Vor etwa einem Jahr versuchte ich mit dem Artikel „Medienbildung für Eltern: Ein Einstieg“ unerfahrenen Eltern und Erziehungsberechtigten einen Einblick in die Medienwelten der Jugendlichen zu geben. Die Resonanz, die ich für diesen Artikel erhielt, war groß, da es immer noch viele Menschen gibt, die ihre Mobiltelefone nur hinsichtlich ihres Kalenders oder tatsächlich zum Telefonieren nutzen. Seitdem hat sich zwar sowohl politisch als auch gesellschaftlich viel getan, die Probleme bleiben jedoch dieselben. Dieser Artikel soll einen kleinen Überblick über neue Trends und jene alte Gefahren geben, die als Form der berechtigten Kritik an dem ersten Artikel zu kurz kamen.

Eine Anmerkung zum Artikel

Wenn man – wie ich – auf zahlreichen Social-Media-Kanälen unterwegs ist, ergeben sich zwei Probleme, die jeder kennt, der sich in einem bestimmten Themengebiet auskennt. Zum einen kann man sich kaum vorstellen, dass jemand nicht auf dem gleichen Stand sein könnte. Dies führt zu Frustrationserlebnissen bei denen, die meinen, dieselbe Geschichte immer wieder erzählen zu müssen. Dieser Artikel soll jenen helfen, die sich noch nicht so kompetent fühlen.

Zum anderen neigt man dazu, die Lesenden von einem zum anderen Link zu schicken, eine Statistik anzubringen, auf weitere Blogs und Artikel zu verweisen und, kurz, die Leser oder Zuhörer mit so vielen Informationen zu überhäufen, dass sie danach nicht mehr wissen, wo ihnen der Kopf steht. Auf eine riesige Anzahl von Zusatzinformationen möchte ich hier absichtlich verzichten (auch wenn Sie den einen oder anderen weiterführenden Link finden werden). Wenn Sie weiterführende Informationen haben wollen, verweise ich auf meinen Twitteraccount, den Lehrerchat #edchatde, bei dem Sie jeden Dienstag teilnehmen oder mitlesen können, wie medienaffine Lehrpersonen über die Chancen der Digitalisierung reden, oder meine auf dem Blog nachzulesende E-Mail.

Eine Anmerkung zu „Digitalisierung“ und „Medienexperten“  

Diesen kurzen Einblick in die Problematik zweier Begriffe können Sie überspringen, wenn es um die direkten Gefahren und Möglichkeiten geht.

Das Feld der sogenannten Digitalisierung im Allgemeinen und der „digitalen Bildung“ im Speziellen ist schier unerschöpflich. Täglich rattern neue Blogartikel, vor allem aus dem amerikanischem Raum, durch das Äther, in denen sowohl anerkannte wie selbsternannte Medienexperten Trends nachjagen, ihre Nutzung reflektieren oder sogar neue Trends kreieren. Zwischen dem Aufkommen eines Spiels wie „Pokémon Go“ und den ersten reflexhaften Versuchen, das Smartphone-Spiel in den Unterricht zu integrieren, vergehen manchmal nur Stunden. Dabei ist noch nicht einmal der Begriff der „digitalen Bildung“ oder der „Bildung in einer digitalen Welt“ genau umrissen. Zwar gibt es wissenschaftliche Ausführungen, ganze Standardwerke, in denen die digitalen Medien in einen bestehenden Diskurs integriert werden, aber die schiere Fülle ihrer Ableger, Deuter und Analysten sorgt dafür, dass jeder darunter verstehen kann, was er will.

Dies ist wichtig, wenn man verstehen will, warum sich gerade Schulen so schwer tun ein Element des alltäglichen Lebens zu integrieren und das, obwohl die Nutzung, Reflexion und Anwendung von digitalen Medien eine Leitperspektive des neuen Bildungsplans für alle Schulen ist und schon seit 2004 zumindest in Teilbereichen deutlich umrissen wurde. Für Informatik-Lehrer ist Medienbildung das Erlernen der Programmiersprache, sie fordern ein Pflichtfach Informatik und die Behandlung der Informatik als „alternative Fremdsprache“. Für die Unternehmen ist die Medienbildung eine große Gelegenheit, ihre Produkte an den Mann und die Frau zu bringen. Tausende Schulen stellen schlicht einen grandiosen Absatzmarkt dar. Für wieder andere stellt Medienbildung in erster Linie das Erlernen der Grundkenntnisse in Word, Power Point und Excel dar.

