Der Titel dieses kurzen Artikels ist keine Frage. Es geht tatsächlich darum, wer guten Unterricht bestimmt. Wer diesen Blog lange verfolgt, der weiß, dass ich in Sachen "digitale Bildung" (oder wie immer man diesen Komplex nennen mag) starke Höhen und Tiefen hatte, die ich mir teilweise nicht erklären konnte. Mittlerweile bin ich einen Schritt weiter und das hat viel mit dem zu tun, was ich von anderen zum Thema lese und höre und noch mehr damit, wie man mit mir und anderen spricht.
Denkverbote I
Während ich diese Zeilen schreibe mache ich mir Gedanken über Konflikte, die mein eigenes Denken behindern. Zum Beispiel muss ich überlegen, ob ich jene Personen aus der digitalen Sphäre, denen einige dieser Überlegungen gelten, erwähne oder nicht. Tue ich es nicht, scheint es wie üble Nachrede. Tue ich es, kann es als direkter Angriff aufgefasst werden. Ist beides blöd. Die Entscheidung, keine Namen zu nennen, fälle ich aus dem einfachen Grund, dass ich nicht beanspruche, irgendeine Form von Wahrheit auszusprechen, sondern meine Wahrnehmung.
Guter Austausch
Die für mich fruchtbarste Zeit, was intellektuellen Austausch angeht, sind die Fahrten mit meinem Kollegen, in dessen Seminar ich noch vor Jahren saß und einen Schein erwarb. Seine universitäre Erfahrung im Exkurs und Diskurs lässt ihn durch die Inhalte fliegen. Seinerseits behauptet er, er profitiere vom Austausch, indem ich über fachspezifische Inhalte im Fach Deutsch oder eben die digitalen Medien Anknüpfungspunkte erzeuge. Vom Grund auf besteht also eine Hierarchie, die er mich jedoch nie merken lassen würde. Selten lerne ich auf professioneller Ebene so viel wie in diesen Gesprächen auf Augenhöhe.
Guter Unterricht
Darüber, was guter Unterricht ist, lässt sich sehr, sehr lange streiten. Seit der Hattie-Studie hat jeder ein Stückchen Beleg darüber, das das, was er denkt, richtig ist. Plötzlich kommt es doch "wieder auf den Lehrer an" oder Klassengrößen spielen keine Rolle. Ein produktiver Streit ist wichtig, da hier doch die Impulse ausgehandelt werden, die ein Lehrer oder eine Lehrerin für die persönliche Weiterbildung nutzen kann. Trotzdem bleibt wohl vieles von dem, was theoretisch guter Unterricht ist, an Faktoren hängen, die sich unterscheiden, unterscheiden müssen, weil Menschen sich unterscheiden.
Axiome des digitalen Diskurses
Beginnen wir mit dem, was ich auf einer meiner ersten Berlin-Reisen als das "Böse" kennenlernte. Anstatt sich über die Öffnung der Bildung zu freuen, die man mit Blogs, Twitter und anderen Social-Media-Plattformen erreichen kann, gab es tatsächlich Lehrer, die auf der Suche waren nach Musterlösungen. Mehr noch: Für sie war digitale Bildung dasselbe, was es schon gab, nur eben digital. Wie konnte ich mich darüber echauffieren! Wie konnte ich das belächeln! Gut war, was ich dachte, was gut ist.
Dennoch versuchte ich, mit langen Texten und Vorträgen den Graben zu schließen, der sich meiner Meinung nach zwischen den Enthusiasten und den Verweigerern aufgetan hatte. Meine These war: Wenn wir die Verweigerer nicht ernst nehmen, kommen wir zu noch weniger.
Mittlerweile kann ich, so meine ich, die Verweigerer verstehen. Denn die Axiome, die mittlerweile im "progressiven" Diskurs herrschen, sind (das haben Axiome so an sich) nicht mehr zu diskutieren. Um einen kompletten Überblick zu erlangen, müsste man lange lesen, deshalb nur jene, die mir immer wieder auffallen.
- Transparenz ist gut. Immer.
- Kommunikation ist gut. Immer.
- Kollaboration ist gut. Immer.
- Normative Vorgaben sind schlecht. Immer.
- Kulturelle Unterscheidungen sind schlecht. Immer.
- Moderne Entwicklungen sind niemals schlecht. Niemals.
- Hierarchien sind niemals gut.
