Egal mit wem man spricht: Das Referendariat ist für alle, die es durchlebt haben, eine prägende Zeit. Wie diese Zeit verlief, ist sehr unterschiedlich genauso wie die Wahrnehmung darüber. Während es einige gibt, die relativ locker durch das Referendariat gehen, gibt es sehr viele, für die das Referendariat und unglaublich anstrengend ist. Aber warum ist das so?

Wegweiser

Dieser Beitrag ist Teil des Buches „Wegweiser Referendariat“, in dem alle wichtigen Blogartikel zum Referendariat vollständig überarbeitet, erweitert und angepasst in einem handlichen Buch auf 200 Seiten gesammelt sind.

Der Lehrer und Schulleiter Jan-Martin Klinge urteilt über das Buch: „Es ist ganz einfach: Wenn Sie dieses Buch lesen, werden Sie ein besserer Lehrer“.

Eigene Ansichten

Für mich selbst gibt es ein paar definitive Ursachen dafür, warum das Referendariat als so stressig wahrgenommen wird.

  • Permanente Überforderung: man ist dauerhaft und dauernd mit Ansprüchen und Erwartungen konfrontiert, die man noch nicht kennt und hat den Ehrgeiz, alles zu schaffen.
  • Gefühl des Ungenügens: Fühlten sich viele nach dem Examen noch als Experte auf dem Fachgebiet, schwindet im Referendariat dieses Gefühl schnell erst der Ernüchterung und dann dem Gefühl des Ungenügens. Denn die meisten Themen des Studiums hatten mit der Schule nicht das Entfernteste zu tun (dass das nicht so schlimm ist, darauf kommt man erst später).
  • Paradoxie der Situation: Während man in Prüfungssituationen nur auf sich und den Prüfer achten muss, muss man in Lehrproben und Besuchsstunden nicht auf tausende Dinge achten, sondern auch so tun, als würde es einem nichts ausmachen. Denn es geht ja darum, dass die Prüfer sehen, wie man eigentlich ist. Das führt zu Stress, denn man versucht, in einer Prüfung so zu sein, wie man wäre, wenn keine Prüfung wäre.
  • Kontrolle von allen Seiten: Man wird (scheinbar) ständig kontrolliert. Ob von der Schulleitung, den anderen Lehrern, dem Mentor, den Schülern, den Eltern – überall erwartet man eine Aussage über das eigene Handeln. Das kann massiv unter Druck setzen.
  • Druck der anderen: Die anderen, die man jede Woche sieht, haben entweder Schreckensgeschichten oder machen (scheinbar) alles besser als man selbst. Das kann massiv unter Druck setzen.
  • Druck der Stelle: Für mich persönlich war klar, dass ich unter einer 1,5 gar nicht erst nach Stellen gucken müsste. Ich musste mir aktiv abtrainieren, daran zu denken, wie wichtig gute Noten waren. Das kann wahnsinnig machen.

Dies sind zunächst einmal die für mich wichtigsten Punkte, die für massiven Stress sorgen können. Nun zu den anderen Antworten.

Antworten auf die Frage, warum das Referendariat als so stressig empfunden wird

Die folgenden Antworten sind aus dem Online-Dokument übernommen und von verschiedenen Menschen anonym geschrieben worden. Sie haben weder Anspruch auf Vollständigkeit noch entsprechen Sie der Auffassung des Autors.

“Onboarding” an Schulen ist nicht immer das beste. Schulen haben kaum Personalkompetenz und gehen davon aus, dass das Seminar schon alles wichtige im Bereich Schulorganisation vermittelt, während das Seminar davon ausgeht, dass die Schule sich schon um vieles kümmert.

Es gibt so ein “Wissen” an der Uni und in den Seminaren, dass das Referendariat schlecht ist. Selbsterfüllende Prophezeihung?

Gerüchteküche unter den Referendaren hilft auch nicht unbedingt bei einer neutralen Betrachtung.

Belastend: Kompletter Kulturwechsel von 100% Uni zu 100% Schule. Nach 5 Jahren ist plötzlich alles anders, andere Systeme, andere Hierarchien, andere Abhängigkeiten.

Technisch gut ausgestattete Uni mit Wifi, Bibliothek (incl. Lehrmaterialien), Beamer in jedem Raum trifft dann auf Schule, in der sich 4 LehrerInnen um den einzig funktionierenden Overheadprojektor auf der Etage streiten.

Begegnung mit Eltern aus den “bildungsfernen Schichten” ist eine absolut ungeübte Herausforderung.

Unterstützungsleistung des Seminars, war es einem noch mehr Mehrarbeit zu verordnen. “Machen sie mal bis nächste Woche ein Soziogramm ihrer Klassen.”

“Sie bekommen diese Klassen, weil die LehrerInnen dort mal ein Pause brauchen von den Kindern.” Pädagogische Herausforderung mit dem Streß, dass man den Lehrplan einhalten muss. Schließlich ist das Teil der Prüfungsleistung.

Finanziell schlechter gestellt als in der Zeit als Hiwi an  der Uni, aber mit 250% mehr Workload ausgestattet.

Keine Zeit um das erlebte zu reflektieren. Stattdessen kam nach der Stunde schon die nächste Vorbereitung bzw. “Langer Unterrichtsentwurf”.

Permanente Beobachtung und Bewertung, sehr hohe Arbeitsbelastung, für viele mehrfacher Umzug, und dazu der ganz normale Stress, den jeder hat, der Unterrichten lernen soll. Unterrichten ist sehr stressig, hunderte nicht standardisierte Sozialkontakte pro Stunde, viele, viele Entscheidungen am laufenden Band, kaum Auszeiten im Schulalltag, zuhause dann weiter am Schreibtisch und am Anfang (die ersten Jahre) kaum Routinen. Zudem viel Kritik, mit der nicht jeder junge Mensch souverän umzugehen versteht.

