Wenn die Schule rum ist, muss man gehen. Sonst wird man immun gegen alles, was Spaß macht.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dass man als Erwachsener den Kindern und Jugendlichen meint, gut zureden zu müssen, was sie machen sollen, ist nichts Neues. Neu ist, dass dieses gute Zureden sich in einer ironischen Umkehr zum paradoxen Urschrei zusammenzieht: Verschwendet doch zumindest einen Teil eurer Jugend!

Wenn man heuer mit der zukünftigen Elite unseres Landes spricht (verkneifen wir uns an dieser Stelle alle Aber-Kommentare), kommt es einem vor wie in dem Film “Wir sind die Neuen” (2014), in dem die versnobten Studierenden ihren neuen Nachbarn im Rentenalter erklären, dass sie ihre Ruhe brauchen und dass sie bitte nicht stören sollen. Möglichst schnell in ein Studium und dann in den Job und dann – ja, dann kann man immer noch ins Ausland. Kann man nicht!

Seine Heimat, seine Freunde, seine Kreise zu verlassen ist mehr als die mutige Lücke im Lebenslauf, die irgendwie geil war. Sie muss sich auch nicht als Elite-Auslands-Praktikum die Chancen für den Platz für den internationalen Bachelor im Rückwärts einparken garantieren. Zu gehen bedeutet auch, zu sehen, wer man ist, wenn man nicht weiß, wo man ist (leises Trommeln mit dem Besen).

Kraftklub haben Recht. Die Eltern kiffen schon längst mehr als die Schüler. Wie soll man rebellieren?

Die bittere Antwort: Wenn ihr auf sie hört (zumindest wenn sie im besten Fall sagen, dass ihr bitte schnell eure Koffer packen und gehen sollt). Ein paar Tränen, ein blaues Auge, einen schreienden Abschied und ein paar stinkende Klamotten später (waschen wird nämlich überbewertet, wenn man es mal selber machen muss) werden vielleicht ein paar von den jungen Wilden erkennen, dass es zu Hause am besten war. Glückwunsch! Aber die Erkenntnis kommt erst, wenn man geht.

Und ein paar werden Leute kennenlernen, von denen sie nicht wussten, dass es sie gibt. Menschen, die verrückt sind, bescheuert, mutig, hilflos, grandios, romantisch, selbstverliebt, idealistisch, wütend, großartig, herzlos, liebevoll. Oder feststellen, dass es für manche Gefühle keine Worte gibt.

Und dann kann man immer noch seinen Bachelor machen und Rosen verteilen. Oder seinen Master, selbst wenn es für den Studiengang “…of the Universe” nicht reicht. Deutsche Institutionen rennen nicht weg. Das Alter, in dem die Unbeschwertheit zu völlig bekloppten Einzigartigkeit hinreissen lässt, schon.

Also packt die Sachen, liebe Abiturienten, und haut ab! Weg hier! Und kommt erst wieder, wenn ihr euch sicher seid, dass der, der das, was ihr vorhabt, machen will, auch ihr seid.

Schreibt mal eine Postkarte.

 

5 Kommentare

  1. Ja, aber nein.
    Ich selber werde im nächsten Jahr mein Abitur machen – und bin auch jetzt schon einer der “versnobten”, die sich überlegen, wie es weitergehen soll. Wenn ich mein Abi in der Tasche habe, werde ich 17 und ein paar gequetschte sein.

    Ich stimme dem Text dahingehend zu, dass er mE auf die meisten Abiturienten zutrifft. Auf die, die ich täglich als meine Stufenkameraden erlebe – für die sich die Welt auf den Schulweg, das Schulgelände, und Ausflugsziele mit Mami und Papi beschränkt. Im besten Falle wagt man sich sogar einmal zum Chinesen – natürlich nicht dem 2 Blöcke weiter um die Ecke, sondern selbstverständlich nur zu einem, der an Heidelbergs Hauptverkehrsknotenpunkt liegt. Denn da kommen manche ja ab und zu vorbei. Das ist schrecklich. Und das schlimme ist, dass zwei Stunden ja eindeutig viel zu kurz sind, um sich aus dem Oberstufenraum in die Stadt oder in den Wald zu begeben. Viel zu kurz. Da kann man gar nichts machen. Überhaupt nichts. – Gar nichts machen – kann auch ich, wenn ich versuche, Personen davon zu überzeugen, dass Heidelberg & Umgebung mehr zu bieten haben als die Straßenbahnhaltestelle. Und jedes Mal, wenn ich es versuche, ahne ich, wie sehr sie sich später darüber aufregen werden, dass sie hochgerechnet Wochen damit verbracht haben, im Oberstufenraum zu liegen, und sich darüber zu echauffieren, dass man gar nichts machen könne. Zieht wiederum mich runter (Entschuldigt, dass ich an der Stelle derartig meinen Frust ablasse). Abhauen müssten diese Leute. Das ist ja durch sämtliche Kommerzialisierungen und Services zumindest einigermaßen populär. Ob man dann, wenn man zurückkehrt, erkennt, dass auch der Wald & die Stadt ein wunderbarer Teil dieser Welt sind? Ich bezweifle es. Zu sehr wird man heute mit sämtlichen Pseudo-Topangeboten umworben. Und die Möglichkeit des Lebens zu erkennen – das ist eine Erkenntnis, die von selbst kommen muss.