Wer diese Axiome anrührt, dem blüht böses. Gerade die Vertreter des Flipped Classroom können ein Lied davon singen, da sie ja die böse Hierarchie zwischen Lehrer und Schüler*innen vertiefen, anstatt sie in der luftigen Wattewelt der totalitären, kosmopolitischen Postmoderne zu nihilieren.
Ich verzichte an dieser Stelle darauf, Situationen, Orte und Menschen zu erklären, für die die obigen Annahmen nicht zutreffen. Das kann sich jeder selbst überlegen.
Paradoxien des digitalen Diskurses
Selbstreflexion ist schwierig, da Objekt und Subjekt der Reflexion übereinstimmen. Ein erkenntnistheoretisches Problem, fürwahr. Die Vertreter des progressiven digitalen Diskurses fallen (in meiner Wahrnehmung) oftmals in ein Schema, dass geradezu paradox ist.
Sie fordern
ständige Kommunikation zum Wohle des Lernens aller Beteiligten auf Augenhöhe
und realisieren dies,
indem sie dem Gesprächspartner die intellektuelle Fähigkeit der Beteiligung absprechen.
Sie fordern
einen offenen Austausch über Bildung und alle Beteiligten
und realisieren dies,
indem sie alles tun, um ihre eigenen Ansichten über die Sache in ausufernden Exkursen zu "beweisen".
Denkverbote II
Auf dieser Grundlage kann man nicht diskutieren. Mehr als einmal musste ich schon darüber nachdenken, ob ich überhaupt teilnehmen kann an einer Diskussion. Ist die Meinung gewünscht? Wird sie als konstruktiv empfunden?
Wer die Deutungshoheit über guten Unterricht hat, macht alle Diskursteilnehmer zu Verlierern.
Jemand hat etwas von der Tafel abschreiben lassen? Ein Arbeitsblatt ausgeteilt??? EINEN LERNGEGENSTAND VORGEGEBEN? Macht nichts, aber dann: Schlechter Lehrer.
Diese Art der Ausgrenzung ist radikal. Sie ist naiv, sie ist totalitär und sie verhindert durch ihre hermetische Abriegelung jedes Gespräch.
Wer guten Unterricht bestimmt? Derjenige, der am besten so tun kann, dass er didaktische, moralische und politische Ansichten - warum nicht: die eine Wahrheit - für sich gepachtet hat.
P.S. Bitte lesen Sie den letzten Satz nicht, da ich nicht sicher bin, ob ich ihn schreiben kann, ohne dafür sanktioniert zu werden.
P.P.S. Ich werde mich aus dem theoretischen Diskurs wieder zurückziehen. Er bekommt meinem Wesen nicht. Stattdessen werde ich weiter Inhalte für Schülerinnen und Schüler erklären. Auch wenn das hierarchisch eigentlich nicht zu verantworten ist.
Weiterführender Diskurs
Es ist bezeichnend, dass sich mit Philippe Wampfler jemand zu Wort meldet, der für seine (meist) objektive, nüchterne und sachliche Art bekannt und geschätzt wird. Jeder einzelne Punkt, den ich aufführe, kann kritisiert werden. Im besten Fall sind diese Art von Artikeln dafür da, sich zu positionieren.
Bevor ich deshalb nur kurz auf konkrete Beispiele eingehe, möchte ich betonen, dass ich auf allen Social Media Kanälen sowohl öffentlich als auch über private Mitteilungen ungewöhnlich viel Zuspruch bekomme. Dieser hat den Tenor: "Ich möchte diskutieren, kritisieren und debattieren, aber da, wo man mich und meine Arbeit ungerecht oder heuabwertend behandelt, schweige ich." Das prangere ich an.
(Nebenbei: Falls jemand nun meint, dass der respektvolle Umgang etwas für Weicheier ist, es also schlicht nach dem Motto geht: Heul nicht rum, wenn du mitdiskutieren willst, kann ich dem Argument nichts entgegen bringen. Ich erwarte schlicht gegenseitigen Respekt, der für mich beispielsweise beinhaltet, nachzufragen und auf den anderen einzugehen.)
Ich bitte zu beachten, dass ich hier weder repräsentativ antworten noch empirisch belegen kann, was ich als bestehende Axiome auch in ihrer Konkretisierung wahrnehme. Deshalb schreibe ich eben auch von Wahrnehmung und nicht von einem Zustand.
