Elke Höfler und ich in Krems

 

Die Mediendidaktikerin und Lehrbeauftragte für Fachdidaktik an der Universität Graz, Elke Lackner,  und ich führen seit einiger Zeit eine freundschaftliche Beziehung über Twitter und Facebook, die vom gemeinsamen Austausch über Universität, Schule und Sprache lebt. Immer wieder sehe ich, dass Studierende sie mit ihren Täuschungsversuchen in den Wahnsinn treiben. Da erst vor einiger Zeit ein befreundeter Dozent über die Unzulänglichkeiten einiger Studenten klagte, will ich es hier genauer wissen.

 

Liebe Elke, danke, dass du dir Zeit nimmst. Machen wir es kurz: Werden die Studentinnen und Studenten immer schlechter?

Hi Bob! Mach ich gerne. Ist ja schließlich auch ein Thema, das mich während der Korrekturphasen immer wieder beschäftigt. Also zur Frage. Ich glaube grundsätzlich nicht, dass die Studierenden immer schlechter werden. Ich glaube einfach, dass sie zunehmend überfordert und vielleicht auch überfordernd sind. Und mit „sie“ meine ich natürlich nicht alle Studierenden, aber mir scheint, eine immer größer werdende Anzahl.

Woran liegt das?

Damit mein ich, dass sie kaum mehr Ruhephasen zu haben scheinen, in denen Dinge „sitzen“ können. Sie kommen mir immer geschäftiger und ausgelasteter vor. Vielleicht liegt es daran, dass sie zu viele Hobbies haben, dass es zu viele Reize gibt in ihrer Umwelt. Ich kann es nicht sagen. Ich sehe nur, dass sie von der Universität einfordern, einen schulischen oder verschulten Betrieb zu erleben. Sie wollen alles auf dem silbernen Tablett serviert bekommen, verlassen sich darauf, ein vollständiges Skriptum zu bekommen und sind viel zu wenig selbstständig. Vielfach trauen sie sich eine eigene Meinung vielleicht nicht zu und verlassen sich deshalb auf die Meinung von anderen. Ist es das System, das das Querdenken nicht erlaubt oder in dem es nicht mehr erwünscht ist? Ich weiß es nicht. Ich sehe nur jede Menge Restriktionen und viele Studierende, die still dasitzen, alles abnicken und dann brave Hausübungen abgeben. Richtige Diskussionen kommen seltener zustande als früher (zumindest nach meinem persönlichen, subjektiven Eindruck).

Kritiker bemängeln gemeinhin, dass gar kein richtiges Interesse am Fach herrscht, sondern einfach Punkte gesammelt werden. Wie erlebst du dies?

Den Eindruck hab ich bei vielen auch. Sie sind sehr fokussiert, wollen ihr Studium schnell durchziehen, verlieren den Blick nach rechts und links über den Tellerrand. Ich kann mich noch erinnern, dass auch ich nicht alle Fächer im Romanistik-Studium gleich gerne absolviert habe. Aber ich habe trotzdem alles nach bestem Wissen und Gewissen gemacht. Heute kommt mir vor ist das anders. Sie setzen eher Schwerpunkte, machen gewisse Dinge einfach mit, ohne sich großartig anzustrengen. Wobei man sagen muss, dass das System hier mitspielt und sie durchaus Erfolg haben mit dieser Taktik. Irgendwie sehen sie das große Ganze nicht. Ich finde es zum Beispiel schade, dass sie keine Verbindungen herstellen können. Sie lernen für ein Fach, gehen zur Prüfung, kotzen das Gelernte aus und vergessen genauso schnell (Stichwort „Bulimielernen“). Dass es aber Verbindungen zwischen den Themen und den Fächern gibt, wird oft übersehen oder ausgeblendet. Vielleicht sind es Scheuklappen, mit denen sie durchs Leben gehen. Vielleicht sind sie einfach so fokussiert. Vielleicht sind sie auch desinteressiert. Ich tue mir mit Deutungen sehr schwer.

Kommen wir zu deinen Klagen: Welche Arten von Täuschungen hast du schon erlebt?

Das geht vom Schummelversuch mit Schummelzettel während einer schriftlichen Klausur über unsauberes Zitieren (ob bewusst oder unbewusst) bis hin zu Abtippen einzelner Absätze aus Büchern und anderen Texte. Und immer öfter auch das Copy & Pasten ganzer Absätze aus dem Internet. Natürlich auch das Abgeben zweier gleicher Hausarbeiten. Das hatte ich auch schon.

Was war die schlimmste?

