Das Jahr ist keine zwei Tage alt und ich habe Puls, nachdem ich einen Zeitungsartikel gelesen habe. Mehr als sonst. Denn dieser Meinungsbeitrag der Tagesspiegeljournalistin Sabine Rennefanz greift so tief in die Schmutzkiste, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen soll. Der Versuch einer differenzierten Erwiderung. 

Beginnen wir zunächst mit dem, was man im Netzzeitalter als eine vorgelagerte Hauptthese bezeichnen könnte. Diese ist vor allem für jene wichtig, die sich auf die Schenkel klopfen und nicken wollen, ohne den Artikel gelesen zu haben. Also das Snippet, die Kurzmitteilung, die Kernaussage. Was möchte Sabine Rennefanz in ihrem Meinungsbeitrag loswerden? Nun, zunächst einmal kann man das sehr schön in dem Tweet des Tagesspiegels sehen, der den Tweet folgendermaßen ankündigt:

Es bleibt den Lesenden verborgen, wer genau “die Lehrer” (sind eigentlich alle Lehrenden gemeint?) genau sind. Nicht zunächst, sondern gänzlich, denn wer genau diese bösen Schurken sind, die “ausgerechnet” und “als erstes” nach einem Schullockdown rufen, wird im Artikel nicht klar. Hier in der Ankündigung muss es auch nicht, der Frame ist klar: “Die Lehrer” sind schuld.

Noch besser wird dann aber der Header, den man in dem Bezahl-Artikel noch lesen darf:

Wenn das Schicksal der schüler nicht allzu sehr am herzen liegt

heißt es da. Wirklich! Es fällt mir selbst nach zwei Jahren, in denen schon verschiedenste Pauschalangriffe auf Lehrerinnen und Lehrer in den Äther schwadroniert wurden, schwer, angesichts einer solchen – ich muss es leider so sagen – ekelhaften Aussage nicht zu explodieren. Bevor wir auf ein paar Aussagen aus dem Artikel schauen, halten wir also fest:

  • Nicht nur verliert “man” den Glauben an “die Lehrer”
  • Sondern die Lehrer, die einen Lockdown fordern, interessieren sich nicht für das Wohl der Schülerinnen und Schüler

Drunter ging es nicht mehr, oder wie?

Nun ist es ja nicht so, dass die werte Journalistin nicht geahnt hat, dass da etwas kommen würde. Ganz in der 90er-Jahre-Denke verhaftet, sinniert sie also über mögliche Reaktionen:

“Weil ich ahne, dass spätestens jetzt die Studienräte zum Montblanc greifen, um einen wütenden Leserbrief zu formulieren, in dem sie auf ihre schlimmen Arbeitsbelastungen verweisen, möchte ich entgegnen: Jeder weiß, wie viel organisatorischer Mehraufwand von den Schulen gestemmt wurde.” 

Wir wissen alle, dass es sich um einen Meinungsartikel handelt. Man kann nicht zu sehr differenzieren, ist schon klar. Aber selbst für einen solchen kann ich nur sagen: Glückwunsch! Eine Passage, die ich in meinen zukünftigen Kursen zur Einführung des Strohmann-Arguments und des Stereotyps verwenden kann. Und auch werde, liebe Frau Rennefanz. Es wird Sie aber sicherlich freuen, dass der Oberstudienrat nun sogar auf seinem Rechner schreibt (der immer noch kein Dienstrechner ist, weil… Ach, recherchieren Sie doch einfach beim nächsten Meinungsartikel), und Ihnen sagen möchte: Ja, der Mehraufwand war enorm. Und anscheinend weiß das in der Tat nicht jeder, so zumindest mein Eindruck, wenn ich mich in meiner kleinen Blase so umhöre.

Aber viel wichtiger: Was genau soll damit suggeriert werden?

Dass Lehrerinnen und Lehrer den Lockdown fordern, weil sie mal wieder ordentlich chillen wollen? Mit der Kraft des wütenden Oberstudienrats und als hätte ich einen Montblanc in der Hand, mit dem ich mit meinem eigenen Blut in das Tonpapier kratze, möchte ich erwidern:

Das ist eine bodenlose Frechheit!

