[…] ersten Teil der Serie ging es um die Macht von Menüs und Menüführung und wie sie uns dazu bringt aus Möglichkeiten auszuwählen, die wir zunächst eigentlich gar nicht […]
Dieser bzw. diese Artikel sind zweifach eine Neuerung. Zum einen ist der Großsteil des Artikels eine Übersetzung eines, wie ich finde, herausragenden (!) Artikels eines amerikanischen Tech-Arbeiters und Denkers, der dringend sowohl in den Diskurs über digitale Bildung als auch an eine breitere deutsche Öffentlichkeit kommen sollte (insofern dieser Blog das leisten kann).
Zum anderen schreibe ich seit nunmehr zwei Wochen an der Übersetzung, feile an einigen Stellen und redigiere. Leider dauert es doch erheblich länger, als ich angenommen hatte. Aus diesem Grund werde ich nun aus dem Artikel eine Serie machen. Dies kann, wie ich denke, zwei Folgen haben:
Entweder seid ihr/ sind Sie so angefixt, wie ich es war und freuen sich auf die nächste Woche, wenn ein weiterer Teil publiziert wird. Oder Sie sind/ ihr seid so angefixt, dass Sie den Originalartikel lesen, insofern Ihr Englisch dies zulässt. Beides fände ich fantastisch. Ich hoffe, dass der Artikel einen Denkanstoß beim Leser bewirken wird, wie er es bei mir getan hat.
In einem gerade erschienenen Artikel, in dem ein Forscher über den Boykott von Social Media aufruft, wird der Kern des hier besprochenen thematisiert:
Anlass für den Appell sind die selbstkritischen Bemerkungen des ehemaligen Facebook-Präsidenten und Erfinders der Musik-Tauschbörse Napster, Sean Parker. Der Milliardär hatte kürzlich auf einer Veranstaltung der US-Nachrichtenwebseite Axios in Philadelphia erklärt, am Anfang aller sozialen Netzwerke habe die Frage gestanden, wie man möglichst viel Zeit der Nutzer beanspruchen könne und dabei ihre bestmögliche Aufmerksamkeit bekomme. Die User sollten zum Opfer einer sozialen "Wertschätzungsschleife" werden und in einen Kreislauf der sozialen Bestätigung geraten, aus dem es kaum ein Entrinnen gebe.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Mir als Blogger und Übersetzer des Artikels geht es nicht um Boykott, sondern um Erkenntnis in Bezug auf die Nutzung. In Zeiten des ständigen Nutzens von Technologien sollte uns allen klar sein, dass und wie Technologie angelegt ist.
Ich habe in der letzten Nachlese schon darüber geschrieben, welch großer Fan ich vom Podcast von Sam Harris bin. Dieser hatte in Folge #78 Tristan Harris zu Gast (Namensgleichheit zufällig), der im Podcast-Teaser mit den Worten zitiert wird, „am nächsten an dem zu sein, was man das Gewissen Silicon Valleys“ nennen kann.
Tristan Harris, Picture taken from: http://www.tristanharris.com
Tristan Harris‘ Arbeit bei den größten Tech-Unternehmen als ethischen Berater für Kommunikationshandlungen basiert auf Technologie (eigene Übersetzung) wurde in zahlreichen Medien besprochen. Unter anderem in The Atlantic, ReCode, TED, the Economist, Wired, the New York Times, Der Spiegel, und das New York Review of Books.
Er redet über (Kommunikations-)Design von Technologie und wie sich unser Geist daran ausrichtet bzw. manipuliert wird, ohne es zu merken. Da ich denke, dass den dazugehörigen Artikel mehr Menschen lesen sollten, die vielleicht des Englischen nicht so mächtig sind, als dass sie den Artikel ohne große Anstrengung lesen, möchte ich im Folgenden etwas tun, das ich bisher auf dem Podcast neu ist: Eine Übersetzung anbieten. Dies tue ich vor allem aus dem Grund, dass ich denke, dass der Text zahlreiche wichtige Fragen aufwirft, die auch in der zeitgemäßen digitalen Bildung beachtet werden sollten. Falls ich das eine oder andere nur vage übersetze, bitte ich dies zu entschuldigen. Meine professionellen Übersetzungen sind mindestens 10 Jahre her. Dennoch versuche ich, so nah wie möglich am Text zu bleiben. Der kollegiale amerikanische Sound sollte so erhalten geblieben sein.
[pdf-embedder url="https://bobblume.de/wp-content/uploads/2017/11/Wie-Technologie-unseren-Geist-manipuliert-1-1.pdf" title="Wie Technologie unseren Geist manipuliert"]
Es ist einfacher Leute zu manipulieren als ihnen klarzumachen, dass sie manipuliert wurden.
-Unbekannt
Ich bin ein Experte was die Frage betrifft, wie Technologie unsere psychologische Verwundbarkeit ausnutzt und uns so manipuliert. Aus diesem Grund habe ich die letzten drei Jahre bei Google als Design-Ethiker gearbeitet und mich darum gekümmert, Dinge so zu designen, dass sie den Geist von 1 Milliarden Leute dagegen schützt, gekapert zu werden.
Wenn wir Technologie benutzen, fokussieren wir uns oftmals optimistisch auf all die Dinge, die sie für uns leistet. Ich kann allerdings zeigen, wo sie genau das Gegenteil tut.
Ich habe auf diese Weise zu denken gelernt, als ich ein Magier war. Magier achten zunächst darauf, wo es blinde Flecken, Schwächen und Unzulänglichkeit in der menschlichen Wahrnehmung gibt, sodass sie die Menschen beeinflussen könne, etwas zu tun, ohne dass sie es überhaupt wahrnehmen. Wenn man einmal weiß, auf welche Knöpfe man bei Menschen drücken muss, kann man auf ihnen spielen, wie auf einem Klavier.
Und das ist exakt was Produktdesigner unserem Geist antun. Sie spielen auf euren psychischen Schwächen, bewusst und unbewusst, um eure Aufmerksamkeit zu erlangen. Auch gegen euren Willen. Man könnte sagen, sie entführen bzw. kapern euren Geist – und damit euch. Ich will euch zeigen, wie sie das tun.
1.Entführung: Wer das Menü kontrolliert, kontrolliert die Entscheidungen
Die westliche Kultur ist auf den Idealen individueller Entscheidungen und Freiheit aufgebaut. Millionen von uns schützen unsere Rechte, freie Entscheidungen zu treffen, während wir ignorieren, wie diese Entscheidungen manipuliert werden. Zum Beispiel durch Menüs, die wir selbst gar nicht wollten.
Das ist genau das, was Magier tun. Sie geben den Leuten die Illusion, dass sie die freie Entscheidung hätten, während sie die Architektur des Menüs so aufbauen, dass sie gewinnen, egal für was du dich entscheidest. Ich kann gar nicht stark genug betonen, wie erkenntnisreich diese Einsicht ist.
Wenn man Leuten ein Menü mit verschiedenen Entscheidungen gibt, fragen Sie normalerweise nicht:
Überleg dir, zum Beispiel, dass du mit ein paar Freunden an einem Dienstagabend weg bist und ihr wollt das Gespräch aufrechterhalten. Du öffnest Yelp, um nach verschiedenen Empfehlungen zu schauen und eine Liste von Kneipen zu sehen. Die Gruppe wird zu einem Bündel an Gesichtern, das auf das Telefon schaut und Kneipen vergleicht. Sie analysiert die Fotos von allen, vergleicht Cocktails.
Ist dieses Menü immer noch relevant für den eigentlichen Wunsch der Gruppe?
Es geht nicht darum, dass verschiedene Kneipen nicht eine gute Entscheidung sein könnten, es geht darum, dass Yelp die eigentliche Frage der Gruppe, nämlich: „Wo können wir hin, um weiter zu reden?“ mit einer anderen Frage ersetzt hat, nämlich: „In welcher Kneipe sehen die Fotos von Cocktails am besten aus. Und das alles, indem das Menü designt wurde.
Des Weiteren verfällt die Gruppe der Illusion, dass das Menü von Yelp das komplette Angebot an Möglichkeiten repräsentiert, die man wahrnehmen kann. Während sie auf ihre Telefonische schauen, sehen sie den Park auf der anderen Seite der Straße nicht, wo gerade eine Band Live-Musik spielt. Sie verpassen den Stand mit Crêpes und Kaffee. Diese Angebote waren einfach nicht auf dem Menü von Yelp.
Je mehr Entscheidungen Technologie für nahezu jede Dimension unseres alltäglichen Lebens bereithält (Informationen, Events, Orte, an die man geht, Freunde, Dates, Jobs), desto mehr nehmen wir an, dass unser Telefon das nützlichste Menü bereithält, aus dem wir auswählen können. Und dass es uns zu allem am besten befähigt.
Das Menü, das einen am meisten befähigt, ist unterschiedlich von dem, das am meisten Entscheidungen bereithält. Aber wenn wir uns blind den Menüs, die uns gegeben werden, hingeben, ist es einfach, den Überblick zu verlieren.
Wenn wir am Morgen aufwachen und unser Telefon umdrehen, um die Listen von Notifikationen zu sehen, rahmt das unsere Erfahrung des „Aufwachens am Morgen“ durch ein Menü von „Alle das, was ich seit gestern verpasst habe“.
Dadurch, dass Technologie die Menüs konstruiert, von denen wir wählen, kann Technologie die Art und Weise, wie wir unsere Entscheidungen wahrnehmen kapern (oder manipulieren) und sie durch andere Entscheidungen ersetzen. Aber je mehr wir darauf achten, welche Optionen uns vorgesetzt werden, desto mehr werden wir wahrnehmen, wenn gar nicht zu unseren eigentlichen Bedürfnissen passen.
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