Seit mehreren Tagen schreibe ich an einem Artikel, der grundlegende Fragen zur digitalen Bildung stelle und den ich für Interessierte am Ende dieses Artikels stehen lasse. Mittlerweile sind es fast 3000 Wörter. Der Prozess der eigenen Reflexion hat mich jedoch mittlerweile zu drei grundlegenden Kritikpunkten kommen lasse, die ich verkürzt hier darstellen möchte.

1. Es fehlt an Inhalten
2. Es fehlt an Selbstkritik
3. Es fehlt an einem sachlichen Umgang

Inhalte

Ich stelle fest: In einer Welt, in der das Mobiltelefon, das Tablet und der Computer Wurmlöcher sind, um sich an jeden Ort der Welt zu beamen, ist es für mich unverständlich, wieder und wieder über die neuesten Apps zu sprechen, anstatt über grundlegende Fragen von Ethik, Bildung, Politik und Literatur. Meiner Wahrnehmung nach verharrt der Großteil der digitalen Enthusiasten (zu denen ich mich auch zähle und zählte) in einem Diskurs, der auf Kleinstfeldern ausgetragen wird und so immer wieder bei redundanten Fragen ins Stocken gerät.
Um ein Bild anzustrengen: Wenn die digitalen Geräte wie Autos sind, die uns überall hinfahren können, sollten wir mehr über die Plätz und Orte – die gefährlichen, die nützlichen, die schönen und die hässlichen – reden als über die Autos oder, schlimmer, über den Teil der Rückenleuchte, die so schön in der Nacht leuchtet.

Selbstkritik

Selbstkritik finden alle wichtig, nur nicht bei sich selbst. Ich denke, dass der digitale Diskurs keine Ausnahme darstellt. Selbstkritik ist schwierig, manchmal sogar schmerzlich, weil sie einen dazu bringt, seine Sichtweisen zu überdenken. Je immuner eine Community gegenüber kritischen Tönen ist, desto mehr verfehlt sie die breite Streuung, die sie bräuchte, um zielgerichtet voranzukommen. Die Gründe liegen auf der Hand: Es könnte in der Tat sein, dass man das eine oder andere verwerfen muss.
Mir wurde – mal im Guten mal im Bösen – vorgeworfen, die Gespräche über Twitter und über Facebook bewusst zu torpedieren. Und in der Tat nehme ich mich als kritisch war. Ich tue dies jedoch weder, um der Kritik Willen noch um Reichweite zu evozieren, wie es mir jüngst vorgeworfen wurde (Die Reichweite erreiche ich sowieso nicht über Twitter, sondern über Google). Ich tue dies, weil ich mir bei vielen Aussagen einfach nicht mehr sicher bin, ob es sich um valide Argumente handelt, zumal ich die Wahrnehmung habe, dass bestimmte standardisierte Aussagen immer und immer wieder kommen – dadurch aber nicht wahrer werden.
Dazu kommt: Wir nehmen uns zu ernst. Viele scheinen zu denken, dass eine bestimmte Zahl an Followern oder ein bestimmtes Verhalten in anderen Social Media eine Berechtigung dafür ist, sich selbst nicht mehr kritisch zu sehen.

Sachlicher Umgang

Als letzten Punkt nehme ich wahr, dass die Unfähigkeit zur Selbstkritik dazu führt, dass die Sachlichkeit in zentralen Punkten verloren geht. Sowohl was den Umgang mit Apps und Programmen angeht, die in den Himmel gelobt werden, obwohl sie sogar Beschränkungen darstellen, als auch was die Aburteilung derjenigen angeht, die den digitalen Medien und ihren Plattformen unaufgeschlossen gegenüber stehen. Schnell sind diejenigen, die Bedenken oder Kritik äußern die Bremser oder schlicht die Beispiele für Unverbesserliche. Ja, man hört sogar das eine oder andere Mal, dass manche denen, die sich den digitalen Medien verweigern, die Fähigkeit absprechen, gute Pädagogen zu sein.
Sachlichkeit würde hier zielführend sein. Eine Sachlichkeit, die der digitalen Entwicklung gut täte. Jüngst wurde ein Artikel darüber veröffentlicht, dass digitale Quellenkritik eigentlich allgemein auf Quellenkritik angewendet werden kann. Das ist ein gutes Beispiel für eine Normalisierung. So wie Medienkompetenz auch für Bücher gilt. Nur: Jeder 5. Klässler schafft es, ein lustiges kleines Video zu drehen, das vielleicht auf motiviert. Dies mit einem langen Text, einem Buch, ob digital oder analog zu schaffen, erfordert andere Fähigkeiten.

Ein guter Freund von mir, mit dem ich mich sowohl persönlich als auch professionell über alle Themen unterhalte, zeigt mir immer wieder auf, dass manche meiner im euphorischen Strudel geäußerten Aussagen einer kritischen Überprüfung nicht standhalten. Andere tun es. Ich habe viele nette Menschen und auch Freunde in der digitalen Sphäre kennengelernt und möchte keinem zu nahe treten. Aber ich finde, eine sachlichere Debatte, ein wenig mehr Selbstkritik und ein gelegentlicher Blick auf die Inhalte sind grundlegende Voraussetzung dafür, die Digitalisierung im Bildungsbereich zu verankern.

tl;dr

Ich würde mir mehr Selbstkritik und einen sachlicheren Umgang mit Themen und Personen beim digitalen Diskurs wünschen.

 

 

P.S. Wen es nun interessiert, mir beim lauten Denken über mehrere Seiten zuzuhören, kann den Ausgangstext lesen, der die Themen umfangreicher und vielleicht teilweise zugespitzter versucht zu umschreiben (auf den Punkt gebracht ist es wohl nicht).

