Am Donnerstag, den 28. Januar, besuchte der Berliner Schriftsteller und Historiker Per Leo das Windeck-Gymnasium Bühl, um aus seinem nunmehr in der 5. Auflage erschienenem Buch „Flut und Boden“ zu lesen und sich den Fragen des Publikums zu stellen. Zuvor hatt der von Herrn Dr. Lembke und Herrn Dr. Seiler im Rahmen von „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ eingeladene Leo dem Seminarkurs die Kunst historischen Schreibens erläutert.

Die Zuschauer hatten einiges zu erwarten, als der klein gewachsene, freundlich drein schauende Mann mit schütterem Haar die Bühne betrat, ging es doch um nicht weniger als ein Buch, dass trotz des schon vielfach besprochenen Themas deutscher Schuldiger in der Zeit des Nationalsozialismus in den Feuilletons als „erkenntnisstiftend“ gelobt worden war.

Herr Dr. Sven Lembke, der Leo noch als Studenten in Freiburg betreute und ihm seither wie Dr. Mario Seiler auch freundschaftlich verbunden ist, stellte Leo als jemanden vor, der die Dimensionen der Geschichte behandele, die in der Schule oftmals fehlten. Schule vermittele die Welt „an sich“. Das sei hier nicht der Fall.

Nach einigen Worten über den 1972 in Erlangen geborenen Leo, der Philosophie, Neuere und Neueste Geschichte und Slawistik in Freiburg und Berlin studierte und 2009 den Caroline-von-Humboldt-Preis für seine Dissertation erhielt, begann der Schriftsteller und Schatullenproduzent mit der Lesung von vier ausgewählten Stellen aus seinem Buch.

Dabei ist der ungewöhnliche zweite Beruf geradezu programmatisch für das, was Leo in seinem Buch vollbringt. Er erzählt, berichtet und reflektiert hier über seine Familie, ein Bremer Bildungsbürgergeschlecht, und vor allem über den Werdegang seines Großvaters und dessen Bruder. Während der letztgenannte, Martin, seinem bildungsbürgerlichen Ideal treu bleibt und sich in das Goethestudium vertieft, erzählt der Ich-Erzähler, Leo selbst, wie Friedrich nach gescheiterten Versuchen, sein Leben in die gewünschte Bahnen zu lenken, ein Berufsoffizier der SS im Rasse- und Siedlungshauptamt wird. Obwohl die beiden Brüder sich in ihrem Leben eher aus dem Weg gehen und Berührungspunkte vermeiden, laufen die Lebenslinien im Buch nah aneinander. Man könnte sagen: Die Schatulle zweier unterschiedlicher Lebensentwürfe wird geöffnet.

Die professionell, in sprachlich dynamischen Sentenzen vorgetragenen Buchstellen, verdeutlichten die Mehrstimmigkeit in Leos Buch, die einer der Gründe ist, warum es von der Kritik so wohlwollend behandelt wird. Auf der einen Seite die sachlich-objektiven Perspektiven des studierten Historikers, der durch Ironie und Distanz die mythische Überhöhung von Rasse und Volk aus dem Nationalsozialismus unterwandert und erklärt. Auf der anderen Seite der Ich-Erzähler, der einsehen muss, dass der Großvater Teil seiner Familie ist. Hier wird nicht verteufelt, sondern beschrieben. Letztlich ist es das, was eine Erkenntnis des Buches ausmacht. Die Wandlung vom Nazi wird zur Möglichkeitsform unter anderen. Während der eine Bruder aufgrund der nationalsozialistischen Rasseideologie sterilisiert wird, ist der andere dafür verantwortlich, deutsches und undeutsches Menschenmaterial auseinander zu dividieren.

Das Buch des Historikers, der aufgrund eines „produktiven Scheiterns“, wie er das Buch nennt, zum Schriftsteller wurde, läuft entlang dieses Spannungsverhältnisses. Dabei betonte der Autor selbst, die Möglichkeiten, die die Literatur im Gegensatz zur Geschichtsschreibung biete. Er sprach von der „Literatur als letzte Möglichkeit der Aneignung“ eines Stoffes, mit dem die deutschen durch die Medien jedes Jahr überladen werden. Das Neue ist, dass der Leser, anders als bei „Nazifilmen“, die einen schon bekannten Weg einschlagen, sich nie sicher sein kann, auf der sicheren Seite zu sein. Das erfordert Aufmerksamkeit beim Lesen.

Am Ende der Lesung nahm sich Leo Zeit, Fragen aus dem Publikum zu beantworten. Neben jenen Gedanken, die er zum Verhältnis von Literatur und Geschichtsschreibung äußerte, spannte er den Bogen bis hinein in die schwierigen Fragen unserer Zeit. Zwar lasse sich die momentane Debatte nicht mit Weimarer Verhältnisses vergleichen, aber die „totalisierenden Spachweisen“, die man zur Zeit auf der Straße und in den Medien höre, seien für ihn „zutiefst besorgniserregend“.

Er habe es nicht für möglich gehalten, dass „die Sicherheit der Debatte“ schwinden würde.

Vielleicht sind diese Worte das, was es so gewinnbringend macht, das Buch von Per Leo zu lesen. Denn neben historischen Neuheiten und einer frischen Sprache liest der Leser sich mitunter gefährlich nah an das Denken eines überzeugten Rassisten, freilich, um die Fährte dann wieder zu verlassen. Was hängen bleibt, ist die Erkenntnis, dass Geschichte nie nur in der Vergangenheit liegt. Das ist beunruhigend, aber lässt einen aufmerksam für die Gegenwart bleiben.

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