Ich weiß nicht, die wievielte Runde wir schon laufen. Hinter mir höre ich ein Grunzen, ein tiefes. Ich drehe mich erst nicht um. Dann muss ich schmunzeln, spüre die Beine wieder. Drehe mich doch um. Es ist Moritz, mein Klassenkamerad. Sein Kopf wippt hin und her, während er Jagd auf mich macht. Und er grunzt. Eine gute Runde weiter kommt David. Sein Kopf scheint zu platzen. Er ist Raucher. Wir erreichen das Ziel. Die Bundesjugendspiele sind vorüber.

Nein, so wirklich habe ich die Bundesjugendspiele nicht gemocht. Sie haben zwar keine Traumata ausgelöst wie so manches andere Ereignis der Schulzeit, aber schön ist was anderes. Nun, als Lehrer, weiß ich, wie viel Arbeit dahinter steht und wie viele Leute dafür sorgen, dass alles reibungslos ablaufen soll. Sportlehrerinnen und Sportlehrer engagieren sich dafür, dass die Kinder sich messen. Oder zumindest die, die sich messen wollen.

Die Bloggerin (und baldige Buchautorin) @Mama_arbeitet hat mit ihrer Petition, mit der sie für die Abschaffung der Bundesjugendspiele plädiert, einen Stein ins Rollen gebracht. Nach dem Stern berichtete nicht nur der SWR, sondern zuletzt auch die Tagesschau. Die konkrete Argumentation ist:

Sport sollte Spaß machen und ein positives Körpergefühl vermitteln. Aber die Bundesjugendspiele leben von Wertung: Aufwertung und Abwertung einzelner auf Kosten anderer. Oft ist das Lehrpersonal auch noch so unsensibel, die Unterschiede zwischen den Kindern besonders herauszustellen bei der anschließenden Vergabe der Urkunden in der Klasse. Bei einem Wettkampf gehöre es dazu, heißt es dann. Aber welchen Sinn hat ein Wettkampf, dem man sich nicht freiwillig stellt und bei dem Einzelne schon vorher wissen, dass sie am unteren Ende der Leistungsskala sein werden?

Wie so oft folgt die Reaktion des Internets prompt. In 139 Kommentaren (!) auf Tagesschau.de (die Kommentarfunktion wurde aufgrund des Ansturms ausgesetzt) lassen sich die Menschen über den Wettkampfcharakter des Sports aus und darüber, in welcher „Weichspülergesellschaft“ wir leben. Bei der Argumentation, dass Kinder Rückschläge erleben müssten, um gesellschaftsfähig zu werden, wird es dann abstrus. Es erscheint, als hätten (welch unwahrscheinlicher Umstand) viele den Text nicht wirklich gelesen.

Der Autorin geht es nämlich darum, eine Diskussion anzustoßen (und man darf sagen: das hat sie schon geschafft), die auch darauf hinauslaufen kann, die Spiele zumindest zu modernisieren. Es geht ihr nicht darum, Sport aus der Schule zu verbannen – wie der Mob zu erkennen glaubt. Was spräche dagegen, wenigstens den Zwang der „Spiele“ auszusetzen?

Vermutlich hat die Verbitterung, die aus vielen spricht, auch mit den eigenen Erfahrungen zu tun. So wie manche Lehrer explizit wollen, dass das Referendariat schwierig ist („Bei mir war es ja auch nicht anders!“) scheint es, als haben einige doch mehr als die Erinnerung an ein Grunzen mit ins Erwachsenwerden genommen.

Vielleicht sollte man den Blick dorthin richten, wohin ihn auch @Mama_arbeitet richtete, bevor sie die Petition startete – zu den Kindern und Jugendlichen.

Die Bundesjugendspiele lassen ganze Klassen Jahr für Jahr aufstöhnen (wobei ich fairerweise sagen muss, dass es bei der Ankündigung einer Arbeit nicht anders ist). Der Punkt ist: Die sehr guten Schüler_Innen wissen, dass sie sehr gut sein werden. Und die „schlechten“ wissen es auch. Und während der große Kampf gegen Mobbing in WhatsApp-Gruppen läuft, sind für viele Kinder die Bundesjugendspiele genau das: eine Demütigung vor riesiger Kulisse.

Auch wenn es sportlich nicht so besonders war, habe ich früher ein Instrument gespielt. Im Orchester war es immer schön, nicht nur, weil man zusammen musizierte, sondern auch, weil man sich kannte und zusammen lustige Dinge erlebte. Aber für einige war das anders. Manche mussten zu bestimmten Feiern im Orchester mitspielen, obwohl sie eigentlich gar nichts konnten. Sie bekamen dann die Klanghölzer und durften so leise neben den Takt hauen, dass man sie wenigstens nicht hörte. Oder es kam das Todesurteil: Triangel! Schlimmer war nur noch, wenn jemand ihnen sagte, dass sie genau so wichtig seien wie die anderen. Die verbale Teilnehmerurkunde. Da konnten auch sie nur noch mit einem Grunzen reagieren.

Welche Erfahrungen habt ihr mit den Bundesjugendspielen gemacht? Sollte man sie abschaffen?

 

5 Kommentare

  1. Hier waren heut auch Bundesjugendspiele!
    Worüber am meisten geschimpft wurde, war die gefühlte unglaubliche Zeitverschwendung. 6 Zeitstunden Anwesenheit stehen 20Minuten sportlicher Aktivität gegenüber. Der Rest ist Rumsitzen.
    In den beiden Sportstunden die ausgefallen sind wäre die sportliche Aktivität wesentlich größer gewesen.

  2. Beim ersten Auftauchen dieses Themas auf FB habe ich unter dem Post erstmal nach postillion.de gesucht. Ernsthaft.

    Nicht zu fassen ist, welches mediale Echo diese Petition nach sich zieht. Aber ein Gutes hat es dann vielleicht doch. Wenn dies ein Thema ist, dass es in die großen Nachrichtenorgane schafft, dann scheint es im Bildungssystem ansonsten keine gravierenden Probleme zu geben. Das beruhigt mich.

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