Dichtung und Wahrheit: Meine Kehrtwende in der Digitalisierung

Dieser Artikel über die sogenannte Digitalisierung ist eine Reflexion über die eigene enttäuschte Erwartungshaltung und darüber, dass zu viele vermeintliche Antworten zu noch viel mehr Fragen führen. Die für mich drei wichtigsten Fragen sind für diejenigen, die meinen Blog und eventuell meinen Twitteraccount verfolgen, vielleicht überraschend.

Meine erste Frage lautet: Brauchen wir die Digitalisierung wirklich?
Meine zweite Frage lautet: In welchem Umfang brauchen wir sie überhaupt?
Meine dritte Frage lautet: Beschäftigen wir uns mit den falschen Themen?

Kurze Vorbemerkung

Warum ich Fragen stelle, die ich selbst seit drei Jahren nicht nur dachte, beantwortet zu haben, sondern deren Antworten ich versuchte, mit zu bestimmen, möchte ich hier klären. Was dieser Artikel nicht sein soll, ist eine „Abrechnung“ mit den Menschen, die sich für die Digitalisierung in Bildung und Hochschulbildung einsetzen und ihr Herzblut opfern. Mir geht es nicht darum, das Engagement von irgendjemandem in Frage oder bloßzustellen. Im Gegenteil: Ich bin froh, so viele Leute kennengelernt zu haben und zu kennen, die mit einem Feuereifer, Innovationslust und Mut in vorderster Reihe kämpfen. Es nützt mir nur gerade für meine eigenen Fragen nichts.

Eine kleine Vorgeschichte

Damit diese Fragen überhaupt einen Sinn ergeben und ich nicht von der digitalen Zunft (als deren Teil ich mich fühle) in die Manfred-Spitzer-Gedächtnis-Ecke geschoben unter dem „tag“ „unverbesserlicher Analogiker“ gespeichert werde, möchte ich für diejenigen, die es interessiert, ein wenig ausholen.
Sowohl in meinem Studium als auch in meinem Referendariat hatten digitale Medien keine oder allenfalls eine dienende Funktion. Natürlich ist es sinnvoll bei Doktorandenprojekten Online-Datenbanken zu nutzen, die Ergebnisse in Listen zu sammeln und zu systematisieren. Aber das war es dann auch schon. Im Referendariat spielten sowohl digitale Medien als auch soziale Netzwerke keine Rolle. Allenfalls als Randgebiet wurden sie als Erweiterung der Methodik gesehen. Eine DVD hier, eine CD da – was man so kennt. Bis dahin hatte mich das alles auch nicht gestört, bis eine riesige Tür aufgestoßen wurde – und die hieß Twitter.
In der kleinen Realschule im Nordschwarzwald war mir der Austausch zu sehr auf die alltäglichen Fragen zentriert. So fiel mir wieder mein Blog ein, in dem ich ein wenig vor mich hin schrieb. Ehrlich gesagt interessierte das damals keinen.
Dies war nur so lange so, bis ich in einem eigentlich unbedeutenden Artikel Christian Füller, den mir bis dahin unbekannten Berliner Journalisten, kritisierte. Herr Füller, dem ich mittlerweile auf einer Handvoll Konferenzen begegnet bin und mich nett ausgetauscht habe, stieß auf meinen kleinen Blog und schoss mit Kanonen auf mich kleinen Spatzen. Was ich damals für ziemlich unverschämt hielt, ist heute ein Umstand, für den ich mich bedanken muss. Denn nach diesem Intermezzo stießen immer mehr Kommentatoren hinzu, die diskutierten. Der „Traffic“, also die Anzahl der Leute auf meinem Blog, schoss in die Höhe. Im ersten Monat nach Füllers Kritik auf dieselbe Anzahl an Besuchern wie im Jahr davor. Davon kann man sich nichts kaufen. Aber ob 300 oder 300.000 Leute den Blog besuchen macht in der Diskussion schon einen Unterschied. Und man denkt (ob zu Recht oder zu Unrecht, sei dahingestellt), man könne kleine Impulse geben.
Dazu kam Twitter. Ich lernte den #edchatde kennen, jenen Twitter-Chat des Frankfurter Lehrers Torsten Larbig und des Kölner Lehrers André Spang, in dem über die verschiedensten Themen der (digitalen) Bildung diskutiert wird. Die beiden sind gute Beispiele dafür, wie man sich auch in der realen Welt verstehen kann. Es war fantastisch!

#Neuland

Damals hätte ich mich wahrscheinlich nicht für naiv gehalten, was die digitale Umgebung angeht. Aber ich war es. Plötzlich wurde ich von einer Welle neuer Begriffe überrollt, von neuen Zusammenhängen und vor allem von vielen neuen Menschen, die, wie ich später feststellte, im „wahren Leben“ genau so nett sind, wie ich sie in Wort und Bild in Blogs und bei Twitter kennengelernt hatte. Ich war enthusiastisch. Was ich hier erlebte, der konstruktive Austausch, die tollen neuen Ideen, die vielen Impulse – all das müsste man doch in die Schule transportieren können. Ich las die einschlägigen Werke (auch analog), folgte den Leuten auf Twitter und Facebook und schrieb selber weiter.
Ein wenig war es wie das Gefühl, das man erlebt, wenn man sein Studium anfängt, und so viele neue Leute trifft, die auch lieben, was man selbst liebt. Man hätte es nie gedacht, aber plötzlich stehen sie neben dir, haben ähnliche Träume und wünsche und verfluchen dieselben Feindbilder.
Ich persönlich musste immer wieder bemerken, dass vieles von dem, was ich gerade entdeckte, schon längst entdeckt worden war. Und verworfen. Aber das machte mir nichts. Ich schaute nach Apps, bildete mich fort, gab selbst Fortbildungen zum Thema. Ich hatte, so dachte ich, erfolgreich Neuland betreten.

