Um gleich die Frage vorwegzunehmen, ob sich nun alle Pädagogen auf allen Kanälen tummeln sollten: Ja, das sollten sie! Aber nicht alle gleich. Ein Kommentar.

Vor ein paar Jahren erhitzte sich eine Diskussion im Lehrerzimmer, die auch in der gesamten Öffentlichkeit immer noch anhält. War es rechtlich, moralisch und politisch angemessen von Angela Merkel, die Grenzen zu öffnen. Das Gespräch erreichte seinen Zenit, als es darum ging, welche Art von Wirkung Merkel mit dem mittlerweile ikonisch gewordenen Selfie auslöste. Die These eines sehr geschätzten, aber streitbaren Kollegen war es, dass die naive Unwissenheit von Merkel bezüglich der digitalen Ausbreitung von Bild und Text für einen unkontrollierten Zustrom gesorgt habe. In einer etwas polemischen Retour schmiss ich ein paar Namen von Youtubern in den Raum und fragte ihn, ob er diese kenne (mit der klaren Absicht ihm damit zu verstehen zu geben, dass nicht nur die Regierung, sondern auch wir, die Multiplikatoren dessen, was in einer Gesellschaft für wichtig gilt, keine Ahnung haben, was gerade passiert und wie). Obwohl diese Youtuber am Tag mehr Zuschauer haben als alle deutschen Zeitungen zusammen brach der Kollege das Gespräch etwas unwirsch ab, da er meinen Vergleich für völlig hanebüchen hielt.

Eine digitale Gesellschaft

Abgesehen davon, ob man das eigene, individuelle Verständnis von gesellschaftlichen oder kulturellen Mechanismen mit jenen von Regierungsakteuren vergleichen kann, bleibt es dabei, dass wir in einer Gesellschaft leben, deren zunehmende Grad an Digitalisierung die Öffnung der Perspektiven auf das, was Kultur, Kommunikation und Gesellschaft ist, massiv einfordert.

Die deutschsprachigen – und gerade die föderal organisierten deutschen – Schulen reagieren auf diesen Wandel sehr unterschiedlich. Während es Modellschulen gibt, in denen das offene Lernen mit und über digitale Medien an der Tagesordnung ist, tun sich die meisten Schulen sogar schwer damit, Handys als Kulturzugangsgeräte im Unterricht zu erlauben. Aber langsam tut sich etwas. Während die Medienbildung schon seit einiger Zeit fester Bestandteil des Bildungsplans ist und zusehends in die schulinternen Curricula eingebettet wird, entsteht stetig mehr digitale Infrastruktur, die überhaupt erst eine tatsächliche Anwendung zulässt (es sei angemerkt, dass sich auch hier die Schulen unterscheiden, und auch die institutionelle Ausstattung nicht hilft, wenn die digitale Infrastruktur der Stadt oder der Kommune keine angemessene Verbindung zulässt).

Analoge Akteure

Während aber sowohl institutionell, politisch und auch infrastrukturell Bewegung in den digitalen Wandel kommt, tun sich die Akteure schwer. Das ist auch kein Wunder, bedeutet doch gerade der Umgang mit digitalen Medien mehr als sich vor einem Whiteboard fotografieren zu lassen. Es bedeutet konzeptuelle Arbeit, theoretische Auseinandersetzung, kurz: Das Verlassen der eigenen Komfortzone mit der Aussicht auf unbezahlte Mehrarbeit.

Dies und die neuen Herausforderungen von Inklusion, Binnendifferenzierung und Integration vor Augen, ist es nicht verwunderlich, dass viele Lehrerinnen und Lehrer Gründe suchen und finden, warum sie nicht auch noch damit anfangen, die für viele immer noch Neuen Medien in den Unterricht zu bringen (Dies gilt oftmals leider auch für junge Lehrer und Referendare).

Alle ins Netz

Genau in der Leerstelle zwischen der Forderung nach totaler Digitalisierung und der kompletten Verweigerung liegt das Potential von Social Media. In einem Interview mit dem SPIEGEL, das jüngst erschienen ist, bringt Klaus Hurrelmann, Professor of Public Health and Education an der Hertie School of Governance, die Forderung auf den Punkt. Er konstatiert einen (noch nicht empirisch belegte) großen Bedarf – gerade für ältere Lehrer*innen – was den Umgang mit dem Netz und Social Media angeht. So fordert er, dass alle Lehrer

(…) routiniert mit dem Internet umgehen können (müssen). Dann müssen sie diese Plattformen nicht selbst nutzen, aber sie müssen sie genau kennen, wissen, wie sie funktioniert, nur so kann sich ein Lehrer in die Lebens- und Lernwelt der Schüler hineinvertiefen, die so etwas täglich benutzen. Dieses Wissen muss eine Lehrkraft in ihre pädagogischen Strategien einbeziehen können. Das ist eine absolute Voraussetzung.