Zwischen all diesen teilweise sogar widersprüchlichen Ansätzen und Interessen stehen Medienexperten, also entweder Personen, die zu digitalen Themen Lehren, Fortbildungen geben oder publizieren oder eben diese, die einen Blog haben und meinen, sich diese Bezeichnung selbst geben zu müssen. Hinter dieser (nicht mehr ganz neuen) Entwicklung, die nahezu alle gesellschaftliche Bereiche erfasst hat, steht nämlich nicht zuletzt das Versprechen einer großen Karriere, die außerhalb der Schule in der Industrie oder der Wissenschaft lauert.

Dieses Versprechen sorgt dafür, dass die Debatte in vielen Bereichen nicht offen geführt wird, was verständlich ist. Denn wenn ein medienaffiner Lehrer will, dass seine Schülerinnen und Schüler sich vernetzen, austauschen und außerhalb der Schule bloggen und twittern, schießt er sich – so die Befürchtung –  ins Knie, wenn er oder sie die bestehenden Gefahren offen anspricht. Das führt zu einem Schwarz-Weiß-Denken, der die Fronten immer weiter auseinanderklaffen lässt.

Der Autor dieses Blogs möchte sich nicht als Experte, wohl aber als kompetenter, medienaffiner Lehrer sehen, der durch eigene Fortbildungen in diesem Bereich, veröffentlichte Artikel auf zahlreichen Plattformen und dem ständigen Austausch zu diesen Themen in der Lage ist, Schülerinnen und Schülern bei einem bewussten und produktiven Mediengebrauch zu unterstützen – sofern ihm die Möglichkeiten gegeben werden.

Das Kürzel „digitale Bildung“ wird hier als Begriff gesehen, der ob seiner Knappheit passt. Er meint weder Programmiersprache noch Word, sondern vor allem den reflexiven Umgang mit allen Medien – seien es Bücher oder Tablets – hinsichtlich bildungsbezogener Fragestellungen.

Der wichtigste Tipp

Bevor es um die Gefahren und Möglichkeiten digitaler Medien geht, deren Abwägung letztlich dafür sorgen wird, wie und wann die konsequente Nutzung von digitalen Geräten tatsächlich den Weg in die Schule schaffen, der wichtigste Tipp: Offenheit in Bezug auf die Mediennutzung ist das A und O. Wenn Sie als nicht-medienaffine und nicht begeisterte Personen schon in einer ablehnenden Haltung Ihrem Kind begegnen, wird es Ihnen die Probleme und Ängste, die es mit, auf und durch die digitale Sphäre hat, nicht geben. Falls Sie sich nicht kompetent genug fühlen, lassen Sie es zu, dass Ihr Kind es Ihnen erläutert oder ziehen Sie einen Experten hinzu.

Die Verschlossenheit gegenüber dem digitalen Raum und seinem „Wurmloch“ namens Mobiltelefon sorgt eher für das Gegenteil, dem Suchen in Sphären, wo sich Kinder, Jugendliche und Erwachsene „verstanden“ fühlen.

Gefahren

Der Begriff der Gefahr ist drastisch, aber nötig. Denn neben kleineren Gefahren, die mobile Geräte und deren Nutzung bringen, gibt es handfeste Gefahren, die angesprochen werden müssen. Bevor diese (kurz) besprochen werden, hier jedoch eines der Argumente, das mir als Lehrperson sehr wichtig ist: Wenn Sie die Gefahren, die im Internet lauern, ernst nehmen, ist dies kein Argument gegen, sondern für einen konsequenten Gebrauch von digitalen Geräten in der Schule, der sogar von Elternseite eingefordert werden sollte. Denn wo, wenn nicht dort, sollen Kinder und Jugendliche die Gefahren, ihr eigenes Verhalten und die Fallstricke des Netzes kennenlernen, wenn nicht unter der Obhut und mit der Anleitung von Menschen, die sich auskennen? Die Realität sieht gerade so aus, dass Kinder und Jugendliche oft alleine gelassen werden und dann entweder durch ihre eigenen Peers mit den Problemen des Netzes klarkommen oder eben nicht. Im Folgenden werden einige Probleme, bis hin zu Gefahren angesprochen. Wer über den einen oder anderen Begriff mehr wissen will, sollte sich jedoch zusätzlich informieren.