Rückschläge

Das war vor etwa dreieinhalb Jahren. Schon früh musste ich bemerken, dass nicht alle Lehrpersonen so enthusiastisch auf „meine“ Entdeckungen reagierten. Nein, eigentlich tat sich gar nichts. Im #edchatde redete jemand über die „Maulfwurf-Methode“. Ein Begriff, den ich stetig weiter verwendete: Wenn man die Kollegen schon nicht überzeugen kann, dann eben ein „Role Model“ sein. Das Handy – die Kulturzugangsmaschine – verwenden, das iPad als Organisationstool nutzen und zeigen und irgendwann würden die anderen schon folgen. Aber sie folgten zum Großteil nicht. Und das ließ mich und viele andere verzweifeln. Warum wollten „die anderen“ denn nicht die großartigen Vorteile sehen, die die Digitalisierung bietet? Vor allem: Wird Deutschland nicht immer weiter zurückgeworfen? Sind wir nicht längst ein digitales Entwicklungsland, gerade was die Digitalisierung betrifft? Egal welche Baustelle man sich anschaut, wenn man über die Flure der digitalen Konferenzen, Podiumsdiskussionen und digitalen Hangouts huscht, es steht immer fest, dass Deutschland zurück ist: Keine Infrastruktur, kein politischer Wille, keine Fortbildungen, keine richtigen Lehrer, kein Pflichtfachinformatik, kein Wille seitens der Lehrer. Es war zum Verrücktwerden.

Ein Missverständnis

Aber selbst wenn man die anderen nicht überzeugen kann, ist man selbst und diejenigen, die den digitalen Diskurs mitbestimmen, ja noch dafür da, dass man zusammen die digitale Bildung in die Schule bringt, weiter führt und darauf aufmerksam macht, welche Vorteile alles hätte. Dabei kann jeder dabei sein, jeder etwas sagen. Es hat fast den Anschein, dass man mit seinen Einwürfen, seinen klugen Tweets und seinen Blogbeiträgen auf Augenhöhe mit denjenigen ist, die beispielsweise in der Universität zu genau jenen Themen dozieren, Bücher schreiben und auf Konferenzen gehen.
Das ist aber ein Missverständnis. Eines, das ich erst nach und nach bemerkt habe. Dabei hat der digitale Diskurs eine einfache „Waffe“: Die Ignoranz. Wie es nämlich auf der einen Seite jeder selbst zu verantworten hat, welche Artikel oder Nachrichten durch seine persönliche Timeline laufen, kann man natürlich diejenigen Artikel, die sich kritisch mit der Materie befassen, links liegen lassen. Dies ist zum einen sehr vorhersehbar. Schrieb ich hier einen Artikel über die großartigen Verwendungsmöglichkeiten und Erfahrungen mit iPads im Klassenzimmer, wären mit sehr viele mehr Erwähnungen sicher, als mit dieser kritischen Reflexion. Das ist nicht tragisch, sorgt aber dafür, dass mit kritischen Tönen eben das passiert, was man bei den „Analogen“ so sehr kritisiert. Es verpufft im Äther.

Ein großer Jubelreigen

Dieser Umstand zeigt die Seite des digitalen Diskurses, die ich nicht besonders schätze. So habe ich des Öfteren das Gefühl, dass sich die großartigen Menschen, die es sich mit viel Motivation zur Aufgabe gemacht haben, das Digitale in die Bildung zu bringen, gegenseitig so lange auf die Schulter klopfen, dass sie für jede Form von Kritik immun werden. Sobald aber Kritik geäußert wird, folgt Ablehnung.
Nun ist es nicht verwunderlich, dass man das, was einem nicht passt, ablehnt. Auf der anderen Seite sind es aber doch die sogenannten 4Cs, die „neuen“ Fähigkeiten des 21. Jahrhunderts, die im Netz so gehypt werden: Collaboration, Communication, Creativity und Critical Thinking.
Das Problem ist nur, dass, so sehr ich dies unterschreibe, es oftmals an der für mich wichtigsten Fähigkeit fehlt: Dem kritischen Denken. Und damit meine ich nicht allgemein das kritische Denken. Viele Menschen im digitalen Diskurs denken kritisch. Aber an bestimmten Punkte hören die Zweifel oftmals auf.
Ohne nun die Definition eines Begriffes zu versuchen, der für jeden etwas anderes heißen kann und gerade momentan auch oft genug in politischem Kontext dazu missbraucht wird, um Stimmung zu machen, würde ich die These aufstellen, dass sie kritisches Denken vor allem an der Fähigkeit zeigt, das eigene Handeln oder Denken kritisch zu hinterfragen. Denn: Um jemanden anders zu kritisieren, muss ich nicht kritisch denken können. Das geht immer und überall und auch ohne differenzierte Überlegungen anstellen zu können.
Mir geht es um das kritische Denken, das einen selbst betrifft. Es gibt bestimmte zur Norm gewordene Thesen im „digitalen Diskurs“, die nicht mehr hinterfragt werden. Witziger Weise eben auch jene, dass diejenigen Lehrkräfte, die sich dem digitalen Wandel sperren, dies tun, weil sie eben konservativ oder faul oder wenig innovativ sind. Das hört man immer wieder. Nur: Erstens macht man es sich zu einfach und zweitens immunisiert man sich damit gegen einen Austausch, den die Diskussion bitter nötig hätte.
Ich nehme wahr, dass diejenigen, die sich dem digitalen Diskurs und der Weiterverbreitung der Technologie, ob es nun im Unterricht oder der Hochschulbildung ist, meinen, auf einer „höheren“ Stufe zu sein. Kritik ist entweder nicht erwünscht oder wird beiseite gewischt, eben mit jenen Argumenten, die den anderen zu einem Auslaufmodell machen, zu jemandem, der die Zeichen der Zeit nicht verstanden hat, zu Angsthasen und vieles mehr. Das Problem ist: Selbst wenn der eine oder andere Vorwurf stimmen würde, ist das nicht zielführend, sondern bewirkt meiner Erfahrung nach das Gegenteil.
Nun müssen wir auch nicht überall kritisieren, wenn es gar nichts zu kritisieren gäbe, denn: Hat die „Digitalisierung“ nicht sowieso nur Vorteile? Sind die ganzen Panikmacher nicht populistische Selbstdarsteller, die Bücher verkaufen wollen, um Angst zu machen vor bösen Hacks und Angriffen und Verbrechern und „digitaler Demenz“? Kann sein. Kann aber auch nicht sein. Denn wenn wir den bösesten aller Teufel nehmen, den es bei uns digitalen Enthusiasten gibt, Manfred Spitzer, fällt auf, dass die meisten ihn gar nicht gelesen haben. Meine ganz persönliche Erfahrung ist, dass bei bestimmten Reizwörtern ein Thema im Keim erstickt wird.
Nehmen wir ein weiteres, wichtigeres Beispiel, das mich noch viel mehr in den Wahnsinn treibt. Es heißt:

Das Wissen ist doch überall verfügbar

Das ist eine Tatsache bei uns digitalen Enthusiasten. Damit können wir alles rechtfertigen. Wider das tote Wissen. Wider das Bulimielernen. Tablets in das Klassenzimmer und schon ist alles da. Endlich können wir differenzieren! Endlich können wir die 4Cs anwenden! Endlich können wir uns mit den wichtigen Dingen befassen!
Aus den wenigen Jahren Erfahrung, die ich habe, muss ich widersprechen.
Das Gegenteil ist der Fall. Nichts ist einfach da. Zu denken, jeder könne doch alles googlen ist, wie sein 4-jähriges Kind zum Einkaufen zu schicken. Ist doch alles da.
Nein! Wissensbeschaffung erfordert Wissen. Informationsentnahme erfordert Informationen. Auch und vor allen das mit dem unsäglichen Begriff belastete „tote Wissen“.
Sie glauben das nicht? Dann googlen Sie mal, ob Napoleon ein guter Europäer war. Am besten ist, wenn Sie mit Geschichte nichts am Hut haben, denn dann können Sie verstehen, wie es einem Schüler geht.
Was machen Sie?
Den Wikipedia-Artikel aufrufen? Da sind in den ersten 50 Zeilen 20 Links. Lesen Sie die alle? Was ist ein „guter“ Europäer? Was ist zu Napoleons Zeit ein „Europäer“? Kann man von „Europa“ sprechen? Wikipedia hat allgemeine Informationen. Welche Seite nehmen Sie? Den 15. Vorschlag? Den 2200ten?
Aber, wird man sagen, aber: Das spricht doch für den Umgang mit digitalen Medien, damit der Umgang gelernt werden kann. Und das stimmt. Kein Widerspruch. Aber ich kann trotzdem nicht lernen, wie ich suche, wenn ich nicht weiß, in welchem Rahmen ich das mache.
Und dieser Rahmen kann auch „Wissen“ sein. Böses, totes, starres Wissen. Jahreszahlen. Die bösen Zahlen, die immer wieder herangezogen werden, um zu sagen, dass Geschichte doch mehr ist als Zahlen. Klar. Schon. Und was wollen Sie ohne die Zahlen machen?
Googlen Sie mal, was wichtiger war für die deutsche Geschichte: 1815 oder 1848. Es braucht Referenzpunkte. Anknüpfungspunkte. Grundlagen. Vielleicht – jetzt traue ich mich – sogar aus bösen Büchern.
Das Problem vieler Menschen, die in den 30er bis 50er Jahren sind, dass sie aus einer Zeit kommen, in der sie beides kennengelernt haben. Sie haben Bücher gelesen und Homepages und können beides beurteilen und konzentriert bearbeiten und denken, dass wird bei den Schülern auch so sein. Ein naiver Gedanke!

Eine Entscheidung

Das Internet geht nicht wieder weg. Standardsatz. Hundert Mal gehört. Kann man wiederholen. Und: Die böse alte Schule bildet mit den Mitteln der Vergangenheit für die Zukunft aus. Viele Berufe, die unsere Schüler haben, kennen wir heute noch nicht. Und so weiter und so fort. Ja, das stimmt. Die Folgerungen sind mal das eine („Pflichtfach Informatik, jetzt sofort!“) mal das andere („Tablet-Klassen! Weg mit den Büchern!“). Und das Heil ist dann: Schicke Apps im Unterricht einsetzen, dies und das und alles wird gut.

Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, keine Tweets und sonstige lustige Gimmicks einzubauen, aber hier geht es nicht anders, da es gerade veröffentlicht wurde, während ich den Artikel schreibe und der Tweet wie die Faust aufs Auge passt. Der Punkt ist: Natürlich kann man Apps im Unterricht einsetzen. Man könnte sogar die Kartoffel-App einsetzen. Vielleicht bei einer Koch-Unterrichtstunde? Und, ich wage es gar nicht zu sagen, vielleicht gibt es ja einen „Mehrwert“.
Der Punkt ist: Was genau haben wir dann? Außer Kinder und Jugendliche, die Kartoffeln fotografieren? Was haben wir davon? Ich lese, dass man diese und jene App einsetzen kann und dieses und jene Tool und frage mich dann das, was ich ganz oben angestellt habe:

Brauchen wir die Digitalisierung wirklich?
In welchem Umfang brauchen wir sie überhaupt?
Beschäftigen wir uns mit den falschen Themen?