Gerade Hurrelmanns Forderung nach Pflichtfortbildungen wird mit Sicherheit nicht auf breite Zustimmung stoßen. Wichtiger aber ist, welche Alternativen er anbietet: Zusammenarbeit zwischen den Lehrern und vor allem Zusammenarbeit mit den Schülern, die oftmals durch den täglichen Gebrauch um einiges weiter sind als ihre Eltern.

Natürlich ist es nicht damit getan, sich bei einem Social-Media-Dienst anzumelden. Dennoch gibt es zahlreiche Vorteile, die sich sogar dann ergeben, wenn zum Beispiel auf Twitter ausschließlich lurked, also anderen bei der Nutzung über die Schulter schaut, zum Beispiel:

  • bekommt man so eine Ahnung davon, wie schnell sich Informationen verbreiten
  • bekommt mit, wie Menschen miteinander kooperieren, sich Fragen stellen und beantworten
  • was gerade in der Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler eine Bedeutung hat
  • welche Innovationen gerade getestet und besprochen werden
  • wie kommuniziert wird
  • welche kompositorischen Aspekte bei der Präsentation von sich selbst und anderen eine Rolle spielen
  • wie sich Hochkultur und Populärkultur gegenseitig befruchtet, erhellt, spiegelt und hinterfragt
  • wie es sich „anfühlt“ Teil einer größeren Gemeinschaft zu sein, die Offenheit, Freiheit und Kreativität fordert

und viele, viele Punkte mehr. Dabei ist es zunächst nicht notwendig, dass man selbst aktiver Teil des Netzwerks wird, wenngleich natürlich gerade die aktive Teilnahme das ist, was das “postdigitale” Zeitalter so spannend macht.

Zugespitzt könnte man auch sagen: Wer sich keinen Zugang zur digitalen Gesellschaft verschafft, versteht nur einen Teil der Gesellschaft. Und wer nur einen Teil der Gesellschaft versteht, sollte nicht den Kindern erklären sollen, wie sie als Ganzes funktioniert.

Herausforderungen

Ein weiteres großes Aber blinzelt aus den präzise geschnittenen Stückchen, die wir Fächer nennen. Kommunikation, Bildbeschreibung, Kultur – schön und gut, aber sind dies nicht alles Teilbereiche der Philologie? Wie soll nun ein Mathe- oder Physiklehrer von Social-Media profitieren?

Die Antwort auf diese Frage würde wohl ein Buch füllen. Dennoch, kann man unvollständig und aus dem Bauch heraus hinschmeißen:

Wie alles in der „realen“ Welt einen Ort hat, eine Zeit und eine Zusammensetzung, hat auch die digitale Erweiterung der Lebensbereiche einen Ort und eine Zeit. Ob es nun die Recherche nach Anwendungsmöglichkeiten von Matheformeln ist, die Überprüfung von geographischen Erkenntnissen via Google-Earth, das Anschauen von für die Schule viel zu gefährlichen Experimenten in Chemie auf Youtube, das Komponieren von Musik, der tatsächliche Austausch mit einem Menschen auf der anderen Seite der Welt (nicht nur Austauschschüler; wieso nicht mit einem Mathe-, Physik-, oder Biologieprofessor in den USA chatten, videochatten, twittern oder ähnliches?).

Kurz: Wenn der Wille besteht, gibt es jetzt schon unbegrenzte Möglichkeiten, wie man in seinem Fach digitale Techniken, Plattformen und Netzwerke nutzen kann.

Das jemand, der keinerlei Berührungspunkte damit hat, Respekt oder sogar Angst vor einem Sprung ins kalte Äther hat, ist klar. Die schiere Menge der Möglichkeiten, deren Last ja auch die Schülerinnen und Schüler erdrückt, kann beängstigend sein.

Aber gerade deshalb ist es wichtig, zumindest ab und zu an einem digitalen Spaziergang teilzunehmen, mal hie mal dorthin zu spähen und sich einen ersten Eindruck zu verschaffen. Wir alle haben gar keine andere Möglichkeit, wenn wir für uns beanspruchen dafür zu kämpfen, dass die Welt eine Gemeinschaft ist, die sich solidarisch verhält und sich gegenseitig unterstützt.

Es ist Zeit, einzutauchen.


Ein guter Ort um das Netz kennenzulernen ist Twitter. Wie das geht? Einfach dem Link folgen.

Hier gibt es einen Podcast, der sich mit dem Thema befasst.

 

 

 

9 Kommentare

  1. […] Mit dieser Fortbildung werden Sie auch die Skeptiker in Ihrem Kollegium überzeugen können, dass ein durchdachter Einsatz von Apps und Webtools im Unterricht sinnvoll ist. Vielleicht motiviert die Fortbildung sogar einige Ihrer Kollegen, als Lehrer in die sozialen Medien hineinzuschnuppern! […]

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