Das ist schwer zu sagen. Ich ärgere mich am meisten über das Copy & Pasten aus dem Internet, wenn Texte einfach so kopiert werden. Wenn dann die Formatierungen sich ändern, wenn die Hyperlinks mit übernommen werden, wenn die Schriftgröße sich plötzlich ändert. Oder auch der Schreibstil. Das sind Plagiate, die auch ohne Sorgfalt gemacht werden. Nicht dass ich meine, Plagiate mit Sorgfalt wären besser. Klares Nein! Aber wenn auch noch so sorglos kopiert und eingefügt wird, so ohne Überlegungen und Anstrengungen, dann nervt das doch ziemlich und ärgert auch sehr. Andererseits sind das aber auch die Täuschungen, die man am leichtesten findet.

Was sagst du den Studentinnen, wenn du sie erwischt hast? Wie gehst du vor?

Das ist so pauschal nicht beantwortbar. Das hängt vom Grad ab und auch vom Fortschritt des Studiums. Wenn sie direkte und indirekte Zitate nicht ausweisen, dann ist das auf formaler Ebene ein unsauberes wissenschaftliches Arbeiten und sie werden in diesem Sinne benotet oder können die Arbeit überarbeiten. Es macht ja einen Unterschied, ob sie schon eine Einführung in wissenschaftliches Arbeiten hatten oder nicht. Wenn sie keine Quellen angeben, dann müssen Sie die Arbeit überarbeiten oder sind negativ. Auch hier wieder hängt es davon ab, ob sie schon wissenschaftliche Arbeiten geschrieben haben oder nicht. Wenn es sich um kurze Passagen handelt, dann streiche ich diese – also bewerte sie nicht. Ist ja auch keine Eigenleistung der Studierenden. Wie gesagt, das ist schwierig und ich richte mich da auch nach den Vorgaben der Institutionen und schalte jedenfalls auch die Fachkoordinatorinnen und -koordinatoren oder Lehrgangsleitungen ein. Ich mache mich da prinzipiell schlau, wie es an den einzelnen Institutionen gehandhabt wird. Jedenfalls hänge ich die Originalquellen immer an, um den Studierenden zu zeigen, wo sie es her haben. 😉

Zeigen sich die Studentinnen einsichtig? Was sind die Reaktionen?

Nicht alle. Einige sind einsichtig und bereuen. Haben dann auch immer wieder kreative Ausreden, wieso das „passiert“ ist oder wie es „passieren konnte“. Andere beharren darauf, dass sie das geschrieben haben und es nur ein Zufall ist. Andere wiederum werden richtig frech und erklären, dass das ein Blödsinn sei und ich mir das nur einbilde. Das ist sehr unterschiedlich und ich hatte alles davon bereits. Lustig ist nur, dass ich jeden Semesteranfang die Studierenden darüber aufkläre, dass ich bei Täuschungen sehr streng bin und dass das ein absolutes No-Go für mich ist. Und jedes Mal schütteln sie den Kopf und bekräftigen, sie würden so etwas NIE machen. Das sei doch klar. Und dann bekommt man bei den Abschlussarbeiten so manche Überraschung serviert.

Welchen Zusammenhang hat diese Entwicklung mit den digitalen Medien?

Also ich denke, dass das Täuschen mit neuen Medien einfacher geworden ist. Aber auch das Aufdecken. Copy & Paste ist viel weniger Arbeit als das Abtippen einer Buchseite. Gleichzeitig kopiere ich genauso den Text in die Suchmaschine und lasse diese dann nachschauen, wo der Text denn noch zu finden ist. Ich denke auch, dass das Bewusstsein für geistiges Eigentum ein wenig verschoben ist. Ein Buch hat in den Augen vieler mehr Wert als ein Blogpost. Urheberrechtlich sind beide geschützt. Ich habe den Eindruck, dass es aber viel weniger Überwindung kostet, aus einem Blog zu kopieren und die Quelle nicht anzugeben als aus einem Buch abzuschreiben. Und wie mir eine Kollegin bestätigt hat, ist das ja keine „Studierendenkrankheit“, sondern vieler anderer ebenso.

Was sollte man tun?

Sensibilisieren und die richtige Handhabung vorleben. Und dann auch nicht wegschauen. Man sollte den Lernerinnen und Lernern nahebringen, was es mit dem geistigen Eigentum und dem Recht auf das eigene Bild auf sich hat (auch z.B. in Social Media) und wie man mit fremden Materialien umgehen muss. Und selbst sollte man als Lehrperson auch keine Arbeitsblätter aus dem Internet zusammenkopieren oder Passagen aus Schulbüchern oder wo auch immer her, ohne die Quelle anzugeben (und die Bestimmungen des Urheberrechts zu beachten – da ist ja dann auch noch so eine Sache: Was darf ich und was nicht?). Studierende sollten viel früher eine Einführung in das wissenschaftliche Arbeiten erhalten. Vielleicht schon im ersten Semester, bevor die ersten Arbeiten anstehen. Da sollten sie auch von der Wissenschaftsethik hören und dass sie dieser als Studierende und angehende Akademiker/innen verpflichtet sind. Und als Lehrpersonen müssen wir konsequent Täuschungen thematisieren. Und nicht wegschauen. Das ist ja prinzipiell schlecht. Wenn etwas Unrechtes geschieht, muss es thematisiert werden. Auch wenn es unbequem ist.