Da die eine Hälfte des Artikels aus Strohmännern besteht und die andere daraus, doch wieder zurückzurudern, schauen wir uns einfach zur Unterhaltungs- und Analysezwecken einige weitere Aussagen an und versuchen, diese nachzuvollziehen:

  • “Haben wir aus den zwei Pandemiejahren nichts gelernt?” heißt es dort rhetorisch, weil es wieder Diskussionen um Schulschließungen gebe. Nein, Frau Rennefanz, sonst wüssten Sie beispielsweise, dass die von Ihnen später zitierte Statistik zu “regulärem Unterricht” gerade deshalb diskutiert wird, weil die zahlreichen Formen des Hybridunterrichts dort einfach gleichgesetzt werden mit gar keinem Unterricht.
  • “Das heißt nicht, dass man nicht über die Aufhebung der Präsenzpflicht reden kann”, schreiben Sie. Und: “Es geht auch nicht darum, Schulschließungen grundsätzlich auszuschließen, solange man nicht weiß, wie gefährlich Omikron ist”, heißt es weiter. “Aber als letztes Mittel.”

Aha. Also: Alle, die Schulschließungen wollen, ich zitiere es nochmals sehr gerne, sind Lehrer, denen “das Schicksal ihrer Schülerinnen und Schüler (ah, geht doch mit der Nennung der Geschlechter) nicht allzu sehr am Herzen liegt.” Aber darüber diskutieren darf man. Aber erst spät. Und das, obwohl man nicht weiß, wie gefährlich Omicron wirklich ist? Habe ich das richtig verstanden?

Frau Rennefanz, im Ernst: Sollen wir Sie dann immer anrufen, ob wir nun drüber sprechen können? Oder sagen Sie Bescheid, wann wir über Schulschließungen sprechen dürfen?

Sie haben Recht, wenn Sie auf die zahlreichen Folgen der Schulschließungen für Schülerinnen und Schüler zu sprechen kommen. Und ja, was glauben Sie denn, wie sehr wir daran arbeiten, ein Umfeld zu gewährleisten, in denen es den Schülerinnen und Schülern gut geht: AN DEN RAHMENBEDINGUNGEN ÄNDERT SICH NÄMLICH NICHTS! UND WÄHREND SIE DAVON SCHWADRONIEREN, DASS DIE SCHULEN AUFBLEIBEN, DAMIT ES DEN JUNGEN MENSCHEN BESSER GEHT, TESTEN WIR UND DURCHSEUCHEN UND SCHREIBEN ARBEITEN UND KLAUSUREN, WEIL, NAJA, JETZT, WO ALLE DA SIND, KANN MAN JA SO TUN, ALS SEI ALLES IN ORDNUNG!

Na, da bin ich wohl auf der Umschalttaste hängengeblieben.

Was ich eigentlich sagen möchte, liebe Frau Rennefanz: Ich kenne viele Lehrerinnen und Lehrer, die mir oft schreiben. Und mir ist keiner bekannt, der oder die einfach sagt: Na, komm, dann halt Schulen zu. Es sind immer wieder schwierige Abwägungen, die einen zu unterschiedlichen Folgerungen bringen, die im Übrigen, wenn sie ordentlich belegt sind, auch absolut in Ordnung sind.

Auch das hätte man in einem Meinungsartikel schreiben können. Dass Sie der Auffassung sind, dass man die Schulen nicht schließen sollte. Oder sowas. Sie sind die Journalistin, Sie wählen Ihre Worte.

Oder man kann es so hinstellen, dass Lehrer (nur männliche oder meinen Sie doch alle?), die Schulschließungen fordern, weil sie Frau Rennefanz nicht gefragt haben, quasi absichtlich die Kinder und Jugendlichen schädigen wollen. Ich denke, ich spreche nicht nur für mich, wenn ich sage:

Geht es denn noch?