Oder lassen Sie mich die Frage umformulieren: Brauchen wir digital kompetente Schülerinnen und Schüler? Und in welchem Umfang? „Natürlich!“, sagen sie. Und ich werde mich auch nicht querstellen. Im Gegenteil: Wenn jemand sein Handy benutzen kann, um damit konstruktiv zu arbeiten, warum nicht?
Aber ehrlich gesagt bräuchten wir darüber nicht jahrelang reden. Denn: Wenn ich mit meiner Kursstufe GoogleDrive nutze (was ich tue), dann brauche ich dafür eine Stunde. Für jeden andere App auch. In den unteren Klassen etwas länger. Aber wissen Sie, was dauert?
Es dauert, problemorientierte Fragen stellen zu lassen (sie glauben gar nicht, wie lange).
Es dauert, sich einem Gegenstand zu nähern.
Es dauert, ein Thema so lange zu bearbeiten, bis man ein Experte ist, bis man es durchdrungen hat, bis man die Grundlage hat, die es einem vielleicht ermöglicht, die verschiedenen Perspektiven kritisch zu beleuchten.
Es dauert, ein ganzes Buch zu lesen.
Es dauert noch länger, noch ein Buch zu lesen und es mit dem anderen zu vergleichen.
Es dauert, sich ein Buch oder ein Thema so anzueignen, dass man auch ohne eine tolle PowerPoint darüber reden kann, so dass die Leute einem zuhören, weil man Ahnung vom Thema hat und nicht weil man glitzernde Übergänge per Drag and Drop eingefügt hat.
Und wenn man all dies getan hat, wenn man sich angestrengt hat und Informationen aufgenommen hat, die vielleicht zunächst redundant waren, wenn man seine Kompetenzen geschult hat, indem man große Informationsmengen systematisiert und organisiert, abstrahiert und zugänglich gemacht hat, dann verspürt man vielleicht ein wenig Glück; ganz ohne Gamification.

Aber im Ernst. Was bleibt dann?

Und diese Frage treibt mich um. Wenn es nur um die Schüler geht (was wir doch sagen), was bleibt dann? Glauben Sie mir eine Sache: Dass ich (wieder) an diesem Punkt bin, nervt mich. Gewaltig. Denn ich dachte eine Zeit lang, ich hätte etwas gefunden, für das es sich lohnt einzutreten. Aber ich komme mir selbst lächerlich vor, wenn ich in einer Zeit, wo Menschen sterben und andere Menschen durch die Medien Hass streuen und wir lustig über Apps reden, die man in einer lustigen Stunde lustig verwenden kann.

Die politische Seite der Medienbildung finde ich extrem wichtig. Bloggen, um seine Schreibfähigkeiten zu schulen und kommentieren, um die Kommunikation zu schulen? Prima. Muss man nicht, kann man. Mediennutzung reflektieren? Auf jeden Fall.

Aber, und das ist der Punkt: Was bleibt dann?

Oder, um es pointierter und zum dritten Mal zu sagen:

Meine erste Frage lautet: Brauchen wir die Digitalisierung wirklich?
Meine zweite Frage lautet: In welchem Umfang brauchen wir sie überhaupt?
Meine dritte Frage lautet: Beschäftigen wir uns mit den falschen Themen?

Im Augenblick bin ich ratlos.

30 Kommentare

  1. Habe den langen Text nur etwas überflogen, den Blogpost aber ganz gelesen. Die Bemerkung zu den Inhalten kann ich nicht nachvollziehen – ich arbeite täglich mit interessanten Inhalten und habe nie den Eindruck, der Digitalisierungsdiskurs habe meine Fähigkeit dazu irgendwie beeinträchtigt. Im Gegenteil: Mein Horizont hat sich erweitert. Und das erlebe ich auch bei allen Kolleginnen und Kollegen, die sich im Netz austauschen. Ja, es gibt Diskussionen, die im Kreis drehen – aber das ist doch keine Eigenheit dieser Netzdiskussion.
    Zur Sachlichkeit und Selbstkritik kann ich nicht viel sagen. Meine Devise ist: Machen, ausprobieren. Da geht vieles schief und ich denke nicht, dass das ausgeblendet wird. Aber wenn man neue Ideen präsentiert, will man die nicht gleich schlecht machen – das ist irgendwie einleuchtend. Ich sehe einige Akteurinnen und Akteuere im digitalen Zirkus auch kritisch und äußere diese Kritik gerne. Regelmäßig führe ich Debatten, einige führen weiter, andere nicht. Letztlich verhallt deine Forderung nach kritischem Denken für mich etwas: Denke doch kritisch – wer hindert dich daran? Ist nicht dein Blogpost dein kritisches Denken? Kannst du nicht diejenigen Stimmen, die sich nicht sachlich oder reflektiert äußern, ausblenden?
    (Und um ganz ehrlich zu sein: Deine Traffic-Geschichte nehme ich dir nicht ganz ab. Kürzlich hast du dich darüber gewundert, dass ich einen Text, der von einer Diskussion mit dir angestoßen wurde – fd.phwa.ch/?page_id=421 – nicht auf deinen Blog verlinkt habe. In diesem Beitrag tust du dasselbe, du erwähnst einen Blogpost, ohne darauf zu verweisen. Gleichzeitig sprichst du aber ausführlich über Traffic und Wahrnehmung, verwendest Hashtags und FB-Gruppen um deine Texte zu verlinken. Mein Eindruck: Du hast dir in der Community einen größeren Impact erhofft und bist davon enttäuscht. Kann gut sein, dass ich mich täusche – aber so schätze ich deine Verunsicherung ein.)

    • Ich würde mich gerne zu allen Punkten äußern. Zum einen: Du bist doch einer der wenigen, bei denen es um alle hier genannten Punkte geht. Das hat alles Hand und Fuß, du beziehst die verschiedenen gesellschaftlichen Dimensionen ein, schreibst darüber, normalisierst. In diesem Sinne bist du, wenn ich das sagen darf, das Paradebeispiel dafür, was ich mir mehr wünschen würde. Ich hoffe, das klingt nicht zu sehr nach Einschmeicheln. Auch sollte es, auch wenn es mir nicht gelungen ist, kein Appell an kritisches Denken. Es war mehr der Wunsch, dass wir als diejenigen, die den digitalen Diskurs vorantreiben wollen, auch auf Kritiker eingehen. Es gibt etliche Beispiele, wo das nicht passiert. Zum dritten: Dies hier ist ein kleiner Blog. Und alles ist frei und öffentlich. Ob die Leute darauf stoßen oder nicht, ist nur insofern relevant, dass ich mich darüber freue, wenn man diskutieren kann. In dem Fall deines Artikels hatte ich erklärt, warum mich der fehlende Link störte. Ich fühlte mich als Strohmann.
      Und noch zum letzten Punkt: Ich mache mir keine Illusionen über irgendeine Wirkung. Ich bin Gymnasiallehrer und blogge nebenbei. Wenn ich höre, dass ein Artikel ein Denkanstoß ist, freut mich das. Aber das war es auch. Die Enttäuschung erlebte ich einige Male eher im Lehrerzimmer, als ich mich fragte, warum so wenige auf den Zug aufspringen wollten und nun, da ich versuche, das Gefühl zu äußern, dass der Diskurs zu einseitig ist. Nochmal: Ich spreche hier ausschließlich von meinen eigenen Wahrnehmungen.

