Während ich auf dem Weg zur Schule, wie an fast jedem Morgen, den Deutschlandfunk höre, kann ich bei einer Nachricht nicht an mich halten. Noch bevor mein Über-Ich mich zügeln kann, schreie ich ins Radio. Ein Grund ist die Reaktion des Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, auf die Ankündigung der Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) 5 Milliarden Euro zur Digitalisierung der Schulen in die Hand zu nehmen. Die Reaktion des der digitalen Bildung abgeneigten Präsidenten ist vor allem mit einem Adjektiv zu beschreiben: deutsch.

Es ist nicht so, dass man das milliardenschwere Paket, dass Wanka für die Modernisierung der Schulen in die Hand nehmen will, nicht kritisieren könnte. Der Medienexperte Jöran Muuß-Merholz stellt in diesem Zusammenhang sehr wichtige Fragen (hier nachzulesen).

Aber sowohl die Rechtfertigung für diesen Schritt, als auch die rasch folgenden Reaktionen zeigen, dass der Begriff #Neuland für so wichtige Vertreter der Schullandschaft noch eine Untertreibung ist. Sie scheinen auf einem anderen Planeten zu leben.

Zum einen äußerte sich Wanka in einer sehr abwertenden Weise über die kommunikativen und digitalen Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler:

„Schülerinnen und Schüler müssen heute auch digital lernen und arbeiten können, statt nur zu daddeln. Dafür brauchen wir einen Digital-Pakt zwischen Bund und Ländern. Gemeinsam können Bund und Länder so den Schulen das richtige Werkzeug für gute Bildung im 21. Jahrhundert geben.“

Man mag sich fragen, wo sie diese Informationen her hat. Schülerinnen und Schüler kommunizieren mittlerweile jeden Tag über das Netz, informieren sich, starten Hilfsaktionen, verabreden sich, arbeiten zusammen und vieles mehr. Aber sei es drum. Viel Geld aufgrund einer falschen oder zumindest fragwürdigen Einschätzung bleibt trotzdem viel Geld.

Elke Hannack ist da schon deutscher: „Wo in Klassenzimmern der Schimmel die Wände hochkriecht und Schulklos verstopft sind, reicht es nicht, Tablets und WLAN bereitzustellen“, sagte DGB-Vizechefin. In diesem Land reicht es nicht, sich einer Sache anzunehmen. Kaum hat jemand ein gesellschaftliches Problem ausgemacht und will es beheben, kommen die Interessenvertretungen aus allen Bereichen und schreien nach den eigenen Vorstellungen. Natürlich ist eine solche Kritik nicht von der Hand zu weisen, weist sich jedoch bei näherem Hinsehen als Polemik aus.

Den Vogel abgeschossen hat aber – mal wieder und immer wieder – wie man leider sagen muss, der Präsident des Lehrerverbandes. In seinen Worten zeigt sich einmal mehr, warum Deutschland ein „digitales Entwicklungsland ist“. Seine Fehlschlüsse und falschen Vorstellungen weisen in als Wesen von einem anderen, sehr deutschen Planeten aus.

Da ist zunächst die Feststellung:

„Wir brauchen keine Laptopklassen.“

An dieser Aussage ist so viel falsch, ja geradezu albern, dass man nicht weiß, wo man anfangen soll. Kraus reduziert die digitale Entwicklung auf einen Schlagbegriff, den er mal gehört haben muss, ohne dabei darauf zu achten, dass die reflektierte Mediennutzung schon seit 2004, explizit prominent aber im neuen Bildungsplan als grundlegendes Gebiet aller Fächer genannt wird. Wie sollen diese für das 21. Jahrhundert so wichtigen Kompetenzen, die Gefahren gesehen, die Möglichkeiten erprobt werden, wenn nicht mit den nötigen Geräten?

Aber es kommt noch besser.

„ Ich glaube nicht (Hervorhebung des Autors) an die Segnungen der Digitalisierung von Unterricht, die man uns immer versucht einzureden. Unsere 40.000 Schulen mit schnellem Internet auszustatten, bringt keinerlei Fortschritt für den Unterricht. Wir brauchen keine Laptop-Klassen! Die Digitalisierung der Klassen würde die bei den Schülern ohnehin vorhandene Neigung zum Häppchenwissen noch verstärken. Es leidet die Konzentration. Es leidet das Lesevermögen und die Diskursfähigkeit.“

Da glaubt jemand etwas nicht, der, wie es scheint, gar nicht weiß, worum es überhaupt geht. Der digitale Bildung mit Laptop-Unterricht (was auch immer das sein mag) verwechselt. Der meint, es gehe um einen „Fortschritt für den Unterricht“.
Welch hanebüchenen Ausführungen!

Natürlich, möchte ich dem alten Herrn zurufen, geht es nicht darum. Es geht darum, Schülerinnen und Schüler für eine Zukunft, für eine Gegenwart zu bilden und auszubilden, in der wir schon leben.

