Alltag abzuholen, sie an die historischen Selbstporträts heranzuführen und anschließend ihre Selfies neu zu reflektieren. Denn gerade für Jugendliche sind Selfies wohl nicht nur ein Medium zur Selbstdarstellung, sondern auch ein Mittel der Kommunikation, wie auch Wolfgang Ullrich in seinem Text erläutert.

    Herzliche Grüße vom Kunsthallen-Team

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