Ich würde übrigens nie so weit gehen, und einer ganzen Berufsgruppe aufgrund eines vagen Bauchgefühls einen Vorwurf dieser Art an den Kopf werfen. Übrigens gerade deshalb, weil ich sehr gute Journalistinnen und Journalisten im Bereich Schule kenne. Es sind Berufskolleg:innen von Ihnen, die sich auch mit dem politischen Versäumnissen auskennen, die uns zu dieser Situation in den Schulen geführt haben, unter der nun so viele leiden. Es gibt also wirklich gute Journalisten.

Nur dass Sie das nicht falsch verstehen: Sie meine ich damit nicht.

23 Kommentare

  1. Ja, wirklich unglaublich plumpe und undifferenzierte Meinungsmache, die man leider auch in anderen Zeitungen immer wieder findet. Was müssen manche Menschen in ihrem Leben eigentlich für schreckliche Erfahrungen mit Lehrer*innen gemacht haben, dass sie Jahrzehnte später immer noch auf einer ganzen Berufsgruppe herumhacken müssen, ohne die geringste Ahnung davon zu haben, was Lehrer*innen heutzutage- und besonders momentan in der Corona-Situation- eigentlich wirklich in einer multikulturellen Gesellschaft leisten? Neben unserer eigentlichen fachlichen und pädagogischen Ausbildung werden wir nun seit fast 2 Jahren als Arzthelfer*innen herangezogen, die schlechte Schnelltests der Behörde wochenlang überwachen und dokumentieren sollen.
    Gerne kann sich die Journalistin freiwillig melden, um in Schulen zu unterstützen, denn da ist die Personaldecke mittlerweile aufgrund des hohen Krankenstands (Mehrbelastung seit fast 2 Jahren) so dünn, dass die Schulen und Schüler*innen dankbar wären für zusätzliche personelle Unterstützung.

  2. Die Frau scheint ja Minderwertigkeitskomplexe hoch 10 zu haben.
    Aber was können die Lehrkräfte denn dafür, dass sie kein journalistisches Talent hat?
    Da hilft nur Übung…
    Sie darf uns zu dem Zweck gern in der Schule besuchen und kann bei der Gelegenheit gleich mal sehen, wie es wirklich in einer Schule zugeht, dann muss sie nicht weiter fantasieren.

  3. Schöner Kommentar. Aus Oberstudiendirektorensicht: Die Schreibweise “Omikron” ist tatsächlich korrekt, das “sic” daher unnötig. (Weil aus dem Griechischen…)

  4. Übrigens sind “die Lehrer” offensichtlich wirklich keine Lehrer*innen. Soweit ich das auf der Tagesspiegelseite vor der Bezahlschranke lesen kann, geht es um Udo Beckmann vom VBE (der an der zu lesenden Stelle nichts von Schließung sagt) und H.P. Meidinger vom ach so repräsentativen Deutschen Lehrerverband (der lt. Rennefanz das Wort “Schul-Lockdown” verwendet haben soll).
    Meidinger ist nicht “die Lehrer”, Himmel nochmal.
    Das verstehen aber auch nur sehr gute Mitglieder des Journalismus-Berufsstandes.

  5. Schulschließungen wollen wir doch wohl alle Lehrer erst dann, wenn die Gefahr zu groß ist, denn Schulschließungen bedeuten eine Form von Unterricht die unfassbar viel aufwändiger ist, als der normale Schulalltag. Allen, die wie Frau Firlefanz so viel Meinung bei belegt wenig Wissen haben, sollte ein mehrwöchiges Praktikum an einer Schule verordnet werden…

  6. Danke für diese Stellungnahme. Ich denke, du sprichst vielen Lehrer:innen aus der Seele.
    Es ist traurig, dass eine soziale Berufsgruppe in unserer Gesellschaft immer wieder schlecht gemacht wird! Da braucht man sich wirklich nicht wundern, dass es immer weniger Grundschullehrer gibt! Ein junger Mensch überlegt sich nach dem Abitur zweimal, ob er/sie zu den “faulen Lehrern” gehören möchte und diejenigen, die sich trotz des schlechten Rufes für diesen Beruf entscheiden, werden aufgrund der aktuellen Situation “verheizt”, während sie alles dafür geben, möglichst normalen Unterricht (Präsenz-/Distanzunterricht) unter völlig abnormalen Bedingungen am Laufen zu halten. Wird eigentlich irgendein anderer sozialer Beruf auch so offensichtlich in unserer Gesellschaft herabgewürdigt? Oder sind es nur die Lehrer:innen, die sich ständig solche Beleidigungen anhören müssen? Das kann doch echt nicht sein! Ich dachte, WIR sind weiter?!