Die digitalen Medien bestimmen unseren Alltag – nicht nur zum Guten. Soziale und politische Entscheidungen werden beeinflusst, rechte Gruppierungen sammeln sich, digitale Communities finden sich, die Gesellschaft ist seit Jahren in einem Wandel – und der Präsident eines Verbandes, dessen Mitglieder die Zukunft des Landes bestimmen, versteht nicht, um was es hier geht?

Es geht um nicht weniger als um das selbstbestimmte Handeln in einem Raum, dessen Regeln immer noch definiert werden. Es geht darum, dass Schülerinnen und Schüler Teilhabe an einer Gesellschaft haben, die schon längst Teil des Lebens ist.

5 Milliarden Euro können nicht alles ändern. Aber es wäre ein Schritt nach vorne. Und ein weiterer Schritt nach vorne wäre es, wenn die politischen und gesellschaftlichen, aber vor allem die institutionellen Träger der Bildung überhaupt verstehen würden, worum es hier geht.

LAPTOP-KLASSEN? Dass ich nicht lache!

11 Kommentare

    • Das Schlimme ist, dass er sich damit in jenen populistischen Reigen einordnet, der in Deutschland gerade en vogue zu sein scheint. Schade, dass am Ende der Erkenntnis noch so viel Meinung über ist.

  1. Herr Präsident ist leider repräsentativ für unzählige LehrerInnen in Deutschland. Ich würde deine Sicht auf die nötige digitale Bildung und bereits vorhandene Realität der S’uS unterschreiben, allerdings sind zu viele LehrerInnen davon abgeschlagen/disinteressiert.

    Ich habe KollegInnen, die in Word mit sehr vielen Leerzeichen formatieren, welche, die Vergleichsklausuren nur ausgedruckt entgegennehmen, weil sie keine PDFs drucken können usw. Einige davon bringen in der EF bei, wie man am PC längere Texte formatiert.

    Prognose: Wenn die 5 Miliarden kommen, könnte man Großartiges damit tun. Faktisch werden unzählige KollegInnen im Land nur fragen, ‘ob sie dann jetzt auch noch PowerPoint mit der 8 machen müssen?!’ (sehr schlechte Erfahrungen von 2005), an zahllosen Schulen wird es einen weiteren ungenutzten Computerraum/Tabletkoffer o.ä. geben, der ‘irgendwie nicht geht’ und dann verkommt.

    • Danke für den Kommentar. Ich gebe dir/ Ihnen Recht. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, weil ich auch die positiven Beispiele sehe. Und ich hoffe, dass es mehr werden. Ich denke, zumindest in BaWü wird etwas dafür getan. Sprach mit dem KuMi für Lehrerfortbildung, der versicherte, das Defizit auf dem Schirm zu haben.

      • Deine Hoffnung teile ich, befürchte aber, dass es bei der digitalen Schule v.a. an uns LehrerInnen krankt. Hattie ex negativo: Wenn LehrerInnen keine Ahnung vom Netz haben, können sie es auch nicht ordentlich unterrichten.

        Die Frage ist nur, wo da anzusetzen ist. (Vorsicht Klischées:) Bei dem traditionsbewussten Lateinlehrer, der für den Unterricht nie mehr als Buch und Tafel gebraucht hat und der Halbtags-Deutschlehrerin, die “Zeitung” in der 7 doch immer gerne mit Schere und Kleber anstatt mit unnötigen PCs unterrichtet hat, ist es auch mit zwei, drei Fortbildungsterminen nicht getan.
        Ich behaupte zahllose KollegInnen könnten es gar nicht ertragen, Medien-Themen tatsächlich ergebnisoffen zu diskutieren und zuzulassen, dass die S’uS in vielen Bereichen bereits relevante Sachen draufhaben, die uns studiertem Pöbel, teils nur sporadisch oder gar nicht mit dem PC aufgewachsen, schwerfallen.

        Wenn ich dann noch sehe, dass El Presidente offenbar auch kein Internet in seiner Schulwelt benötigt (übrigens nicht seine erste Aussage im letzten halben Jahr, die ich für vorsintflutlich halte) und mir selbst aktuelle Schulbücher gestellte SMS-Dialoge noch immer als “Neue Medien” andrehen wollen, dann ist es schwer, die Hoffnung beizubehalten…

        (Übertreibe ich?)

        • Nein, leider übertreibst du nicht. Aber ich bin geduldiger geworden und freue mich über die kleinen Schritte. Vielleicht sind monetäre Rahmenbedingungen wieder ein paar nach vorne.

  2. […] Und natürlich könnte man das Geld auch in die Sanierung von Gebäuden stecken. Man könnte es aber auch in neue Schulpyschologen investieren. Mehr Stellen für Sonderpädagogen damit schaffen. Das Essen in Schulmensen gesünder machen. Schulwege besser absichern. Schulhöfe neu gestalten. Jeder Schule einen Schulgarten bescheren. Man könnte die Schule aber tatsächlich mal aus den 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts abholen, wo sie – zu Kraus‘ Blütezeit – leider stehengeblieben ist. Gegenwind bekommt Kraus allerdings von allen Seiten. […]

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