Rechtschreibung und WhatsApp

Am untersten Ende dessen, was man „Gefahr“ nennen kann, ist das Verlernen der Schriftsprache. Wie so oft in der digitalen Sphäre gibt es unterschiedliche Auffassungen, ob die Handschrift überhaupt noch gebraucht wird und ob es überhaupt schade, dass Kinder und Jugendliche sich um die Normen der Sprache brächten. Das soll hier nicht erörtert werden. Es muss jedoch festgehalten werden: Solange in der Schule noch die schriftliche Form des Ausdrucks maßgeblich ist, stehen wenigen Minuten Schrift stundenlanger Kommunikation über WhatsApp und Co. gegenüber. Damit kann eine Sommerpause schon mal dafür sorgen, dass Kinder aus den Ferien zurückkommen, und keine Groß- und Kleinschreibung mehr können. Auch wenn nun gerufen wird, dass es bald eh keine Schrift mehr gibt: Solange dies noch gefordert wird, ordentliche und fehlerfreie Sprache bei Bewerbung und im Job zu den Grundpfeilern gehören, gehört die handschriftliche oder zumindest die fehlerfreie Tastatursprache dazu. Dies müssen Eltern und Jugendliche wissen. Und Jugendliche müssen wissen, dass ihre Eltern das wissen.

Druck durch Likes und blaue Haken  

Es gilt auch weiterhin, dass Likes und Herzchen, wie es sie bei Instagram und Co. gibt, Kinder und Jugendliche unter Druck setzen können. Druck, mehr Fotos zu posten. Druck, „gut“ auszusehen. Druck, zurückzuschreiben. Druck, dazuzugehören. Unter den Bildern von Jugendlichen findet sich oft ein für Erwachsene nicht zu durchschauendes Dickicht von Formeln, mit denen die Wertschätzung mithilfe von Standardformeln und Emojis zum Ausdruck gebracht werden. Ein Ausbleiben ist gleichsam das Ausbleiben von Anerkennung, von Respekt, manchmal sogar von Liebe. Ein Verbot kann, muss aber nicht heilsam sein. Auch hier gilt, dass es eher darum geht, das eigene Verhalten zu reflektieren und sich darüber klar zu werden, was falsch verstandener Ehrgeiz auch online auslösen kann. Durch einfache „Tricks“ können Situationen entschärft werden. So zum Beispiel durch das Ausschalten des blauen Hakens, mit dem man sieht, ob jemand eine Nachricht zwar empfangen hat, einen aber daraufhin ignoriert. Anderes muss ernster genommen werden.

Druck durch Communities

Communities oder Gemeinschaften sind zunächst einmal eine tolle Sache. Egal welches noch so abwegige Hobby man heutzutage hat, man kann sich sicher sein, dass man irgendwo im Netz tausende andere trifft, mit denen man es teilen kann. Das können völlig harmlose Dinge wie Sprache oder ein Land sein. Das können aber auch Gruppen wie ProAna sein, bei denen sich Jugendliche über die besten Formen, sich bis auf die Knochen auszuhungern austauschen können. Oder Foren, in denen Gedanken über Suizid ausgetauscht werden. Nicht zuletzt können sich Jugendliche (und auch Erwachsene, wie man bei den sogenannten “Reichsbürgern” gerade quasi live sehen kann) auch radikalisieren. Sowohl im In- als auch im Ausland sind radikale Gruppen – sei es der sogenannte Islamische Staat oder neue rechte Gruppierungen wie die Identitäre Bewegung –  darauf gekommen, dass man junge Menschen mit und in dem Netz wortwörtlich fangen kann. Man ködert sie und wenn sie anbeißen, setzt man sie unter Druck. Das geht zwar auch ohne das Internet, aber mit ihm geht es einfach schneller.

Sexting

Schnelligkeit und Druck sind die beiden Stichworte, die auch beim sogenannten Sexting eine Rolle spielen. Hierbei handelt es sich zunächst um das Austauschen von Nackbildern über das Internet oder über WhatsApp. Während in Zeiten, in denen das Internet höchstens von Nerds genutzt wurde, ein peinlicher Patzer bloß dafür sorgen konnte, dass man den paar Leuten, die auf einer Party waren, nicht in die Augen schauen konnte, ist die Weiterleitung eines peinlichen oder sogar demütigenden Bildes heutzutage unter Umständen gleichzusetzen mit der Vernichtung eines sozialen Netzes. Zwar sind es nicht viele, aber es gibt sie, die Jugendlichen, die aufgrund von im Netz geposteten Fotos Suizid begangen haben. Dies muss ernst genommen werden. Auch hier ist das Verbot naheliegend, aber trotzdem eine schwierige Gratwanderung, da alles, was hier vorgestellt wird, mittlerweile zur Lebenswirklichkeit, zur Identitätsfindung und zum Alltag der Jugendlichen gehört. Es muss jedoch darauf hingewiesen werden, welche massiven Probleme für Jugendliche entstehen können. Dies ist übrigens nicht nur beim Sexting der Fall, sondern immer dann, wenn jemand gegen seinen Willen verunglimpft wird. Die WhatsApp-Gruppe wird dann zum virtuellen Marktplatz, auf dem das Opfer gelyncht wird. Die Betroffenen können sich nicht wehren.

