Das du dir sowas überhaupt noch gibst...
Diskutieren und Argumentieren sind schwierige Angelegenheiten. Nicht, weil sich nicht genügend Belege oder Beweise für die eigene Meinung finden lassen würden, sondern weil eine echte Diskussion auch immer bedeutet, dass man sein Gegenüber ernst nimmt, zuhört und die Aussagen einbezieht. Das ist schwierig, sowohl bei der Argumentation in der Schule, als auch und umso mehr "in freier Natur", da sich dort die vermeintlichen Experten nur so tummeln. Eine heutige Diskussion möchte ich als kleine Lehrstück nehmen, um zu zeigen wo und wie Diskussionen aus dem Ruder laufen und was eigentlich schief gegangen ist. Dabei ist deutlich zu sehen, dass das, was der Schriftsteller Ortheil über deutsche Meinungen sagt, zutrifft: Sie würden oftmals einfach nur abgestellt, ohne dass man auf den anderen einginge.
Die Diskussion beginnt, wie immer, mit einem "harmlosen" Tweet:
Ein Computer als Lehrerersatz? pic.twitter.com/Rf2LJAzmMJ
— Herr B. (@legereaude) 14. Februar 2016
Obwohl man vermuten würde, dass dies allein nichts Schlimmes wäre, geht es hier los. Aber kümmern wir uns nicht um die wütenden Antworten. Zunächst sehen wir: Da ist ein Kind, das sich Lehrer wünscht, nicht nur Computer.
Jetzt kommen wir zum Kandidaten:
Ein Computer als Lehrerersatz? pic.twitter.com/Rf2LJAzmMJ
— Herr B. (@legereaude) 14. Februar 2016
@RealSpybye @legereaude zwangsläufig einhergehenden negativen auswirkungen entweder nicht erkennen,oder verdrängen & alles als "fortschritt
— Þeodisk ЯantaloT (@vertigonix) 14. Februar 2016
Bis dahin ist noch alles verständlich. Da ist also jemand, der ein neues Thema beginnt (das sagt er nicht explizit, tut es aber, indem er über "die Digitalisierung" schreibt, also einen außerordentlich großen Themenkomplex, in dem es um deutlich mehr geht als um Lehrer und Computer. Soweit lässt sich die These auch bestimmen: Viele Verfechter der (wie auch immer gearteten) Digitalisierung sind "betriebsblind" geworden. So weit könnte man dem zustimmen, dann folgt aber ein Beleg, der es in sich hat:
@RealSpybye @legereaude wer sich "digitale demenz" reingepfiffen&verstanden hat,kann den blinden "fortschrittsglaube",gestützt durch gadgets
— Þeodisk ЯantaloT (@vertigonix) 14. Februar 2016
Nun muss man wissen, dass der erwähnte Herr für die meisten Leuten, die sich mit der Digitalisierung befassen ein rotes Tuch ist. So auch für mich. Deshalb folgt die Antwort:
@vertigonix @RealSpybye Zu den letzten beiden Tweets. Nein, Spitzer gehört zu denjenigen, deren populistische Kritik nicht gehaltvoll ist.
— Herr B. (@legereaude) 14. Februar 2016
Es sollte dem Gegenüber klar sein, dass ich durch mein kommunikatives Verhalten (also das Favorisieren der ersten Tweets und den direkten Bezug ausschließlich auf die beiden letzten) nicht generell ablehnend reagiere, sondern nur auf den letztgenannten "Beweis". Das wäre in dieser Form auch in einer Texterörterung möglich. Man erkennt ein Argument an, lehnt aber Teile davon aus bestimmten Gründen ab. Was nun folgt ist im Prinzip schon der Abbruch einer gelungenen Kommunikationssituation.
@legereaude @RealSpybye weißt du überhaupt,was "populistisch" bedeutet? oO
— Þeodisk ЯantaloT (@vertigonix) 14. Februar 2016
Diese Form der Nicht-Argumentation zieht sich durch das gesamte Internet und ist einer der Gründe, warum das Miteinander-Reden so schwer ist. Das Gegenüber gibt dem Gesprächspartner zu verstehen, dass es an dessen Intelligenz zweifelt. Meine Reaktion ist dementsprechend:
@vertigonix @RealSpybye Ah, direkter Angriff. Darauf habe ich keinen Bock, sorry.
