Was man nicht alles liest dieser Tage über das TV-Ereignis eines Senders, der ansonsten höchstens mit einer feinen, vernichtenden Kritik die Zeitungsseiten des seriösen Journalismus in Deutschland ziert, lesen kann. Wenn aber das „Dschungelcamp“ anläuft, da sind sie alle vereint. Und mit „alle“ meine ich nicht nur die Print- und Onlinemedien, die sich in spontanen Anfällen der Jungelcamp-Berichterstattung in der eigenen ironischen, sarkastischen, „historischen“ oder schlicht blöd-pauschalem Geschreibe zu übertreffen versuchen. Die Einigkeit der Medien über das Dschungelcamp lässt den perfide-mitleidigen Boulevard rund um Schumacher und denn pauschal-überschlagenden Beifall des Hitzlsberger-Coming Outs weit hinter sich.
Deutschland, einig Dschungelcamp
Und auch die Zuschauer sind seltsam vereint (wobei sich hier nur die Rechtfertigung unterscheidet – von geradeheraus Bejahenden zu den sich in soziologischem Interesse Vortäuschenden) Von Student über Professor, von Hausfrau über Schüler, von Bauarbeiter zu Lehrer – die Gemeinsamkeit der heutigen Tage artikuliert sich einmal mehr auf dem Sofa. Seitdem Thomas Gottschalk seine Klinke einem glatt-geleckten Vorabend-Entertainer wie Lanz in die Hand gegeben hat, gibt es außer den guten Tatorten keine Sendungen mehr, die wirklich besprochen werden. Aber sobald die Asseln über Gesichter laufen und sich Menschen der größtmöglichen Peinlichkeit preisgeben, um hinterher die letzte Zwiebelschale der eigenen, längst vergangenen „Prominenz“ in kurze Einspieler diverser Jahresrückblicke oder dem gesamten Müll der „Die 10 besten...“ zu schmeißen, da sind plötzlich alle dabei.
Mein anderes Ich
Wobei wir in der „Australischen Hölle“ (Bild) im Augenblick noch zehn Freiwillige haben, die nach der Bildzeitung zu urteilen wohl alle an der australischen Hitze sterben (was natürlich tragisch wie zynisch wäre, da sich die deutschen ja ansonsten eher weniger über Hitzetote auf der Welt echauffieren). Der SPIEGEL schreibt in einer grandiosen Fehldeutung, vom „kognitivem Urlaub des Bildungsbürgertums“. Das „Ekelfernsehen“ wird als Befriedigung des voyeuristischen Triebes genutzt. Alles schon gehört. Nein, „Das Dschungelcamp“ ist wie ein Spielplatz menschlichen Verhaltens, allerdings von Menschen gespielt, die dieses Verhalten aufgrund ihres zuweilen lange zurückliegenden Status als „irgendwie bewundert“ im Leben von Fremden neu erlernen müssen.
Ich für meinen Teil, schaue die Selbstzerfleischung des Prominenten-Präkeriat eigentlich nur aus einem Grunde: So, wie in der Snickers Werbung der Kumpel von ein paar Sportlern zu einer Diva wird, wenn er nichts isst, werden viele Menschen zum Berserker, wenn sie nichts essen. Pessimistisch ausgedrückt, zeigt sich das Maß einer vernünftigen Behandlung von Mitmenschen erst dann, wenn sich wenig zu essen haben. Und genau da fängt die Sendung an Spaß zu machen. (So fragwürdig das ist, aber moralische Verdrängung haben wir sehr gut erlernt).
Moralisch legitimierte Folter, die Zweite
Das Schöne am Dschungelcamp ist nicht nur, dass so oftmals wiedergekäute Verlangen nach Klischees wie einem Paar, schmutzigen oder privaten Details aus dem Leben (was ja oftmals dasselbe ist), oder anderen mehr oder weniger inszenierten Nichtigkeiten. Erstaunlicher Weise scheinen die Leute, die in den Dschungel gehen, die bisherigen Sendungen zu wenig geschaut, denn ansonsten ist es schwer nachzuvollziehen, warum sie sich diese Tortur demokratisch unterstützter Folter antun (wobei dies eigentlich nun Wendler sei Dank auch schon ohne die regulären Prüfungen zutrifft).
Wirklich interessant wird es nach einigen Tagen, in denen langsam das Make-Up fällt. Dort nämlich, wo die vermeintlich Prominenten erkennen, dass sie komplett auf sich selbst gestellt sind, fehlt ihnen genau der Teil ihres Ichs, das sie erst in diese Situation gebracht hat: Der Drang, ins Rampenlicht zu gehen. Zurückgeworfen auf ein Selbst, dass sich normalerweise über die Bewunderung der anderen definiert. Hungrig und abhängig von immer unwürdigeren Prüfungen, zeigen die Promis, wer sie als Mensch sind. Wir sind live dabei auf der Insel der Fliegen.
Des Glückes Schmied
Ich für meinen Teil wäre im Dschungel wie viele der traurigen Gestalten aufgeschmissen, weil ich wahrscheinlich nach dem ersten Tag ohne essen einen Streit vom Zaun brechen würde, der in Tränen und Geschrei ausarten würde (was selbstverständlich auch so der Fall sein wird).
Stattdessen lehne ich mich zurück, und sehe dabei zu, wie die verzweifelten Clowns versuchen, das letzte bisschen Menschenwürde aus ihnen herauszuquetschen. Und das fällt vor allem dann schwer, wenn Menschen Hunger haben. Und in sehr fragwürdigen abschließenden Worten können wir danach zumindest behaupten, dass der Wendler gelitten hat und hundertfach benutzte Todschlagargument hinzufügen: Er hat es sich ja selbst ausgesucht.