Hast du Hoffnung?

In Österreich ist mit der Vorwissenschaftlichen Arbeit (VWA), die verpflichtender Teil der Matura ist, ein erster Schritt in diese Richtung schon getan. Da lernen die Schüler/innen den Umgang mit Quellen, das Suchen nach Quellen und auch das Schreiben eben vorwissenschaftlicher Arbeit. Und an der Universität Graz haben wir das Schreibzentrum, das den Studierenden dabei hilft, wissenschaftliche Arbeiten zu verfassen. Von der Idee zur fertigen Arbeit. Das sind jedenfalls Schritte in die richtige Richtung. Und schlampige Studierende wird es immer geben. Ebenso wie Studierende, denen es einfach egal ist. Aber die müssen wird eben einfach darauf hinweisen, dass es so nicht geht. Dann gibt es sicherlich Hoffnung. Hoffnung gibt es schließlich immer.

Möchtest du noch was sagen oder einen Kollegen auf Twitter grüßen?

Ich denke, ich hab eh schon wieder viel zu viel geplaudert. 🙂 Grüßen will ich niemanden – oder alle. Denn einen oder eine herauszuheben, ist fast unfair. Es gibt auf Twitter so viele, die oben genannte Haltung durchziehen und Unrechtes aufdecken. Und es ist gut, sich untereinander auszutauschen. Man sieht, dass man nicht alleine ist mit diesen „Problemen“ und kann auch aus den Erfahrungen der anderen lernen oder an diesen teilhaben. Das ist ein gutes Gefühl.

Vielen Dank für das Gespräch!

Ich möchte DIR für das Interview danken. Das hat mir richtig Spaß gemacht.

Nachtrag:

Auf Facebook entwickelt sich eine spannende Diskussion, in der auch Studierende zu Wort kommen. Hier eine Antwort, die zu denken geben sollte:

Marco Mayer 

Ich (als Student) wundere mich immer, warum man sich Mühe geben soll, wenn diese nicht gewürdigt oder belohnt werden.
Alleine das Augenrollen der vielen Kommilitonen und des Dozenten,wenn mal jemand ein kritisches Kommentar in den Raum wirft, ist Straf
e genug… Ich erlebe da selten Aufgeschlossenheit und immer häufiger die Aussagen, dass das eben so sei. Dass es eben so aus den Studien zu interpretieren ist und eben all das,was man vom Unterricht in der Schule noch kennt.

Im letzten Semester habe ich so gut wie keine Vorlesung besucht, da das Skript gut genug zum beantworten der Multiple-Choice-Fragen war. Ich habe also etwa 30 Stunden Lernleistung investiert, wo über 240 angesetzt sind und das Ergebnis? Kein Unterschied zu denen, die immer da waren, in der Bib Bücher gewälzt haben und 10 Projekte am laufen hatten…

Alles liegt vorgekaut da und man fühlt sich (in pädagogischen und sozialen) Studiengängen so unterfordert, dass sich erst gar keine Motivation einstellen will.
Jeder wird durchgewunken. Das Studium zu schaffen ist weniger Leistung als es nicht zu schaffen.

4 Kommentare

  1. Danke für das interessante Interview, Bob und Elke. Das deckt sich mit meinen Erfahrungen, und ich freue mich besonders über das ehrliche:

    > Ich tue mir mit Deutungen sehr schwer.

    Das verstehe ich völlig. Mich schrecken die überzeugten Deutungen vieler, vieler Leute sehr ab.

    Es stimmt wohl, wenn es von Studierenden heißt, sie

    > machen gewisse Dinge einfach mit, ohne sich großartig anzustrengen.

    Ich weiß aber nicht, ob das früher anders war. Klar, bei uns war das anders, und vermutlich auch nicht nur in der Erinnerungen – aber wir sind auch die, die später Blogger oder Unileute wurden.

    > Ich (als Student) wundere mich immer, warum man sich Mühe geben soll, wenn diese nicht gewürdigt oder belohnt werden.

    Mühe allein ist zwar ehren-, aber sonst nicht viel wert: Es muss halt auch etwas herauskommen bei der Mühe. In der Schule ist der Gedanke weit verbreitet, man müsse für Mühe und Einsatz belohnt werden. Allerdings ist die ebschriebene Reaktion der Dozenten (“ist halt so”) tatsächlich sehr unbefriedigend.

