Es war ein wundervoller Abend mitten im Sommer dieses Jahres. Des Jahres 2015.

Die Weinreben trugen grüne Blätter und die Weintrauben schmeckten reif und fruchtig. Später sollte es heißen, dass es ein guter Jahrgang werden sollte. Voller Vorfreude gingen wir auf ein Fest, wie es sie überall in Deutschland gibt, um miteinander das zu tun, was Deutsche tun, wenn er milde Luft dazu einlädt, die Zeit miteinander zu verbringen. Wir grillten und schmausten und unterhielten uns über die Region. Jeder hatte etwas mitgebracht. Einige Spezialitäten waren osteuropäischen Ursprungs, einige regional. Ein kulinarisches Vergnügen multikultureller Provenienz. Genau wie die Teilnehmer des Festes. Das Einzige, was anders war, als in anderen Jahren in Deutschland, war das Damokles-Schwert, das über jeder Diskussion dieses Jahres schwebt. Die politische Diskussion um das, was mal „Flüchtlingskrise“, „Flüchtlingsproblem“ oder – wenn wir im politischen Diskurs schon weiter nach da gerückt sind, wo der Daumen links ist „Flüchtlingsschwemme“ oder „Flüchtlingslawine“ heißt.

Um solche Diskussionen nicht sofort aus dem Ruder laufen zu lassen, geht es meist nicht um die direkte Konfrontation, sondern darum, zielsicher am Thema vorbeizuschießen, als wäre ein Treffer auch immer das Eingeständnis, die Haltung des anderen nicht mehr akzeptieren zu können.

Aber in diesem deutschen Sommer, bei deutschem Bier und kroatischem Cevapcici bin ich froh über eine offene Diskussion. In der Diskussion werden die Fronten dann klarer. Die sich beäugenden Diskussionspartner wechseln unmerklich die Plätze, so dass die Bierbänke wie eine zu im wahrsten Sinne des Wortes fleischgewordene Umfrage in deutschen Städten erscheint. Ich muss an ein Tribunal denken. Um mich ist es erst einmal einsamer geworden. Mir gegenüber sind mehr. Die Diskussion ist, wie es sich für einen lauen Sommerabend gehört: Freundlich, aber bestimmt. Gerstensaft und Birnenschnaps lassen aber die Einschläge näher kommen. Frauke Petry, stößt die erste Lanze nah des Zielfeldes ein, sei jemand, die kein Blatt vor den Mund nehme.

Dann kommen wir also hin.

Aber mir geht es zu gut. Der Himmel ist immer noch blau, schwarzblau zwar, aber blau. Ich will nicht messianisch wirken, nicht an die Humanität appellieren, nicht der Gutmensch sein, der wirklichkeitsfremd über das Gute im Menschen schwadroniert und sich dann in eine Wohnung zurückzieht, die in den Großstädten dieser Republik keiner bezahlen könnte, der nicht zumindest einen Abteilungsleiterposten in einem mittelständischen Unternehmen hat.

So muss es sich anfühlen, im Mittelalter als Pazifist in Waffen auf ein Turnier zu gehen, bei dem man nicht gegen den Königssohn verlieren darf.

Aber heute Abend gibt es einen weiteren Spieler. Einen Abteilungsleiterposten in einem mittelständischen Unternehmen. Alles habend. Der deutsche Bismarck. Saturiert.

Und dann sagt dieser wirklich freundliche Mann, adrett, präzise geschnittene Frisur, hellblaues Hemd, dass man diese Männer auch verstehen müsse.

Ich verstehe nicht ganz.

Man müsse diese Männer auch verstehen, die ihren Unmut ausdrücken.

Ich verstehe immer noch nicht.

Es gebe viele Probleme. Deshalb müsse man sich in die Menschen hineinversetzen, die Flüchtlingsheime anzünden.

Vor mir sitzt kein Nazi. Noch nicht einmal einer, der denken würde, dass er aus einer Grundhaltung heraus argumentiert, die rassistisch ist.

Ich weiß nicht, ob es das schlimmer oder besser macht.

Jetzt ist er also geflogen, dieser zielgerichtete Pfeil mitten ins Herz des Themas, das man nun nicht mehr sachte umrunden kann.

Und ich merke, dass ich keine rhetorischen Zwischenbretter mehr habe. Wir kennen uns hier in dieser Runde nicht, aber später bin ich (was kindisch ist) ein wenig stolz auf dieses Wort, das ich gebrauche, und das öfter gebraucht werden muss in diesem Sommer 2015 und im Winter und im nächsten, in den nächsten Jahren.

„Nein!“

Es ist nicht das, was Sascha Lobo in einem so treffenden wie wichtigen Essay die Verwendung der Nazikeule nannte. Ich will mein Gegenüber nicht stigmatisieren, will nicht mehr argumentieren, will mich nicht in ihn hereinversetzen. Ich mag eigentlich auch nicht mehr zuhören. Aber das ist auch keine Lösung. Ich muss sprechen. Man muss sprechen. Man muss das Nein zelebrieren. Nein. Ich muss mich nicht, ich wiederhole, nicht in jemanden hineinversetzen, der andere Menschen töten will, weil sie nicht von hier sind.

Das sage ich.

Ich muss mich nicht hineinversetzen in jemanden, der sich durch etwas bedroht fühlt, was er nicht versteht.

Ob ich alles verstehe? Nein. Natürlich nicht. Die Welt ist schwierig geworden. Ich versuche, so gut zu verstehen wie ich kann. Aber einen Fehler werde ich nicht machen. Ich werde nicht so tun, als ob ich es könnte. Und ich werde nicht versuchen, auf schwierige Fragen einfache Antworten zu geben.

2015 ist das Jahr der einfachen Antworten auf schwierige Fragen.

Abschottung ist immer die einfachste Antwort auf alle Fragen. Aber auch der einfachste Weg der Einengung des eigenen Verständnisses.

Die Menschen auf den Bierbänken sind in einer neuen Konstellation zueinander. Ich habe Hilfe bekommen. Wir werden uns in diesem Sommer und auch im Herbst öfters sprechen. Jemand, der mir zustimmt. Dass man Menschen nicht ermorden darf. Das ist doch was.

Mittlerweile ist es dunkel und ich spüre auch eine gewisse Kälte. Ich weiß aber nicht, ob sie von außen kommt. Das kann man in diesem Jahr nicht wissen. Ich bin gleichzeitig sauer und froh. Ich bin froh, dass ich dabei war. Mit jemandem zu sprechen, der als Typus vielleicht eher im Osten der Republik anzutreffen ist. Oder sind es viel mehr? Und wo waren die vorher? Ist das meine Wahrnehmung? Solche Fragen bleiben einfach im Kopf.

Aber auch eine Antwort. Egal, welche politische Haltung man hat, manchmal sind es vielleicht doch die einfachen Antworten auf die schwierigen Fragen. Vielleicht ist es manchmal einfach das Nein, dass die Grenze zieht, über die wir nicht hinüber driften sollten, wenn wir noch guten Gewissens zwischen den Weinbergen unseren Wohlstand zelebrieren wollen.

Vielleicht bin ich da aber auch nur einfach im Kopf.

 

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