Cyber-Grooming  

Beim Cyber-Grooming sind wir nun bei einer der größten Gefahren angelangt, die das Internet „zu bieten“ hat. Hierbei handelt es sich um den Versuch von Erwachsenen, mittels der eben benannten Communities mit Kindern und Jugendlichen Kontakt aufzunehmen und zu versuchen, sich mit ihnen zu treffen. Dieses Phänomen hat zunächst einmal nichts mit dem Dienst zu tun und kann sowohl bei bekannten Plattformen wie Instagram oder Twitter, als auch bei Spielen wie dem beliebten „Minecraft“ vorkommen. Mittlerweile brauchen die Täter nicht einmal mehr handwerkliche Fähigkeiten, sondern werden durch sorglosen Umgang mit Apps in das Kinderzimmer gelassen.

Die Gefährder machen sich die Anonymität zu Nutze und erlangen so private Informationen ihrer Opfer, hören sie aus und versuchen durch stete Annäherung dafür zu sorgen, dass die Kinder oder Jugendlichen ihnen vertrauen. Eine Überprüfung ist dabei nicht möglich, zumal die Täter sich meist als Altersgenossen ausgeben und sich in der Sprache und dem Ton der Spieler auskennen. Auch hier kann nur die Prävention, die Aufklärung und die offene Aussprache dazu führen, dass Kinder für das Thema sensibilisiert werden.

Warum trotzdem das Netz nutzen?

Hört man sich all diese Dinge an, könnte man jeden verstehen, der, zumal als verantwortungsvoller Elternteil, sagt, dass man doch sein Kind doch eigentlich nur schützen kann, indem man es mit allen Mitteln vom Internet fern hält. Ein sehr nachvollziehbarer Reflex. Er verkennt jedoch die Tatsache, dass wir in einer Welt leben, die in allen Bereichen vom Netz, der digitalen Sphäre durchzogen ist. Damit ist nicht nur gemeint, dass wir über das Netz bezahlen, kaufen, Hotels buchen und mittels vieler verschiedener Kommunikationsmedien chatten, Freunde finden, flirten und streiten. Sondern damit ist gemeint, dass das Internet Teil der Identität vieler, vieler Menschen geworden ist, die sich im ganz positiven Sinne austauschen, über Ideen sprechen, Innovationen ausarbeiten und sich gegenseitig wertschätzen.

Viele derjenigen Jobs, die unsere Kinder in Zukunft annehmen, gibt es noch gar nicht. Aber wir können sicher sein, dass sie mit dem Netz zu tun haben werden.

Und auch die politische Medienbildung, ein immer wichtiger Bestandteil der Bildung, läuft über das Netz. Ob das Kind, der Jugendliche, nichts von Politik mitbekommt, ob er sich radikalisiert oder die zahlreichen Chancen demokratischer Partizipation nutzt, hängt letztlich daran, ob er oder sie überhaupt weiß, wo man suchen muss.

Die Frage ist also nicht, warum man das Netz trotzdem nutzen muss. Die Frage ist, wann allen klar wird, dass das Internet nicht wieder weggeht und dass es ein Teil der Bildung und des Lebens werden muss, gerade eben weil man die Kinder und Jugendlichen sonst mit dem Problemen, Gefahren und Herausforderungen alleine lässt.

In zahlreichen Schulen wird an Konzepten gearbeitet und sogar die Politik hat, wenn auch Jahrzehnte zu spät, die Zeichen der Zeit erkannt. Dennoch ist es auch in der Hand der Familien aktiv einzufordern, dass die Jugendlichen fit für eine Zukunft gemacht werden, bei der die digitale Sphäre in alle Bereiche hineinreichen wird. Oder schon hineinreicht. Und zwar nicht trotz der Gefahren.

Sondern gerade wegen ihnen.

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