    • Damit bin ich einverstanden: Selbstverständlich sollte man skeptische Lehrkräfte nicht in einen Topf werfen und sie nicht abwerten – sie zu verstehen ist wichtig und führt weiter. In dieser Hinsicht ist Beat Döbeli Honeggers Buch »Mehr als 0 und 1« sehr zu empfehlen, er listet dort Argumente gegen das Digitale in der Schule auf: http://mehrals0und1.ch/Argumente/WebHome Seine Forderung: Sie studieren und Antworten darauf finden, wenn man für das Digitale eintreten will.
      (Und: Danke für die Blumen, freut mich!)

      • Ja, ich hatte den Artikel schon gesehen. Werde mich daran lassen, sobald ich es schaffe, mich mal wieder mit Muse einem neuen Thema zu widmen. Ehrlich gesagt denke ich, dass in Sachen Weiterführung und Implementierung digitaler Themen und Strukturen viele dasselbe wollen, aber sehr unterschiedliche Wege haben. Nach einem längeren Gespräch muss ich feststellen, dass es mir nicht gelungen ist, meine Enttäuschung wertneutral zu artikulieren.

  2. Ich habe beim Lesen dieser Texte etliche Male genickt (z. B. wenn es darum geht, dass konkretes Wissen wichtig ist, dass man nicht in einem luft- und wissensleeren Raum leben und immer nur “on demand” Wissenshäppchen aus Wiki- oder sonst welchen -pedias holen kann) – und etliche Male leicht vor mich hin geseufzt und mir gedacht: “Wer vertritt denn so eine extreme Haltung überhaupt” (z. B. wenn es darum geht, dass – angeblich – viele Digi-Enthusiasten ständig nur mit “lustigen Apps” lustige Dinge machen wollen, ohne auf einen sinnvollen Kontext zu achten, ohne überhaupt ein anderes Ziel vor Augen zu haben als “lustig” zu sein)?

    Vielleicht schreibe ich später mal mehr dazu, aber ich muss jetzt leider noch eine Prüfung fertigstellen, die meine Schüler morgen Vormittag zu bearbeiten haben – übrigens gänzlich ohne digitale Hilfsmittel, und ich finde das in diesem Fall nicht im geringsten betrüblich, denn es geht um Sprechfertigkeit.

    Es ist nicht alles schlecht. Und man muss nicht Pessimismus für Selbstkritik halten.

    • Mensch, Peter. Ich verteufle das noch nicht. Und ja, ausgerechnet die Stelle ist scharf geraten. Aber du hast mich doch jahrelang im #edchatde erlebt, oder nicht? Ich bin doch nicht zum Teufel persönlich mutiert. Mir geht es darum, dass mich selbst was stört. Ich freue mich über deinen Kommentar, aber würde mich freuen, wenn das auf einer sachlichen Ebene bleibt. Wie ich merke, ist es mir nicht gelungen…

  3. Sehr guter Artikel! Ich darf gerade am eigenen Leib erfahren, wie die Digitalisierung der Schule in Sphären gerät, in die ich ungern folgen möchte. “Digitalisierung um jeden Preis” und verpflichtende Stundenanzahl mit Medieneinsatz. Die Frage, ob der Einsatz überhaupt gewinnbringend oder das eigentliche Lernziel unterstützen bleibt völlig auf der Strecke.
    Meiner Meinung nach sollte sich die Frage “Einsatz digitaler Medien- ja oder nein” gar nicht stellen, sondern alle Überlegungen sollten vom Inhalt aus ausgehen, also der erwähnten “problemorientierten Fragestellung” oder des “Lesens eines oder mehrer Bücher (inkl. Bezüge)”, wenn die digitale Welt zu dieser Erschließung dann förderlich ist, kann sie ja genutzt werden…aber das sollte selbstverständlich oder eher beiläufig passieren und nicht als großes Event zelebriert werden.

  4. Die Frage, ob wir die Digitalisierung wirklich brauchen ist nicht relevant, weil wir uns bereits in einem gesellschaftlichen Veränderungsprozess befinden, der von der Digitalisierung eingeleitet wurde.

    Die Frage sollte dann eher lauten:

    1) Die irreversible Digitalisierung der Gesellschaft hat längst begonnen, welche Rolle spielt sie?

    und etwas provokativer:

    2) Kann es sich ein Bildungssystem erlauben, trotz der gesellschaftlichen Veränderung an veralteten Konzepten und Traditionen festzuhalten?

    • Das Problem ist: Diese Fragen stelle ich mir ja auch. Und bei beiden würde ich ja sagen. Letztlich zeigt sich doch durch meine Reflexion, dass ich einfach an einem Punkt bin, an dem ich ratlos bin.

    • Und noch ein Nachtrag zu 2). Nein, kann es nicht. Natürlich nicht. Aber dann bleibt meine Frage: Wenn wir wissen, dass wir uns kümmern müssen, worum muss es dann gehen? Ich finde, wir kümmern uns oftmals um sekundäre Fragen.

  5. Ich finde den Text sehr Interessant auch wenn ich nicht ihrer Meinung bin. Man sollte doch ein wenig Grips haben um zu erkennen das du keine Ahnung vom Leben hast
    Jockel
    ✌man sieht sich

    • Ich verstehe den Kommentar nicht. Ist der Text nun interessant oder nicht? Willst du mich duzen oder siezen? Muss man intelligent sein, um zu verstehen, dass ich keine Ahnung habe? Wie gesagt: Hier stehe ich auf dem Schlauch. Vielleicht könntest du das noch deutlicher machen, wenn du magst. Herzliche Grüße

  6. Zu deinen Fragen, statt eines eigenen Blogeintrags:

    1. Meine erste Frage lautet: Brauchen wir die Digitalisierung wirklich?
    Als Gesellschaft: Ja.
    Als Schule: Nur insofern sie auf ein Leben in einer digitalen Gesellschaft vorbereitet. Das ist etwas anderes, als möglichst viel digital zu machen.

    2. Meine zweite Frage lautet: In welchem Umfang brauchen wir sie überhaupt?
    Siehe oben. Ziel muss sein, dass nicht so etwas herauskommt wie viele meiner analogen Kollegen: Sie vergessen ihre Passwörter, können Quellen im Web nicht nutzen und bitten mich dann immer um Hilfe.
    Manche möchten und glauben, dass digitale Werkzeuge mehr sind als nur neue Werkzeuge. Dass sie zu mehr Selbstbestimmung führen werden, zu mehr Kollaboration, zu mehr Innovation. Oder dass man weniger Wissen im Kopf haben muss. Das sind alles irrige Annahmen.

    3. Meine dritte Frage lautet: Beschäftigen wir uns mit den falschen Themen?
    Ich nicht. Was ihr tut, weiß ich nicht genau, weil ich in einer anderen Filterblase bin.

    • Danke für deinen Kommentar. Das Witzige ist, dass ich entweder während des Schreibens oder danach an dich denken musste, weil du a) schon viel länger dabei bist und b) derjenige warst, der schon zu dem Zeitpunkt sachlich war, als ich noch eine Revolution und einen Paradigmenwechsel zu erkennen glaubte. Insofern finde ich deine Antworten auf die Fragen absolut nachvollziehbar. Was die Filterblase angeht: Vielleicht ist das auch das Hauptproblem… Deine Annahme über die irrigen Annahmen teile ich, denke jedoch, dass sie sehr diskussionswürdig sind, weil viele andersrum argumentieren. Alles in allem habe ich das Gefühl, herrauiger geworden zu sein… 🙂

  7. Die Begeisterung über das digitale Werkzeug verebbt, der Wert des analogen Tuns wird wieder entdeckt: was für ein wertvoller Moment!: Du hast die Fähigkeit zum Arbeiten mit dem Neuen und das Wissen, um es sinnvoll einsetzen zu können. Was willst Du mehr?: genau dahin möchtest Du die S doch auch bringen. Und dazu wirst Du Deinen Teil beitragen können, indem Du Dich für die Vorbereitung der Stunden auf den gesamten Fächer der Möglichkeiten besinnst. Heilslehren zeitigten schon immer im besten Falle fragwürdige Resultate. Bedachtsamkeit rulez.

  8. Vielen Dank für den tiefsinnigen Artikel. Solche Fragen müssten ofter, ernsthafter und breitenwirksam diskutiert werden.
    Was die Kommentare betrifft, mag ich mich nicht wiederholen. Am nächsten hat es Herr Rau beantwortet.
    PS. Wo soll denn der Artikel erscheinen?

  9. Lieber Bob,
    merci für den überlegsamen und zugleich kritischen Text. Wie immer stimme ich nicht überall zu, wär ja noch schöner. 😉 Was ich aber sehr toll und wahnsinnig wichtig finde: dass Du den Zustand der typischen Unmündigkeit der Digitaleuphoristen verlassen hast. Es braucht mehr Kritiker und weniger Fans. Denn das Kritische Denken ist in dieser Community total unterbelichtet, siehe den Jubelperser-#Edchatde an.
    Groß, Bob! Merci. Christian

  10. Was Herr Rau und Peter Ringeisen oben gesagt haben, kommt meiner Ansicht nahe. Trotzdem möchte ich noch einige Aspekte ergänzen.

    Zu den Fragen des Textes:

    Brauchen wir die Digitalisierung wirklich?

    Ich glaube, diese Frage stellt sich nicht. Sie passiert einfach, so wie die Globalisierung und die Industrielle Revolution. Das kann man mögen oder nicht – das ist irrelevant. Es gilt, sie möglichst zu gestalten, weil man sonst u.U. überfahren wird. Dann passieren Umwälzungen, die man nicht hat kommen sehen. Für eine Einzelperson kann das tragisch sein, für ganze gesellschaftliche Institutionen destabilisierend und mitunter katastrophal.

    In welchem Umfang brauchen wir sie überhaupt?

    Siehe Herr Rau. Da „die Schule“ auch ein Ort der Reflexion sein sollte, ist es einerseits gar nicht so schlecht, dass sie ein träger Apparat ist – sonst würde sie ja jeder Mode hinterher rennen. Selbst ein neuer Bildungsplan, der ja von oben verordnet wird, sickert erst allmählich in den Jahren nach seiner Einführung in die einzelnen Unterrichtsstunden voll hinein. Eine gesellschaftliche Umwälzung wie die Digitalisierung braucht länger. Man kann einfach ziemlich lange so tun, als ginge einen das nichts an und das machen viele Leute dann auch, weil sie nicht wissen, wie sie reagieren sollen und weil sie auch so in ihrem Alltag genug um die Ohren haben.

    Insofern ist Deine Enttäuschung, dass sich in den Kollegien so wenig tut, verständlich. Allerdings musste ich selbst auch schon lernen, dass die Entwicklungsuhren einer bürokratischen Maschine (und die Schule ist so eine) viel langsamer gehen als ich das zu Beginn meiner Lehrerzeit gewohnt war. Inzwischen habe ich (meist) meinen Frieden damit gemacht.

