Man soll nicht aus Mitleiden bewundern, noch aus Menschenliebe Beifall zollen.

August Wilhelm von Schlegel (1767 – 1845), deutscher Philosoph und Schriftsteller.

Gestresst zu sein ist en vogue. Es gehört zum guten Ton in der Arbeitswelt. Hinter jedem gestressten Arbeiter, ob geistig oder von Hand, steht die implizite Aufgabe des aufopferungsvollen Malochers. Mehr noch: Heutzutage nicht mehr gestresst zu sein, kann eigentlich nur bedeuten, dass man seinen Job nicht ernst nimmt, dass man sich gegen das System stellt, ja, ein Sozialschmarotzer erster Provenienz ist. Aber kann man immer gestresst sein, unter allen Umständen? Man kann.

Und falls mal keine Aussage vorhanden ist, helfen diese kleinen Tipps:

1. „Ich bin gestresst, weil die Schule/ die Arbeit/ etc. gerade angefangen hat.“

Man hat sich noch nicht an den „Alltag“ gewöhnt. Die Umstellung auf Beanspruchung stresst.

2. „Ich bin gestresst, weil die Schule/ die Arbeit/ etc. so lange weiter geht.“

Man hat sich zu sehr an den Alltag gewöhnt. Dass man keine Umstellung mehr hat, ist Grund für den Stress.

3. „Ich bin gestresst, weil es gerade ein Projekt an der Schule/ auf der Arbeit gibt.“

Ganz klar: Eine Mehrbelastung ist immer schlimm. Das Mitleid ist garantiert. Diese Art von Stress kennt jeder zu gut, also halten Sie es allen vor. Immer.

4. „Ich bin gestresst, weil gerade nichts passiert in der Schule/ auf der Arbeit.“

Noch klarer: Der Mensch braucht Abwechslung, z.B. durch ein Projekt. Aber wenn gerade kein Projekt in Reichweite ist, dann langweilt man sich. Und Langeweile ist das Schlimmste für den Mann/ die Frau von Welt. Sie reagiert gestresst.

5. „Ich bin gestresst, weil ich irgendwas verändert hat in der Schule/ auf der Arbeit.“

Diese Form von Stress ist allgegenwärtig. Ein neuer Kollege/ Schüler ist dabei, an den es sich zu gewöhnen gilt. Oder aber, man macht keinen Sport mehr. Oder man macht Sport. Oder – es Gnade euch Gott – jemand hat mit dem Rauchen aufgehört.

6. „Ich bin gestresst, weil sich nichts verändert.“

Was soll man dazu sagen? Alltagsstress durch den Druck, etwas verändern zu müssen. Ähnlich wie Nr. 4 aber in mehr Bereichen anwendbar.

7. „Ich bin gestresst, weil ich merke, dass ich nicht genug gestresst bin.“

Eine fiese und sehr subtile Form des Stresses, der vor allem auf Leute zutrifft, die durch allzu gesunde Ernährung und Sport und im allerschlimmsten Fall Spaß am Beruf eine Gelassenheit haben, die sie ohne Stress auskommen lassen könnte:

Machen Sie sich nichts vor, auch Sie haben das Recht auf Stress, auf Mitleid und auf das Gesprächsthema Nummer 1.

Falls Sie sich nicht wiedererkennen können, habe ich schlechte Nachrichten für Sie. Es kann nur heißen, dass Sie nicht in das System passen. Schlimmstenfalls werden Sie als Außenseiten bei den anonymen Stoikern landen, oder aber auf der ruhigen Landstraße. Lassen Sie es und machen auch Sie mit.

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