Ein Essay über menschliche Tiefgründe und eine unmoralische Empfehlung 

Ich gebe es zu. Es ist wieder passiert. Ich habe es wieder nicht lassen können. Nachdem ich die brotdummen halbprominenten Silikonmädchen in der afrikanischen Wüste gesehen hatte, war klar, dass ich den Fernseher nicht mehr für solcherlei Abfallprodukte des Fernsehens erwärmen würde. Doch nach einem Blogartikel über den „Superlativ der Fremdscham“ hatte mich das Interesse wieder.

Was ich in den ersten Minuten von „Promi Big Brother“ erwartete, überragte bei weitem alles, was ich jemals an Tiefpunkten der unmenschlichen Unterhaltung gesehen habe. Längst haben wir George Orwells Schreckensversion hinter uns gelassen.

Da wird der nahende Tod eines Familienmitglieds und die folgende Verabschiedung einer Bewohnerin genüsslich mit melancholischer Musik untermalt, begleitet von den semi-netten, hochgradig artifiziellen Verabschiedungsnettigkeiten der anderen Bewohner. Da wird eine Bewohnerin an 5 aufeinander folgenden Tagen zu Challenges eingeladen, bis sie psychisch so unter Druck ist, dass man das Gefühl hat, wenn ihr ein Seil mit aufs Zimmer gegeben würde, würde sich ihr Leben für nicht länger als eine Nacht verlängern.

Der Witz der Sache ist: Diese unglaublich ekelhaften Momente, die ich im Detail anderen überlassen möchte, sind natürlich vom Publikum gewollt. Das, was die Macher der Sendung den Zuschauern liefern, um in der Quotengunst nicht noch mehr abzustürzen zu lassen, wird zumindest von denen, die schauen, dankend angenommen.

Nachdem die unter Promis mit einem roten Tuch behaftete Gorgina gezeigt hat, dass sie trotz des Wissens ihrer unglaublichen Unbeliebtheit für ein wenig Glanz alles, aber auch wirklich alles machen würde, das die Fremdscham hergibt, artet „Big Brother“ schlimmer aus, als es die Polizisten gegen die Gefangenen im Film „Das Experiment“ tun.

Die Moral wird das Klo runtergekotzt. Die Bewohner, Verzeihung, aus eigener Dummheit Gefangenen dieser Sendung fressen und kotzen und schreien und zeigen ihre Haut, so dass man das Gefühl hat die satirische Allegorie von Orwells „Animal Farm“ würde hier live im Fernsehen übertragen. Allerdings wären die Tiere mit mehr Verstand ausgestattet.

 

Immerhin sind in der weltberühmten Novelle nämlich „einige Tiere gleicher als die anderen“, was auf die Gefangenen aber nicht zustößt. Das perfide an diesem Format des Schams ist nämlich, dass trotz der Tatsache, dass allen zumindest gleich ist – nämlich die Verabschiedung jeglicher moralischer oder sozialier Kompetenz –,  dass alle gerade deshalb so verschieden, weil sie alle von sich denken, besser als die anderen zu sein.

Eine gewaltige Auseinandersetzung auf einem Kindergarten in Berlin Kreuzberg mit blutigen Fäusten und Nasen hätte mehr sozial erlernte Regeln, als dieses Unterhaltungsmassaker. Und dies ist natürlich von den Fernsehmachern eingeplant, deren Rolle eine größere ist, als man meinen könnte.

Denn der Grund, warum man trotzdem zuschaut ist der schon durch psychologische Tests aus den Neunziger Jahren bekannte Effekt der „Shifting Baselines“, also einem Abbau moralischen Wertungsvermögens, das wie in den damaligen Test Menschen anderen Menschen Schaden zufügen lässt, solange eine Autorität dies für legitim erachtet oder sogar befiehlt. Diese Verschiebung wird als Erklärung herangezogen, das Verhalten von Soldaten im Krieg oder den Einfluss von Gewaltmedien nach Amokläufen zu beschreiben.

In Zeiten wie den heutigen, in denen wir vor einem Video fast vor einen Zug laufen, um zu zeigen, wie unerschrocken ich bin, oder uns nackt an eine Abrissbirne hängen und uns rekeln, erzeugt die Nachfrage einen kollektiven Abbau von verstandesgemäßem Urteilsvermögens (den man mir, nebenbei gesagt, im Prinzip auch absprechen müsste, da ich trotz des semi-wissenschaftlichen Verbalausfälle diese Sendung auch schaue).

Dadurch, dass man denjenigen, die bei solchen Übertragungen tatsächlich noch anrufen sowieso nicht die höchste Intelligenz zusprechen kann (es tut mir leid, nicht böse gemeint), wirken die beiden zwanghaft ironisierenden und selten lustigen Oliver Pocher und Cindy aus Marzahn in diesem Menschenzoo als eben jene Autoritäten, die dafür sorgen, dass man sich seiner Entscheidung sicher sein kann.

„Ja“, lautet die Botschaft, „ihr dürft das schauen, ihr dürft die Bewohnerin Natalia nach 5 Prüfungen und nahem Kollaps angelogen wird, dass sie das Haus verlassen darf, dann aber nur in einen Raum geschickt wird, in dem sie sehen kann, wie die anderen über sie herziehen“ ein Lachen auf den Lippen haben.

Ja, ich darf mich über diese Abgründe freuen, weil es ja erstens Fernsehen ist, zweitens dort Dick und Doof sagen, dass es in Ordnung ist und drittens, und das ist vielleicht der größte Grund, die Menschen ja aus eigener Entscheidung in diesen Abfluss steigen.

Dies ist natürlich die größte Entschuldigung, einzuschalten oder die Bewohner in unerträglich peinliche Situation zu wählen (sofern sie es nicht selber machen). Und da trifft man dann tatsächlich auf ein Problem. Denn die Kandidaten ähneln in der Ausprägung ihrer sozialen und kommunikativen Fähigkeiten eben jenen, bei denen man in Sendungen wie „Deutschland sucht den Superstar“ darüber nachdenkt, ob die Begrenztheit des Intellekts nicht schon an eine Behinderung reicht.

Und genau dieser Satz zeigt die Bredouille, in die man sich zwangsläufig hineinmanövriert, da man ja weder über Behinderte lachen möchte, noch geistig herausgeforderten Menschen (wie der Amerikaner sagt) die Fähigkeit für eigene Entscheidungen absprechen.

Und so gesehen offenbart dieses Fernsehformat eine Chance, mehr über de Abgründe unseres Seins herauszufinden. Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Dies ist bei weitem kein gesellschaftliches Problem, sondern eben die Chance, entscheidungsfähigen Menschen, die eben nichts anderes Gelernt haben, als bei einer Gruppe von Willigen kotzend und schreiend oder nackt bekannt zu sein – und zwar egal wie und egal wo –beim langsamen Tod der Moral zuzuschauen.

 

Vielleicht kann man es auch so sehen, dass wir keine Theaterstücke mehr sehen müssen, um uns im Lessingschen Sinne moralisch zu reinigen, sondern Sendungen, in denen der Untergang jeglicher erträglichen Menschenwürde einem vor Augen hält, dass man etwas lernen sollte, um niemals im Leben in die Situation zu kommen, wie wir sie live erleben können.

Von daher kann man Ende dieses Essays – schön, dass du dich durchgekämpft hast – diese Sendung dann eigentlich nur empfehlen. Womit wir wieder beim Problem der eigenen Urteilsfindung werden.

Ich jedenfalls habe wieder viel gelernt.

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