    Ich denke, man muss an sich arbeiten, um einen langen Atem zu entwickeln. Das hat auch den Vorteil, dass man gründlich über Dinge nachdenken kann, bevor man sie in der Breite umsetzen möchte. Ich erlebe das an meiner Schule in verschiedener Hinsicht. Nach einigen Jahren beginnen nun Dinge Früchte zu tragen, die schon jahrelang „reifen“ und die ich in der Zwischenzeit schon mehr als einmal fast aufgegeben hätte. Ich habe tw. allein weiter betrieben, weil sie für mich gut und nützlich waren und erlebe nun, wie das nach und nach auch andere erkennen. Es hat in dem einen Fall nur vier Jahre gedauert (und es fängt gerade erst an, ist also noch weit von vollständiger Breitennutzung entfernt).

    Beschäftigen wir uns mit den falschen Themen?

    Je nach Filterblase meines Erachtens schon, da stimme ich Deinen Überlegungen in weiten Teilen zu. Es gibt einfach viele Leute, die sich gerne geil fühlen und da gibt es in der Digitalisierungsszene eine Menge Anlässe dafür. Man kann das Konferenzen- und Politik-Bauchpinselspiel spielen und kommt so richtig in Fahrt. Man wird von allen Seiten gelobt, weil die meisten der Schulexternen ja ohnehin keine Ahnung haben, woran man guten Unterricht mit digitalen Medien erkennt bzw. weil die meisten viel zu kurz hinschauen, um das angemessen beurteilen zu können.

    In der Praxis geht es meines Erachtens eher darum, vor Ort an der eigenen Schule und ggf. im weiteren Kreis (Fortbildungen etc.) umsetzbare Beispiele zu zeigen, Stärken und Schwächen auszuloten und aufzuzeigen. Tolerant gegenüber Neulingen zu sein (so wie man ja auch Schüler/innen gegenüber – hoffentlich – keine „Du bist ja hoffnungslos hintendran“ Haltung aufsetzt. Man kann sich auch fragen, welche Aspekte des eigenen Fachs und/oder Berufs man selbst nicht so gut kann, wie das angemessen oder wünschenswert wäre – das macht bescheidener.

    * * *

    Nun zu Deinen Thesen:

    1. Es fehlt an Inhalten
    2. Es fehlt an Selbstkritik
    3. Es fehlt an einem sachlichen Umgang

    Ja.

    Als Beispiel mal die 4Cs:

    Collaboration, Communication, Creativity und Critical Thinking.

    Was hier fehlt, ist meines Erachtens die Sachkenntnis, das Wissen (wie Du ja auch schreibst und wie ich auch schon mal geschrieben habe – damals habe ich mich übrigens auf einen Sturm von Gegenargumenten gefasst gemacht – es kamen keine; nur konstruktive Kritik bezüglich des Fehlens des Konzepts Orientierungswissen im Text).

    Man kann die vier Cs trefflich betreiben, ohne wirklich Ahnung von dem Thema zu haben, um das es geht (beim vierten C muss man dann ein wenig improvisieren, mit etwas Übung kann man kritische Fragen aber auch ganz gut ohne Sachkenntnis vortäuschen). Und genau diesen Eindruck habe ich oft, wenn tolle digitale Ansätze vorgestellt werden. „Wir haben E-Books erstellt und ins Netz gestellt.“, „Wir haben zu dem Thema getwittert“, „Wir haben dazu gebloggt“. Das können sinnvolle, fundierte, wissensbasierte Unterrichtstätigkeiten gewesen sein, die in der Präsenzphase kritisch reflektiert wurden und zu nachhaltigem Verständnis der Sachverhalte geführt haben. Es kann aber auch sein, dass nur hübsches Pseudo-Lernen dabei herausgekommen ist – wer schaut sich die Ergebnisse schon so intensiv an, dass er das beurteilen könnte – wenn es den Ergebnissen überhaupt anzusehen ist.

    Damit kein falscher Eindruck aufkommt: Ich halte das Arbeiten mit digitalen Medien in der Schule für absolut wichtig und tue es selbst ständig. Ich probiere neue Dinge aus, von denen manche klappen und lernförderlich sind und von denen andere nicht klappen und verworfen werden. Wie sehr digitale Medien beim Lernen helfen können, habe ich für die Blogparade vor einigen Monaten mal zusammengeschrieben.

    Nichtsdestotrotz ist das kleinschrittige Vorarbeiten im alltäglichen Kontext realen, prüfungsrelevanten Unterrichts etwas anderes und deutlich mühsamer als die öffentlich und oft wiederholte Präsentation von Heilsbotschaften und -geräten einschließlich toller #Geheimprojekte zum gegenseitigen Schulterklopfen. Das Kleinschrittige, Alltägliche kann man aber den eigenen Kolleginnen und Kollegen vorleben, man kann dazu fundiert Auskunft geben und Hilfestellung leisten, wenn es jemand ausprobieren will. DAS ist die wichtige Arbeit. (Natürlich sollte es auf höherer Steuerungsebene auch begleitende Maßnahmen geben, aber das zu diskutieren würde hier nun zu weit führen).

    Insofern: Du bist anscheinend in der Desillusionierung angekommen. Das fühlt sich nicht schön an, ist aber nicht so schlecht. Von jetzt an kannst Du mit realistischem Blick auf das aufbauen, was Du in den letzten Jahren an Substanz hervorgebracht hast (und das ist ja nicht wenig).

  11. Ich fühle mich durch Deinen Artikel gut gewarnt, die Euphoriebremse im Auge zu behalten. Gleichwohl lösen Deine Gedanken und Kernfragen keine Unsicherheit bei mir aus, sondern bestätigen mich in meinen Beobachtungen der Community. Bin ich unsensibel, wenn ich sage, Dein Zweifeln muss wohl so sein, hat seinen Sinn?

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