— Herr B. (@legereaude) 14. Februar 2016
Das hätte ich natürlich kunstvoll machen können. Aber wie schon gesagt, darum geht es nicht mehr. Anstatt darüber zu reden, was eigentlich das Thema war, nämlich die durch einen umstrittenen Autoren angeblich bewiesene These, dass die Digitalisierung große Nachteile hat - was man diskutieren könnte -, sind wir nun auf der Ebene des Persönlichen. Durch meine Reaktion folgt demnach prompt ein weiterer Angriff:
@legereaude @RealSpybye aber so is das mit ideologie...aber kein grund,wie ein mimöschen zu reagieren 😉
— Þeodisk ЯantaloT (@vertigonix) 14. Februar 2016
Auch dies ist sehr typisch. Zuerst wurde die Intelligenz in Frage gestellt, nun die Fähigkeit des "richtigen" Diskutierens. Die Frage, was angemessen gewesen wäre, erübrigt sich. Denn, wie gesagt, es geht nicht mehr um Inhalt. Dementsprechend meine Reaktion:
@vertigonix @RealSpybye Erstens, ich bin ein Mimöschen. Zweitens: Entweder diskutieren oder dem Gegenüber Kompetenz absprechen. Klar?
— Herr B. (@legereaude) 14. Februar 2016
Also: Anstatt in die Spirale zu geraten, gebe ich dem anderen Recht: Ich bin, sagen wir, sensibel. Und offeriere eine weitere Gelegenheit, über das Thema zu reden. Jedoch sollte nun jedem klar sein, dass es nun nicht mehr darum geht. Nach einem Versuch durch den Hinweis auf einen längeren Text die Diskussion auf das Thema zurückzulenken, geht es weiter in die Beleidigung:
@legereaude :LOOOOOOOOOOL:
mir tun jetzt schon deine zukünftigen schüler leid...#berufverfehlt— Þeodisk ЯantaloT (@vertigonix) 14. Februar 2016
Wie man oben sieht, habe ich mittlerweile selbst keine Lust mehr, weshalb, bestätigt sich hier. Aus den ersten beiden Angriffen es fehle a) die Intelligenz und b) die angebrachte Kommunikationshaltung, wird nun ein pauschaler Angriff der Fähigkeit des Gegenübers.
Das, was die hier nur in Teilen angegebene Diskussion zeigt, ist ein Lehrstück dessen, wie "Diskussionen" im Internet funktionieren. Anstelle eines Austausches über Inhalte wird dem Gegenüber die Fähigkeit abgesprochen, überhaupt diskutieren zu können. Dabei hat das Ganze eher wenig mit guter Argumentation zu tun:
Kommentarstrategie im Internet: Ich hab ein unsichtbares Einhorn, dass nur ich und intelligente Menschen sehen.
Überzeug mich vom Gegenteil
— Herr B. (@legereaude) 14. Februar 2016
Letztlich hat eine gelingende Kommunikationssituation, von der die Argumentation eine besonders schwierige Sorte ist, weil man per definitionem verschiedene Ansichten hat, immer mit Respekt zu tun und mit dem Willen, auch die eigene Ansicht zumindest andeutungsweise zu hinterfragen. Ist das nicht der Fall, geht es irgendwann nicht mehr darum, welche Argumente ausgetauscht werden, sondern wer mehr oder weniger in der Lage ist, dem Gegenüber die Kompetenzen abzusprechen. Aber wenn selbst jemand, der nach eigenen Angaben 16 Jahre Erfahrung mit digitaler Arbeit hat und zudem lange in politischen Parteien unterwegs war, wie gezeigt, schon nach wenigen Worten das Thema verlässt, zeigt das den aktuellen Zustand des Diskurses.
P.S. Da ich es wichtig finde, auch andere an diesem Blog partizipieren zu lassen, möchte ich einem Ehrentroll den Platz bieten, den er sich verdient hat. Bitte sehr!
.@legereaude Man könnte den Eindruck gewinnen, Du nutzt Dein Blog, nur um in einer Troll-Diskussion das letzte Wort zu behalten. #DFTT
— Christian Beck (@chrisbeck0071) 15. Februar 2016
Das du dir sowas überhaupt noch gibst...
Immer mal wieder. Weißt du, es ist eine große Frage der Zeit, ob man miteinander redet und es versucht, oder eben nicht. Ich werde es nicht leid, es zu probieren...
ein gymilehrer und ich blockieren uns gegenseitig, weil der eine den andern laufend definierte, statt über die sache zu reden.
Selbstreflexion ist nicht jedermanns Sache.
Manchmal wünscht man sich ein Schiedsrichter, der pfeift, wegen "derailing" oder solchen Sachen.
Amen.
Danke jedenfalls für die Dokumentation. Gebookmarked als Anschauungsmaterial für Schüler/innen.
Gerne doch. Irgendetwas Gutes steckt in allem...
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