HUMOR: Die Kaffeemaschine

Bob Blume
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7. April 2015
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Die Luft ist so stickig, dass das Atmen schon vor Beginn der dreieinhalbstündigen Konferenz schwerfällt. Da im Rahmen der Innovationsmaßnahmen zur Abdichtung jedoch noch Verbesserungsarbeiten laufen, lassen sich die Fenster nicht öffnen. Nur eines und vor dem sitzt Herr Eisenlauf. Da sich aber alle gemeinsam stillschweigend auf einen langsamen Erstickungstod geeinigt haben, ist die Stimmung fast gelöst. Die Konferenzpunkte eins bis neun dürften in wenigen Stunden durchzugehen sein und man könnte auch anfangen, wenn alle da wären. Es sind nicht alle da.

Unruhe macht sich breit und die ersten unpassenden Witze werden in das stehende Sauerstoffgemisch geprustet. Nur wenige lachen mit, da dies neben Anstrengung auch Luft kosten würde. Und die ist in Zeiten von Verbesserung kostbar.

Eine Kollegin mit rotem Kopf kommt hereingerannt und erbricht sich fast spontan auf ihren Platz, weil sie nicht mit der Vehemenz olfaktorischer Unzulänglichkeit gerechnet hatte. Da sie ein Zeichen gegeben hat, zu sprechen, warten alle in Elefantenruhe – und mit entsprechendem Geruch – auf ihre Abbitte. Diese ist wenig interessant, so dass der Chef mit einem Weisheit und Zuversicht verbreitenden Blick in die Menge der fast Schlafenden mit der Tortur beginnen kann. Er tut dies mit der Verve eines Mannes, der beim Untergang eines Schiffes den Rettungsring dabei hatte und so über mehrere Tage ohne Essen und Trinken auskommt, weil er sich nicht anzustrengen braucht.

Am Meer wäre die Luft jetzt frisch.

Es geht um einige neue Verordnungen zu alten Verordnungen, die für ältere Mitarbeiter so klingen als seien es alte Verordnungen zu neuen Verordnungen. Es wird mit dem Kopf geschüttelt, insofern dies nicht zu viel Luft kostet. Eine ältere Kollegin beginnt mit dem Nachbarn zu reden und wird zunächst angelächelt und dann mit lauten Atemgeräuschen gestraft.

Als die hintere Reihe frohgemut aufwacht, weil sie hofft, die Punkte 4-7 verschlafen zu haben, ist der erste Tagesordnungspunkt abgeschlossen. Listen werden herumgehen. Unterschriften werden auf Listen geschrieben. Listen werden zurückgeführt werden. Verordnungen werden verstanden werden. Das Übliche. Die allgemeine Konzentration richtet sich auf Herrn Eisenlauf und dessen stoische Ignoranz gegenüber dem einzigen Sauerstoffzufluss des Raumes. Einige Mitarbeiter versuchen es mit einem wohlwollenden kollegialen Zunicken. Weibliche Mitarbeiterinnen scheinen es mit erotischem Augenzwinkern zu versuchen. Vielleicht ist es aber auch nur der Versuch, die tragische Perspektive des Nachmittags mit dem körperlich Möglichen abzufedern. Leises Schluchzen erfüllt den Raum. Die dicken Tropfen menschlicher Leidensfähigkeit sammeln sich mittlerweile an der gut abgedichteten Ecke des Raums. Man schwitzt.

Die nächsten 5 Tagungsordnungspunkte vergehen wie im Fluge. Nach Australien. Ohne Filme.

Als der letzte Tagesordnungspunkt „Verschiedenes“ angekündigt wird, haben auch einige gestandene Kollegen Freudentränen in den Augen. Man fasst sich berührt an die Schulter, nickt sich wieder zu. Taktische Blicke werden ausgetauscht. Derjenige, der nun zu viel sagen wird, soll auf Ewigkeit verdammt werden. Ohne Fenster. In diesem Raum.

Zunächst räuspert es sich. Keiner will beginnen. Dann die ersten Geständnisse. Es wird mit dem gleichen Satz begonnen, der aber in seiner Färbung variiert: „Da ich weiß, dass alle nach Hause gehen wollen...“

„Natürlich war es auch bis hierhin schon anstrengend, aber lassen Sie mich...“

„Es wird nicht lange dauern, aber ich habe eine Kleinigkeit, die auch für...“

Hoffnungen verschwinden durch tief geäußerte Seufzer in der Ecke und ertrinken im dort gesammelten Schweiß.

Das erste laute Lachen ist zu hören, als ein Kollege mit dem Satz „Ich bin dein Vater“ scheinbar eine Referenz zum Film „Krieg der Sterne“ zieht. Sogar der Chef lacht so laut, dass er sich fast am eigenen Kohlenstoff verschluckt. Umso schlimmer das betretene Schweigen, als der Referendar laut aufheult. Es war wohl nicht als Scherz gemeint, sondern sollte als großes Coming Out unter dem vorletzten Punkt „Verschiedenes“ eine große Überraschung werden.

Herr Eisenlauf, aus dessen Mund das unvermittelte Geständnis kam, steht mittlerweile über seinem Sohn, fast ihn an der Schulter und versucht, den sich schüttelnden Körper mit sanften Strichen zur Ruhe zur Ermahnen.

Eine gerade aufwachende Kollegin blickt an den freien Platz neben dem Fenster, ergreift die Gelegenheit beim Schopf und spurtet über die Tische. Diejenigen, deren Delirium noch zur Wahrnehmung von Realitätssentenzen reicht, heben mit der letzten Kraft ihre Köpfe, um sie sogleich wieder auf die Tischplatte fallen zu lassen. Das Fenster wird geöffnet.

Luft durchflutet den Saal.

Atemgeräusche und Seufzer von purem Glück überflügeln sich. Kollegen liegen sich in den Armen. Der Referendar sitzt bei seinem Papa auf dem Schoß und imitiert glücklich Yoda. Die letzten Meter, so scheint es, sind geschafft.

Dann kommt noch der Punkt mit der Kaffeemaschine. Eine neue soll’s sein. „Auch wenn ich weiß, dass die Zeit mittlerweile schon sehr weit fortgeschritten ist..“ Den Rest kennt man.

Zunächst werden die Möglichkeiten für Vollautomaten evaluiert, wobei hervorgehoben wird, dass man sich im Falle einer solchen Ausgabe auf ein sehr gutes Gerät, dessen aromavolle...

Mittlerweile ist das Fenster wieder zu. Zu viel Luft schade auch nur, hatte jemand in den Raum gehustet. In Wirklichkeit ließ einen die frische Brise viel zu sehr an die Freiheit äußerlich der Wände denken. Damit kamen viele nicht klar und machten dies durch ein chronisches dunkles Kratzen unterhalb ihres Tisches auch klar.

Der Chef lässt nun einen stechenden Blick durch die Menge gleiten. Anordnungen, Ministerien, schön und gut, aber Kaffee gehe nun mal jeden einzelnen an. Er fixiert die müden und lächelt denjenigen, die mit einer Meldung bewaffnet darauf warten, die Zeit ins unendliche zu dehnen, mit einem genussvollen Lächeln. Der Cloney George, der ja, wie man wisse, am Comer-See, usw. usw.

Manche Kollegen haben scheinbar auf diesen Moment gewartet. Jemand schlägt ein Projekt zu fair gehandelten Produkten vor, das die Firma insgesamt vorbringen würde. Jemand anderes findet die Pad-Maschinen ungemein praktisch und wird fast von Nachhaltigkeitsbeauftragten in den Arm gebissen.

Ein älterer Kollege bezichtigt einen jüngeren nationaler Kaffeepropaganda, worauf der mit einem unangebrachten „Nicht-die-Bohne-Wortwitz“ dessen Rage in stille Wut steigert. Nachdem jemand den roten Kopf mit einem aufmunternden „Willy, komm“ der Restöffentlichkeit des Raumes bekannt gemacht hat, schlägt dieser auf den Tisch, um, wie er schreit, mal so ein paar generelle Dinge zu klären. Als die Stimmung auf dem Siedepunkt ist, stehen einige Kollegen mit ihren Handys auf den Tischen und schwören, alles aufzuzeichnen und die Firma, ach, das gesamte Unternehmen in einem riesigen Shitstorm aus Kaffee untergehen zu lassen, der sich so gewaschen hat, dass sich einige noch wundern werden.

 

Dann wache ich auf. Die Luft ist so stickig, dass das Atmen schon vor Beginn der dreieinhalbstündigen Konferenz schwerfällt. Da im Rahmen der Innovationsmaßnahmen zur Abdichtung jedoch noch Verbesserungsarbeiten laufen, lassen sich die Fenster nicht öffnen.

(...)

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