Zunächst zu den beiden (angeblichen) "Strohmännern":
(5) Das kulturelle Bedingtheit schlecht ist, dass ich persönlich quasi ein Vertreter eines identitären Deutschtums bin, wenn ich eine kulturell distinktive Perspektive auf die Kompetenzen werfe, durfte ich erst in der langen Diskussion zu den 4K erfahren. Meine Position wurde hier als "eklig reaktionär" beschrieben. Ich finde solche Diskussionen anregend, aber auch erschreckend in der Totalität und Tonalität der Beteiligten.
(6) Vielleicht sollten wir den Medienpädagogen Günter Steppich berichten lassen, was passiert, wenn er zu den Gefahren der "Neuen Medien" schreibt. Die Perspektive auf kulturelle Gleichheit zwischen Medien und deren Inhalten führt immer wieder dazu (meine Beobachtung, meine Wahrnehmung), dass beispielsweise in großen Facebook-Gruppen diejenigen niedergeschrien werden, die nur den leisesten Zweifel formulieren. Der Reaktion ist ähnlich dem, was man wohl den "Spitzer-Reflex" nennen könnte. Weil Spitzer ein Populist ist (durchaus zutreffend) darf man ihn nicht mehr in den Mund nehmen. Nichts, was er je sagte, ist wahr, weil es nicht wahr sein kann, weil er Spitzer ist.
(1) Eine Demokratie besteht nicht nur aus basisdemokratischen Prozessen. Die Wahl ist nicht nur frei, allgemein, gleich, offen und unmittelbar, sondern auch geheim. Transparenz, gerade in Zeiten, in denen eine vermeintliche Offenlegung aus Fakes und falschen Informationen bestehen kann, ist schlicht und einfach nicht immer gut. Menschen, Politiker, Schülerinnen und Schüler - schlicht, jeder, sollte das Recht haben, etwas zu sagen, dass nicht zu jeder Zeit offen gelegt wird. Nebenbei: Auf Twitter schreibe ich nicht mehr alles, was ich denke. Ich zensiere mich selbst. Die Denkverbote wirken bei mir.
Nebenbei: Ich hoffe, es sollte trotzdem klar sein, dass ich jedes einzelne Axiom in Teilen oder als Ganzes unterstütze. Ich unterstütze aber weder die Totalität der Annahmen, noch diejenigen, die keine anderen Gedanken zulassen.
(2) Die Welt besteht aus Kommunikation. Vielleicht gibt es Menschen, die immer und zu jeder Zeit kommunizieren wollen und können. Aber was ist mit den anderen? Was ist mit den feinen Geistern, den ruhigen, die eine stille, in sich gekehrte Phase brauchen, die überlegen wollen und im besten Falle dem Müßiggang fröhnen, um frisch ans Werk zu gehen? Wer sind wir, dass wir die ständige, ununterbrochene Kommunikation auf alle übertragen?
(3) Wäre interessant zu wissen, was Kafka gedacht hätte, hätte man ihn gezwungen, dauernd mit anderen zusammenzuarbeiten. Natürlich ist das gut, natürlich ergeben sich daraus neue Gedanken. Aber nochmals: Wer sind wir, dies als angenommen hinzunehmen. Ich will nicht allen die Chance nehmen, allein, auf sich gestellt, nachdenkend über eine Sache zu reflektieren.
Nun, könnte man sagen, so ist das ja auch gar nicht gemeint. Kann sein. Aber sehr häufig, wenn etwas im Netz gesagt wird, was jemand probiert, ist die erste Frage: Und wurde kollaboriert? Wenn nicht, folgt die Sanktionierung durch insistierendes Reden darüber, warum der andere falsch liegt.
(4) Das ist der wohl streitbarste Punkt, deshalb führe ich ihn, so paradox es klingen mag, am wenigsten aus. Vielleicht werde ich irgendwann einmal etwas längeres dazu schreiben. Nur so viel: Ich finde nicht nur, dass ein Literaturkanon gut ist, weil ich an die tiefe Kraft glaube, die dem Verständnis von Literatur für jeden einzelnen inne liegt, sondern ich bin der Überzeugung,
dass ich besser auswählen kann, was man wissen soll (!) und was nicht. Weil ich über Jahre diese Themen studiert, über sie geschrieben, geredet und gestritten habe.
Damit hätte sich (7) dann erledigt.