  7. Vielen Dank für deine Worte. Diese zu lesen haben mir geholfen meine Wut nach diesem bodenlos schlechten Artikel zu verarbeiten. Ein schönes, gesundes neues Jahr wünsche ich dir und deiner Familie, Gruß ein Lehrerkollege

  8. Inhaltlich kann ich nur zustimmen, aber muss man wirklich wegen dem Gendern so ein Aufheben machen? Gerade als Lehrer sollten sie die Probleme, die damit einhergehenn, ebenso gut kennen wie ich.
    Es wird teilweise so übertrieben, dass Nicht-Muttersprachler quasi ausgeschlossen werden. In usneren Schulbüchern in Österreich tauchen Zumutungen auf, wie z.B.: “Eine/r ist Zuhörer/in die/der Andere ist Vorleser/in. Eine/r liest den Abschnitt vor, der/die Zuhörer/in fasst das Vorgelesene zusammen.” – (6. Klasse – Deutsch)

    Als Migrant, der gerade Deutsch lernt, hat man kaum eine Chance, das zu begreifen. Und so geht es auch einigen Muttersprachlern, der Schwierigkeiten beim Textverständnis haben. Das gegenderte Deutsch ist nun einmal keine Sprache. Man lernt diese Formulierungen nicht in Deutschkursen. Auch der Google-Übersetzer kann damit nichts anfangen und auch kein klassisches Wörterbuch kann weiter helfen. Man muss zwangsläufig Deutsch sehr gut beherrschen und bereits über ein Sprachgefühl verfügen, sonst schließt es eine solche Formulierung aus, dass man den Inhalt versteht.

    Da dies absichtlich so gemacht wird, kann man sogar so weit gehen und von “institutionellem Rassismus” sprechen. Nach solchen Erfahrungen bin ich der Überzeugung, dass gendern nichts mit Gerechtigkeit oder dergleichen zu tun, sondern zum krassen Gegenteil führt.

  9. Vollkommen richtig, was Frau Rennefanz schreibt.
    Wie viele Lehrpersonen sich anstellen, ist nicht nachvollziehbar. Zum Glück sehen dies mittlerweile immer mehr Menschen so.

    • Aha. Na, lieber Timo 123, du musst sehr schlechte Erfahrungen gemacht haben. Das tut mir leid. Dass du die Kolumne verstanden hast, bezweifle ich dennoch. Oder kannst du mir genau sagen, was daran richtig ist? Vielleicht verstehe ich dann den Standpunkt. Herzliche Grüße, der herzlose Verfasser.

  10. Es ist schon betrüblich, zu lesen, wie unreflektiert, schlecht recherchiert über “LehrerInnen”
    geschrieben wird. Coronapraktiken an ihnen festzumachen ist schon fast unlauter. Versager
    sind in der Politik zu suchen – leider auch in den entsprechenden regionalen Ministerien,
    die diskutieren, problematisieren, wo es ein Grundgesetz gibt, das klare Vorgaben macht.
    LehrerInnen brauchen eine allgemein gültige Aussage der Bundesministerien, die bei ihrer großen Rechtsunsicherheit den Mut haben sollten, das Verfassungsgericht anzurufen, sich beraten zu lassen, als sich hinter einem Föderalismus zu verstecken, den ein Land sich nur leisten kann, wenn alles in trocknen Tüchern ist.
    Wer fragte früher nach Masernimpfung, Pockenschutz? Die Kinder standen in den Klassen in
    Reihe, der Amtsarzt impfte durch oder beträufelte Zuckerstücke.
    In dem Sinne. Weiterhin gesund bleiben und an das Wohl der anvertrauten Kinder denken.
    Mit guten Grüßen aus dem Land der Geschichte – Frankreich.

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