Bevor es mit diesem Text losgeht, müssen Sie sich festhalten. Was folgt, ist ein Geständnis, das so grausam, so unfassbar, so unmenschlich ist, dass es Sie ansonsten packen und zu Boden reißen wird: Ich bin Deutschlehrer und mache dennoch Fehler. Und das finde ich in Ordnung. Denn es ist Teil meiner Auffassung, auch Schülerinnen und Schüler dazu zu ermutigen, Fehler zu machen. Und diese dann als Grundlage für die Weiterarbeit zu nutzen. Einige Nachrichten, die mich heute erreichten, inspirierten mich zu dieser kleinen Abhandlung.
Umgang mit Fehlern
Fehler in der Rechtschreibung sind blöd. Gerade wenn man Deutschlehrer ist. Keine Frage. Im Internet dient die Zurechtweisung des Gegenübers oft als letzte Handlung vor der Eskalation. Der mittlerweile bekannte "Grammatiknazi" will dem Gesprächspartner die Denkfähigkeit absprechen, weshalb er (oder sie) auf den Fehlern herumhackt.
Anders ist es in der (progressiven) Filterblase (auf Twitter). Entdeckt jemand einen Fehler, wird dieser kommuniziert. Mal als Nachricht, mal als aufmerksamer Kommentar. Aber immer steht dahinter die Einsicht: Keiner ist perfekt und jeder, der Inhalte teilt, ist anfällig für den einen oder anderen Fehler (jetzt hätte ich beinah ein Komma vergessen).
Dahinter steht eine abgeschwächte Form der "Schwarmintelligenz". Man kennt sich, man schätzt sich, man gesteht sich Fehler zu und man weiß, dass der oder die es eigentlich besser weiß. Der Hinweis auf einen Fehler wird so im Prinzip zu einem Schritt zur Kooperation. Bevor wir diese Denkweise auf die Schule übertragen, schauen wir uns das gegenteilige Beispiel an.
Fehler als Fehlbarkeit
Schon vor einigen Wochen fiel mir ein Kommentar auf, in dem sich eine Person darüber beschwerte, dass ich in einem Artikel unterlassen hatte, ein Komma zu machen. Sie würde sich den Artikel nun nicht durchlesen und was ich mir überhaupt erlaube. Eigentlich dachte ich, dass ich diese Person geblockt hatte; das war falsch. Heute kamen einige Nachrichten auf Facebook (die Nachrichten wurden nach einem unten stehenden Kommentar gelöscht, wenngleich sie anonym waren).
Zusammenfassend erklärte die Person, dass sie die Artikel gar nicht erst lesen würde, wenn dort ein Fehler zu finden sei. Das ist ihr gutes Recht. Die Erklärungen waren jedoch in einer Schärfe verfasst, die mich staunen ließen. Die generelle Kompetenz wurde genauso angezweifelt, wie mit einem ironischen Smiley angemerkt wurde, dass ich das Wort, um das es ging, verbesserte.
Ich vertrete, wie auch Philippe Wampfler, die Auffassung, dass Gedanken, die man im Blog notiert, flüchtig sind. Sie sollten so wenig Fehler wie möglich beinhalten. Aber wenn diese passieren, reicht eben ein Hinweis. Insofern der Dank und die Korrektur des falsch geschriebenen Wortes. Es folgten jedoch weitere Nachrichten.
Ich kann das verschmerzen. Die zahlreichen Fehler, die in der Nachricht waren. Den direkten Angriff. Die Genugtuung, dass ich den Fehler beseitigt hatte (quasi als Schuldeingeständnis). Alles. Aber mich wundert es doch, wie wenig die Menschen offen mit Fehlern umgehen. Und wie sehr ein Fehler dazu führt, demjenigen, der ihn machte, gleich die Gesamtkompetenz abzusprechen.
Fehlerkultur 2.0
Keiner freut sich über Fehler. Aber Fehler passieren - überall. Was ich im #twitterlehrerzimmer und generell auf Twitter so bemerkenswert finde, ist, dass hier das gelebt wird, was auch in Bezug auf das Lernen immer wieder gesagt wird: Fehler sind die Grundlage für das Weiterlernen. Sie sachlich zu besprechen, nicht die Person als Ganzes dafür verantwortlich zu machen und Hinweise zu geben, wie diese vermieden werden können, all das ist auch ein Bereich zeitgemäßer Bildung. Denn es bricht mit dem Bild, dass der Lehrer unfehlbar ist und quasi keine Fehler machen kann.
Und so lebe ich es vor. Mir passieren Fehler. Nicht nur im Netz, sondern auch in der Schule. Der Hinweis darauf zeigt mir, dass Schüler aufmerksam dabei sind. Mehr noch: Als ich für meine Kursstufe Interpretationsaufsätze schrieb, machte ich es Ihnen zur Aufgabe, (inhaltliche) Fehler aufzudecken und die Argumentation zu prüfen. Denn neben der Tatsache, dass dies ein weiterer Lerneffekt ist, zeigt dies ein gemeinsames Arbeiten auf Augenhöhe.
All das bedeutet freilich keinen Freibrief dafür, nach Gehör zu schreiben. Und es bedeutet auch nicht, keinen Wert auf die Form zu legen. Es bedeutet lediglich, dass auch der gemeinsame Umgang mit Fehlern ein Wert ist, der in der Schule und außerhalb viel mehr Gewicht einnehmen sollte.
Insofern war die erste Replik für mich der Versuch, den Kommentar in diese Richtung zu leiten. Funktionierte nicht. Blocken aber schon.
Wer Fehler findet, darf sie behalten. Oder mich drauf aufmerksam machen. Das wäre dann zeitgemäße Fehlerkultur.