    • Geradlinig gibt’s nicht. Daran glaubt man nur bis zum ersten echten Tritt in die Eier. Und dann kommt das eigentliche Leben, das nix zu tun hat mit Hochglanzwerbung und Lebenslauf.

      • Der Kommentar macht mich ein wenig stutzig.
        Umso besser, die Zeit jetzt schon zu nutzen, um sich selbst rauszuschmeißen, oder? Auf-/Leben kann ich auch jetzt schon. Vor “dem ersten echten Tritt in die Eier”. Und zwar gerade abseits der gemütlichen Couch und hinter meinem favourite Social-Network, in dem ich vor lauter Narzissmus die extreme Verzerrung des Geschehens nicht mehr erkenne, abseits vom Elternhaus. Vielleicht gab es den “echten Tritt in die Eier” in meinem Leben schon – vielleicht benötig(t)e ich ihn aber auch einfach nicht. Und ja, ich bin so selbstsicher, das zu behaupten. Mag sein, dass ich noch getäuscht werde. Aber so wie ich mich in meinen vergleichsweise Unmengen an Freizeit, die mir als Schüler noch zustehen, erlebe, bin ich weit über die MamiPapi-Hemisphäre, die in Artikel&Kommentaren beschrieben wird, hinaus. Wenn auch zugegebenermaßen noch nicht physikalisch – was der Hauptkritikpunkt sein dürfte, sehe ich das richtig? – aber mental um ein weites (mir ist klar, dass räumliche Nähe mentale Nähe impliziert – trotzdem sehe ich mich auch durch meinen Lebensstil bereits als fähig an, unabhängig von meinen Eltern zu agieren. Auch über pubertäre Schwankungen und Selbstsicherheit hinaus).

        Ich weiß, dass dieser Kommentar ein hohes Maß an Egozentrismus(gibt’s das Wort?)/Selbstbezogenheit beinhaltet. Und dass ich womöglich noch auf die Schnauze fliegen werde, und dass sich dies auch einige Leser denken werden. Trotzdem schreibe ich ihn – eben weil ich meine Anti-SpaßImmunitäts-Impfung auch momentan schon vollziehe. Einen schönen Abend 🙂

  2. Ich wusste nach dem Abitur ganz genau, was ich wollte – die Welt retten! Nicht weniger.
    Und dann kam das Leben dazwischen und ein Studienplatzwechsel und ein halbes Jahr im Ausland und auch eine Krankheit und ein Todesfall und die Suche nach mir selbst.
    Ganz ehrlich? Gut so. Ich bin dankbar um jede Kurve, die ich bisher hatte.

    Und dabei geholfen hat sicherlich auch, dass ich am anderen Deutschlands lebte als meine gesamte Familie und sehr oft ziemlich auf mich alleine gestellt war. Es gab Ärger um den Putzplan. Wochen, in denen ich nur von Nudeln mit Tomatensauce lebte oder Brot mit Senf (fragt nicht). Es gab extrem merkwürdige Menschen um mich rum und sehr spannende. Irre WGs. Komische Typen, die ich als meinen Freund bezeichnete. Grippen, bei denen ich ne Woche alleine klarkommen musste. Und es gab auch verdammt dunkle Stunden, in denen ich nicht genau wusste, wie ich es bis zum nächsten Tag schaffen sollte – klassischer, herzzerreißender, erstickender Liebeskummer. Ich habe insbesondere in einer Nacht ernsthaft geglaubt, ich sterbe an Liebeskummer und Einsamkeit, so ganz ohne Mama oder sonstiges Sicherheitsnetz.

    Ich würde es niemals tauschen wollen. Die knapp 18jährige, die damals heulend ans andere Deutschlands zog, hatte trotz glänzendem Abitur und der Aussicht auf ein Stipendium (hat nicht geklappt) verdammt viel zu lernen, das sie bei Mama daheim nicht gelernt hätte.

    Und Brot mit Senf kann eigentlich ganz gut schmecken.

Schreibe einen Kommentar zu Thilo / @Thilosophus Antwort abbrechen

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein