In der Diskussion um Bildung in der digitalen Welt steht das Argument der Anwendbarkeit von Bildung im Fokus. Das ist falsch. Unfertige essayistische Fragmente.

Die Stufen zum HKU-Raum waren nicht besonders schön. Steinern, hinauf zu einer Glastüre aus den 60er Jahren. HKU stand in der Waldorfschule Hagen für Handwerklich-Künstlerischen Unterricht. Ging man nun nach links, stand man inmitten eines Ateliers. Büsten, Kupferstiche und Steinskulpturen und ein mit Gips und Steinsplittern übersäter Boden. Hier arbeiteten wir. Auf der rechten Seite war die Schmiede. Bevor man die Ambosse und die große Feuerstelle sah, atmete man den Kohleduft ein, der einem während der harten Arbeit in der Nase hing. Hier wurde geschmiedet, gelötet, Kupfer getrieben und gefräst.

Wenn ich an meine Schule denke, denke ich an die Räume. Und an das, was wir dort herstellten. Ich könnte mich, mit ein wenig Überlegung, wahrscheinlich an jedes Stück erinnern – ob es nun Aquarellbilder oder die Büste war, die noch bei meiner Mutter in der Wohnung steht. Ich erinnere mich an die quälende Arbeit, die es brauchte, aus einem Holzklotz einen filigranen und ästhetisch anspruchsvollen Brieföffner herzustellen.

All das brauche ich in meinem jetzigen Beruf nicht mehr.

Dass es aber in der Erinnerung eine Rolle spielt, verdeutlicht mir, dass es für mich Bedeutung hatte. Die Gegenstände, die gemacht wurden, gaben Bedeutung. Deren Herstellung erzeugte ein Gefühl der Befriedigung. Die Rückmeldung des Lehrers (denn benotet wurden die Produkte nicht) war interessant, aber nicht im selben Maße bedeutend. Das Wohlbefinden hing nicht von der Beurteilung ab, sondern vom Wissen darüber, was man geleistet hatte.

Schon früh bemerkte ich, dass ich dieselbe, wenn nicht eine tiefere Bedeutung darin fand, Wörter zu formen. Sätze zu bilden. Die Worte, wie es in meinem schriftlichen Zeugnis der ersten Klasse heißt “auf die Goldwaage zu legen”. Das konnte, das kann die umstehenden nerven. Für mich war es eine Begegnung mit dem Neuen. Das Neue konnte ich nicht lassen, sondern musste es geradezu durch meine eigene Tätigkeit einverleiben.

All die Tätigkeiten, die ich in der Schule ausübte, zeigten mir Wege, die ich einschlagen konnte. Oder eben nicht. Für mich bedeutete und bedeutet Bildung auch, sich gegen etwas zu entscheiden, das man in der größtmöglichen Gänze kennengelernt hat. Die persönliche Erfüllung erlangt der Mensch aber von dem, für das er sich entscheidet. Wenn er gelernt hat, sich zu entscheiden.

Bezogen auf eine größere Erkenntnis, bedeutet dies für mich und mein Handeln – auch und gerade im Beruf als Lehrer, danach zu forschen, was für die Schüler bedeutend ist. Was bei ihnen ein Gefühl von eigener Wirkung, von persönlichem Gewinn, von Wohlbefinden erzeugt. Das ist einer der Gründe, warum Arbeitsgemeinschaften so wunderbar sind. Nicht nur der wegfallende Notendruck, sondern die Entfaltungsmöglichkeit auf der Grundlage der eigenen Interessen ist schwer aufzuwiegen.

Sprechen wir aber von Bedeutung, Wohlbefinden und Interessen, bedeutet das für viele, das Schulsystem aus den Angeln zu heben. Es in ein System der individuellen Wünsche zu verwandeln. Das lehne ich ab. Nicht weil ich die Wünsche Einzelner nicht respektiere. Sondern weil Wünsche sich ändern. Und sie können sich ändern auf der Grundlage von Einsichten, deren Ursprung man zuvor abgelehnt hätte. Das Unwissen über einen Themenkomplex befähigt einen nicht, den Themenkomplex anzulehnen. Das ist erst möglich, wenn man befähigt ist, ihn ablehnen zu können. 

Daraus ergeben sich für mich Konsequenzen, über die ich schon seit längerem nachdenke:

  1. Bildung ist auch die Ermöglichung das kennenzulernen, gegen das man sich entscheidet
  2. Bildung kann nicht nur auf Grundlage eines zukünftigen Nutzens beurteilt werden
  3. Interesse, Bedeutung und Wohlbefinden des Einzelnen sollten berücksichtigt werden

Von diesem Punkt ausgehend, können zahlreiche Schlüsse gezogen werden. Dies soll an anderer Stelle geschehen.

Ein einzelner Punkt, der für mich wichtig erscheint, ist die Verbindung dieser (angenommenen) Erkenntnisse auf die Bildung unter den Umständen der Digitalisierung. Die Befähigung zum Austausch, kritischen Denken etc. kann nämlich durchaus zu den drei Punkten führen. Aber es ist nicht zwangsläufig – auch in Bezug auf die tagtägliche Mediennutzung.

Wenn also beispielsweise ein Kind das Gefühl hat, seine Handynutzung sei zu häufig, sollte man weniger danach fragen, ob es nun süchtig ist oder nicht. Sondern danach, ob es das Interesse, die Bedeutung und das Wohlbefinden befriedigt oder unterstützt. Wenn dem nicht so ist, muss man dies in Betracht ziehen.

Fortsetzungen folgen.

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