    > Im letzten Semester habe ich so gut wie keine Vorlesung besucht, da das Skript gut genug zum beantworten der Multiple-Choice-Fragen war. Ich habe also etwa 30 Stunden Lernleistung investiert, wo über 240 angesetzt sind und das Ergebnis? Kein Unterschied zu denen, die immer da waren, in der Bib Bücher gewälzt haben und 10 Projekte am laufen hatten…

    Früher ist man in Vorlesungen gegangen, um zu lernen (oder auch nicht in Vorlesungen gegangen, dann musste man selber lernen, war auch okay). Heute geht man in Vorlesungen, um den Schein zu kriegen. Wenn das das Ziel ist (extrinsische Motivation macht intrinsische kaputt), dann verstehe ich die Optimierung. Die Vorlesung wird auf die Klausur reduziert, und in den geisteswissenschaftlichen Fächern, behaupte ich mal, kann man die anspruchsvollen Inhalte nicht gut prüfen. Also prüft man die weniger anspruchsvollen.

    > Alles liegt vorgekaut da und man fühlt sich (in pädagogischen und sozialen) Studiengängen so unterfordert, dass sich erst gar keine Motivation einstellen will.

    Ja. In Mathe und Informatik ist das sicher anders. Als Freund der Fachwissenschaft verstehe ich auch, wenn man als Student das mit der Didaktik weniger ernst nimmt. (Und ich gebe selbst eine Didaktikvorlesung.) Dass da Brauchbares dabei ist, kann man da noch gar nicht wissen.

  2. Ich mache ähnliche Erfahrungen wie Marco – in einer Vorlesung eine Diskussion anzustoßen wird von Mitstudenten verpönt und oft hat auch der Dozierende zwar Lust, aber keine Zeit; Er/Sie muss schließlich durchkommen. Zum Glück habe ich an meiner jetzigen Hochschule eine diskussionswütige, kritisch denkende Clique. Mit der Gewissheit, dass meine Freunde interessiert an meinen Gedanken sind und ins Gespräch einsteigen, fällt es viel leichter mutig den Arm in die Höhe zu strecken oder mal nach der Vorlesung zum Prof zu gehen um Inhalte zu diskutieren. Bin ich “allein”, ohne diese Sicherheit, zum Beispiel in Seminaren, dann verfalle ich wieder in eine Konsumierende Rolle – auch weil ich das Gefühl habe, das die Art der Veranstaltungen inzwischen genau das fordern: Friss das und für den Rest ist keine Zeit. Und außerdem werden Diskussionen schnell langweilig, wenn Mitstudenten nur zustimmend die Aussagen des Dozenten wiederkäuen, als hätte dieser um eine Inhaltsangabe gebeten…
    Schlusswort, geklaut und in den Kontext “modifiziert”: Find your tribe. Und dann mutig sein, egal was die 200 konsumierenden Zombies hinter ihren perfekten Protokollen oder Smartphones denken.

  3. Zu Marco Meyer und Herrn Rau:
    >> Im letzten Semester habe ich so gut wie keine Vorlesung besucht, da das Skript gut genug zum beantworten der Multiple-Choice-Fragen war. Ich habe also etwa 30 Stunden Lernleistung investiert, wo über 240 angesetzt sind und das Ergebnis? Kein Unterschied zu denen, die immer da waren, in der Bib Bücher gewälzt haben und 10 Projekte am laufen hatten…

    >Früher ist man in Vorlesungen gegangen, um zu lernen (oder auch nicht in Vorlesungen gegangen, dann musste man selber lernen, war auch okay). Heute geht man in Vorlesungen, um den Schein zu kriegen. Wenn das das Ziel ist (extrinsische Motivation macht intrinsische kaputt), dann verstehe ich die Optimierung. Die Vorlesung wird auf die Klausur reduziert, und in den geisteswissenschaftlichen Fächern, behaupte ich mal, kann man die anspruchsvollen Inhalte nicht gut prüfen. Also prüft man die weniger anspruchsvollen.

    Herrn Raus Gedanken wollte ich auch gerade äußern. Wäre ja zu schön, wenn noch jemand sich wirklich fürs Fach und nicht nur den Abschluss interessiert. Allerdings muss man auch bedenken, dass das Unisystem, wie es durch Bologna und co. umstrukturiert wurde, genau so ein Denken fördert und manchmal nicht anders möglich macht. Das ständige Abprüfen von Wissen verleitet einen dazu, nur noch durchkommen zu wollen. Dabei spart man dann, wo es nur geht, um mit dem Arbeitspensum zurechtzukommen.
    Solange also so viel extrinsisch motiviert wird, ist diese Entwicklung auch etwas nachvollziehbar, oder?

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