Referendare nehmen das subjektiv so wahr,

  • weil die Referendare völlig in einer “Schulblase” sind und Angst haben hier rauszufliegen, wenn sie durch eine Prüfung fallen -> Lebensentwurf bricht zusammen.
  • weil Referendare zu wenig Reflexionsfähigkeit in Bezug auf das Leben außerhalb von Schule mitbringen (nicht was ihre Unterrichtsstunden angeht, sondern allgemeiner) – Wenn Referendare meinen, sie hätten Stress oder ständen unter Druck, dann sollten sie sich ab und zu einfach mal an die Stelle eines (Not-)Arztes versetzen – bei dem führt eine falsche Stunde evtl. zum Tod eines Patienten. Beim Referendar kommt eine miese Stunde dabei raus, an die sich in drei Wochen sowieso keiner mehr erinnert. Ähnliche Vergleiche könnte man mit Managern, Selbstständigen, Feuerwehrleuten und Polizisten aufbauen.
  • weil es für ausgebildete Lehrkräfte wenig klare, definierte Ausstiegsmöglichkeiten aus der Schultätigkeit gibt – für viele muss der Lehrerberuf dann einfach passen, sonst bricht viel Lebensplanung weg.
  • weil wir es nicht schaffen, den Referendaren Gelassenheit und Objektivität zu vermitteln – aktuell kostet niemanden eine schlechte Note die Planstelle, zumindest wenn man etwas flexibel ist.
  • weil Referendare nicht genug Selbstbewusstsein besitzen – eine schlechte Stunde, schlechte Note, schlechte Bewertung kritisiert (normalerweise) nicht mich als Menschen, sondern nur eine punktuelle Leistung.
  • Ich: Gnolli: Lehrer seit 10 Jahren: Kann die obigen Punkte bestätigen. Es ist nicht so stressig. Das Referendariat wird überbewertet. Der Druck ist selbst gemacht. Ich war vor dem Ref selbständig und Hiwi und Student. Ich fand das Ref erholsam. Wem es anders geht, sollte die Berufswahl überdenken, nach dem Ref wird es nämlich eher wieder härter. Und drumherum (Wirtschaft) ist es definitiv härter.

Zum Schluss noch die Trostworte, die ich in die Referendariatsgruppe schrieb, um ein paar Köpfe nach oben zu ziehen.

 

Trostworte

„Ist es ehrlich so schlimm?“, fragte letztens jemand in einem Sozialen Netzwerk bezüglich des Referendariats. Manche zögerten mit dem Ja keine Sekunde. Keine Transparenz und schlechte Ausbilder. Druck und Kontrollverlust, hohe Erwartungen und Ansprüche. Der Druck, gute Noten und eine Stelle zu finden. Kritik, überall wo man hinschaut.

Andere sagen: Was? Alles gut, halb so wild. Oder schlimmer: Tun so, als wären diejenigen, die im Referendariat kämpfen, charakterschwach.

Die Menschen und ihre Situationen unterscheiden sich. Die hat ein Kind, um das sie sich vierundzwanzig Stunden am Tag kümmern muss. Eine andere einen Kranken. Der dritte hat zusätzliche Arbeit, die nicht abgegeben werden kann. Eine andere setzt sich sowieso sehr unter Druck. Einem anderen fällt Ordnung nicht leicht. Es gibt tausend Gründe, warum das Referendariat einem zusetzen kann.

Denkt daran: Es ist ok. Ihr seid ok. Menschen unterscheiden sich. Manchen fällt der Unterricht leichter, manchen nicht. Manche stehen wie eine 1 vor der Klasse, manche brauchen Zeit. Das ist ok. Und ihr seid ok.

Lasst euch nicht von denen unter Druck setzen, die an der richtigen Stelle Talent haben. Wenn eines daran hindert, vorwärtszukommen, ist es die Spirale aus Zweifel. Erlaubt es euch, verzweifelt zu sein. Aber erinnert euch daran, dass ihr es bis dahin geschafft habt. Und erinnert euch daran, wo ihr hinwollt. Und hört auf, auf Leute zu hören, die sagen, dass der Druck, den ihr habt, eingebildet ist. Hört auf die, die euch guttun.

Mag sein, dass das Referendariat für einige der reinste Spaziergang ist. Für andere ist es die Hölle. Und das ist ok. Ihr seid ok. Vergesst das nicht.

14 Kommentare

  1. Ich muss sagen, dass mir das Durchlesen, und insbesondere die letzten Worte, doch sehr gut taten (Balsam für die Seele). Ich hatte heute meinen letzten UB für dieses Halbjahr (hoffe ich zumindest), und obwohl ich weder nervös war, oder sonst etwas schief lief, will mir meine Ausbilderin eventuell keine bessere Note als nur 4 Punkte geben. Die SuS sind eigentlich angetan von mir und ich fühle mich in der Lehrrerolle wohl (habe auch keinen Stress im Refrendariat). Allerdings war die Kritik heute, trotz erreichtem Lernziel, recht niederschmetternd, sodass man dann doch Existenzsangst bekommt.
    Danke für den Beitrag, ich hoffe, dass sich meine Ausbilderin im Angesicht der bevorstehenden Weihnachtsfeiertage noch zu 5 Punkten hinreißen lassen kann.

    • Ich drücke dir alle Daumen! So wie du von den Schülern schreibst, hättest du es verdient… Ich freue mich, wenn du wieder schreibst, wie es geworden ist. Liebe Grüße und danke für die lieben Worte.

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