Eine neue Facebook Seite zwischen Anklage und Toleranz
Anmerkung: Nach den jüngsten Posts des Anbieters habe in den Titel verändert. Das, was da abläuft, ist eine pauschale Verurteilung aller Fußballfans. Die angeprangerten Bilder sind nur die willkommenen Aufhänger.
Es ist schon verblüffend, wie schnell man bei Facebook mit einer schnellen Idee ein bisschen Ruhm kommen kann. Die Betreiber der Seite "Schland-Watch" haben zwischen dem heutigen Tage des Spiels um Platz 3 und dem Spiel Deutschland gegen Brasilien fast 20.000 Likes gesammelt. Dahinter steckt, wie schon der Name erkennen lässt, eine gute Absicht. Die Anbieter erklären sie so:
"Diese Seite setzt sich kritisch mit den Erscheinungsformen der deutschen Fan-Kultur auseinander. Nationalistische, menschenfeindliche oder auf andere Art diskriminierende Fotos posten wir ausschließlich in kritischer Absicht."
Quelle: Schland-Watch
Schaut man auf die im Internet gesammelten Bilder, wird schnell klar, dass eine solche Seite nicht nur eine Daseinsberechtigung hat, sondern auch für eine wichtige kritische Auseinandersetzung sorgen könnte, wann das Feiern einer deutschen Nationalmannschaft in die rechte oder nationalistische Schiene abdriftet. Sie könnte.
Denn letztlich bedeutet eine Auseinandersetzung, zumindest wenn sie "kritisch" sein soll ja eine Abwägung der Argumente, die die Beitragenden vorbringen. Genau hier wird es aber auf dieser Seite schwierig. Vor allem an einem Foto schaukeln sich die Gemüter auf:
Zu sehen ist das Holocaust-Mahnmahl, dessen Teilstücke den Fluchtpunkt zu einer Deutschlandfahne bilden. Neben den üblichen Kommentaren, die das Ganze für "geschmacklos" halten oder sich über das "Geheule" aufregen - so die beiden Pole - gibt es auch die Versuche einer differenzierten Betrachtung. So ist es vor allem ein Nutzer, der den vermeintlichen Aufschrei mit seiner klugen Antwort desavouiert:
"Tatsächlich ist diese Flagge an einem Gebäude dahinter und deswegen ist es, wie ich finde, eine ganz gute, provokativ-polarisierende Fotografie, die auf gelungene Art eine berechtigte Frage an den Rezipienten stellt. Die meisten Kommentare, die ich hier so sehe, beantworten dies in kleinster Weise und sind in Punkto Kurzsichtigkeit und Einfallslosigkeit kaum zu übertreffen. Eure vermeintliche Zivilcourage von der Tastatur aus ist ermüdend."
Diese "Frage an den Rezipienten" ist wichtig. Denn diejenigen, die hinter der Fotografie eine Beleidigung sehen (Wer beleidigt wie wen?) scheinen von einer Grundannahme auszugehen, die zumindest nur von der Fotografie ausgehend nicht zutrifft: Die deutsche Fahne ist nationalistisch, der Holocaust beweist die Schuld, also ist das Bild eine Kopplung von beiden. Fragen werden ausgespart: Wer hat das Foto gemacht? Welchen Zusammenhang gibt es?
Letztlich wird auch außer Acht gelassen, für welche Art von Land die deutsche Fahne steht. Diskussionen um die deutsche Demokratie sind bei Dekonstruktivisten, die den Nationalstaat per se als repressive Macht über die Menschen sehen, unmöglich. Was die Seitenbetreiber dann aber antworten, macht stutzig:
"(Der) Rückfall auf völkischer Kollektive und nationale Identifikation (ist) der denkbar dümmste und geschichtsvergessenste Schluss, den man aus Zeit des Dritten Reichs und darauf folgenden Zeit bis heute, ziehen kann.
So interessant diese Frage aus einem fotografisch-künstlerischen Blickwinkel zu sein scheint, so einfältig ist sie aus dem historisch-politischen Blickwinkel. Es gilt auch hier das Zitat von P. Simon: "Das Kreativitätsgebot gebiert Ungeheuer."
In der Tat: Sieht man sich die Bildcollagen an, kann man diesem Zitat zustimmen. Dies allerdings an dem obigen Bild festzumachen, halte ich für genau so einfältig. Denn, da wiederhole ich mich, die Gefahr, die man hier zu erkennen meint, geht von einer Grundannahme aus, die nicht falsifiziert werden kann.
So weisen die nachfolgenden Kommentatoren zu Recht darauf hin, dass die Bilddarstellung und dessen Auslegung zwei grundverschiedene Dinge sind. In der heutigen Situation, die sich jeden Tag im journalistischen Balanceakt zwischen explodierender Gewalt im Nahen Osten und einem globalen Fußballereignis zeigt, ist es klar, dass die Fronten schnell verhärten. Wenn das Anliegen jedoch sein sollte, diejenigen zu kritisieren, die mit unüberlegten Bildern oder Kommentaren einen rechten politischen Ausfallschritt tun, dann sollte dies nicht über Annahmen, sondern über Argumente funktionieren.
Um es klar zu sagen: Ich erkenne sehr wohl das Gefahrenpotential, das sich in unreflektierten Meinungsäußerungen der Marke "Das wird man doch wohl sagen dürfen..." oder gezeigten Bildern äußert. Diese aber als gegeben anzunehmen, drängt diejenigen an den Rand, deren Intentionen eigentlich woanders lagen. Und das verhärtet die Fronten, wo keine sein müssten.
Anhang: Wer wissen möchte, wie differenziert die Seitenbetreiber Kritik hervorbringen, schaue hier hin: