Es bewegt sich was. In den Katakomben brodelt es, brummt es, rührt auf und erhebt sich. In den sozialen Netzwerken ist der Enthusiasmus entfacht. Von Neuem. Oder: Wieder einmal. Wenn man die neuen, exzellenten Blogs der Lehrerinnen und Lehrer anschaut, dann entfaltet sich eine Kraft, die wieder eintreibt, mitreißt, fortschwemmt. Dabei sollten wir den Sinn der digitalen Bildung nicht vergessen: Mündige Bürgerinnen und Bürger. 

Nach den ersten Jahren, in denen ich voller Freude und mit Inbrunst die Offenheit und Vielfalt der Lehrerinnen und Lehrer auf Twitter wahrgenommen hatte – Leitfäden schrieb und hoffte, dass alle auf Twitter gehen – war irgendwann die Luft raus. Und die Lust. 

Der pädagogische Austausch schien in Grabenkämpfen zu enden, der #edchatde implodierte erst, um dann zu explodieren. Die einzelnen Pädagogen erschienen zunehmend getrieben von karrieristischen Gründen.

Nun, nach einem Jahr Pause vom digitalen Diskurs, eben wieder dieses Brummen, dieses Pulsieren. Auf der exzellenten Konferenz #WES4_0 wurden viele Gespräche geführt, die, anders als ich es vor einigen Jahren wahrnahm, nicht mehr nur noch um Apps liefen, sondern die Funktion und das Einzigartige, die Möglichkeiten der zeitgemäßen Bildung in einem größeren Kontext zu definieren versuchten.

Man konnte das Gefühl haben, dass der mal leichte, mal starke Druck der Legitimierung des (digitalen) Handelns so manche Diamanten herausgepresst hat. Der digitale Diskurs übt, verlangt ab, bringt Resonanz und Rechtfertigungsdruck. Die Gespräche setzten tief ein und führten zu neuen Erkenntnissen.

So enthusiasmiert skizzierte ich seit einer Ewigkeit Sketchnotes. Aber etwas fehlte mir. Etwas fehlt.

Schon vor zwei Jahren prangerte ich in dem Text “#edchatde – wo bleiben die Inhalte?” an, dass nur über Tools und Lehrer und wenig über Inhalte gesprochen werde. Dort heißt es:

Es gibt so viele Vergleiche, was ein Handy alles ist. Ich möchte einen weiteren dazu fügen: Wurmloch. Handys, Tablets, Computer: Alles Wurmlöcher in ein anderes Land, in eine andere Zeit, in eine andere Welt (…).

Die Verlockungen auf der dunklen Seite sind groß. Viele Likes für den verbalen Stammtisch. Viele Likes für die Aber-Faschisten. Viele Likes und Anerkennung im Kampf gegen „die Politik“.

Und wir sitzen in unseren Höhlen und schieben uns lustige kleine Tipps zu, welche App im Unterricht für gute Stimmung sorgt, während die Vorreiter netzpolitischer Aktionen entweder wegen „Landesverrats“ angeklagt werden, oder aufhören müssen zu bloggen, weil Leib und Leben bedroht sind.

Die Reaktion war, wie sie im #edchatde immer dann war, wenn etwas in einer Art Kritik mündete: Null. Nichts.

Jetzt, wo ich wieder dabei bin, wieder das erhebende Gefühl spüre, wie es sein kann, wenn viele Menschen an eine Veränderung glauben, muss ich wieder daran denken, wofür wir es machen. Sowohl in Philippe Wampflers exzellentem ersten Buch als auch beim täglichen Kampf, den Dejan Mihajlović um das Projekt Aula und die Partizipation von Schülerinnen und Schülern führt, sieht man gut, dass das Lernnetzwerk der Lehrer, die neuen Ansätze von Bildung in und über die digitale Sphäre, das Lernen mit Apps und technischem Gerät – dass all das nichts ist, wenn es nicht auf ein Ziel hinausläuft, das lauten muss, die demokratische Gesellschaft und die Verantwortung des einzelnen als verantwortungsbewusster Staatsbürger zu stärken. Als Individuum, das sein persönliches Glück findet, sich entfaltet und dennoch auf andere achtet, solidarisch ist und Gefahren erkennt und ernst nimmt.

Ich finde nicht mehr, dass wir nicht über Inhalte reden. Aber ich finde, wir könnten es stärker tun. Dejans Beispiel ist dabei die Spitze des Eisbergs. Wir sollten uns mehr mit politischer Medienbildung befassen. Mit den manipulativen Seiten von Social Media. Mit Fake News und Hoaxes. Mit Themen und Inhalten, die in die Schule müssen und gerade ausgeschlossen werden.

Die Gewinnerin des Essaywettbewerbs des Stifterverbands, der vor zwei Jahren ausgeschrieben wurde, schrieb in ihrem exzellenten Essay etwas, das sich jeder, der mit digitaler Bildung zu tun hat, auf die Fahne schreiben müsste.

Der passive Imperativ:

Sei souverän. Spätestens jetzt musst du.

Erkenne, was alles möglich ist, und dann gehe nicht unter. Ermächtige dich deines Lernens, deiner Verbreiterung. Du musst auswählen, was für dich wichtig ist. Du musst den Rest links liegen lassen können. Du musst geduldig sein. Du musst dranbleiben. Entscheide dich. Du musst nicht alles selbst können. Finde deine Rolle, dann finde Mitstreiter.

Der aktive Imperativ:

Gib etwas zurück. Du kannst – und das ist neu.

Bastler-Foren. Wikipedia. Styling-Tipps auf YouTube. Open Educational Resources. Couchsurfing. Erkenne, dass die Krone des Lernens darin besteht, etwas zurückzugeben. Umarme das neue Kollektiv wie eine Familie, mit geschätzten Geschwistern, schwarzen Schafen und unliebsamen Onkeln. Trage zur Großzügigkeit bei.

Diese zwei Imperative nehme ich mir vor, wenn ich die neuen Wege meiner Bildung beschreite, die vom Digitalen offengelegt wurden.

Wir sind dabei, ja. Aber wir müssen auch die anderen mitnehmen – unsere Kolleginnen und Kollegen, aber vor allem die Schülerinnen und Schüler. Die Zeiten sind unruhig, die Zeiten sind komplex. Es braucht Menschen, die für Orientierung sorgen, indem Sie die Potenziale sehen, aber auch die Gefahren und Fallstricke nicht ignorieren.

Machen wir weiter!

8 Kommentare

  1. Lieber Bob,

    gerne möchte ich schreiben: Juhu, er ist zurück! Da ist er ja, der Idealismus, von dem wir so viel brauchen, wenn es gelingen soll.

    Vor allem aber schreibe ich: Danke. Dafür, dass Du diesen Text an einem Tag veröffentlicht hast, an dem ich ihn sehr gut gebrauchen kann. Und für den Input, den ich als Impuls betrachten werde, sobald der Berg, der hier liegt abgearbeitet ist.

    Und natürlich auch für die sehr nette Verlinkung! 🙂

    Herzliche Grüße & einen schönen Abend!

    Kristina

  2. Hallo Bob,
    lese deine Beiträge gerne und danke dir für den schönen Artikel. Habe mittlerweile manchmal den Eindruck, diese Phasen des Enthusiasmus und der Resignation wiederholen sich für jeden, der in dieses Thema einsteigt. Sehe gerade wieder einige total motivierte Neu-Digitalisten auf Twitter, die wahrscheinlich auch irgendwann an den Nullpunkt kommen, aber auch den überwindet man dann. Bin auch bei dir, was die kritischen Themen angeht, auch im pädagogischen Sinn: Suchtverhalten oder Mobbing mit Medien, Sexting usw. Als erstes Gegengift finde ich die Tipps des Essays gar nicht schlecht. Wichtigster vielleicht: Man muss geduldig sein.

    • Ich stimme dir zu. Und ich habe mir abgewöhnt – zumindest hoffe ich das – zu fordernd zu sein. Nach dem Motto: Kleine Schritte sind auch Schritte. Nur dürfen wir (die Digitale-Community, wenn es sie denn gibt) die Themen eben nicht aus den Augen verlieren. Die, die du ansprichst, sind genauso wichtig, werden aber eben, wie ich denke, deshalb ignoriert, weil sie Kanonenfutter für die Kritiker sind.

Schreibe einen Kommentar zu Holey Antwort abbrechen

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein