Vier Deutschlehrer. Prüfungsbesprechung. Schön hergerichtete alte Tische. Belegte Brötchen, Wasser und einige kleine Fläschchen Orangensaft. Mehrere Stühle. An den Plätzen liegen weiße, rote und grüne Blätter.

Herr Zwanghaft: Schön, dass Sie es so schnell gefunden haben!

Herr Altmeyer: Wir wären ja auch zu Ihnen gekommen…

Herr Jungspund: Ach, heutzutage ist das ja kein Problem mehr.

Frau Zauderer: Können wir bitte beginnen. Meine Zeit ist…

Herr Zwanghaft: Sie haben den Text ja gelesen. Er sollte für die wenigsten Schüler eine Herausforderung sein. Ich schlage vor…

Herr Altmeyer: Na, es kommt drauf an. Ich hatte mal einen, den Erwin, wenn ich dem gesagt habe, Erwin, was sind drei aufeinander folgende Wörter, die sich steigern…

Herr Jungspund: Was hat das denn jetzt damit zu tun? Sollten die etwa auch wissen, was eine Klimax ist?

Frau Zauderer: Was ist ein Klimax?

Herr Zwanghaft: EINE Klimax, das ist weiblich.

Herr Altmeyer: …und der Erwin hat darauf natürlich angefangen zu weinen, was natürlich damals gar nicht ging. Da habe ich ihn in die Ecke gestellt, Eselsohren auf…

Herr Jungspund: Also ich wäre jetzt für mehr Vici und weniger Veni und Vidi, wenn ich das mal so sagen darf.

Frau Zauderer: Jetzt verstehe ich gar nichts mehr. Ist das sexuell konnotiert? Weil dann habe ich die Eltern wieder auf der Matte stehen.

Herr Zwanghaft: Ach Frau… Frau…

Frau Zauderer: Zauderer!

Herr Zwanghaft: Da hört sich doch alles auf!

Frau Zauderer: Mein Name ist Zauderer!

Herr Altmeyer: Elfriede, mach doch keinen Strauß draus.

Frau Zauderer: Strauß, Klimax, Vici. Ich kam in der Annahme, wir wollen die Aufgaben besprechen.

Herr Jungspund: Sollen wir uns einmal den Problemhorizont des Regierungspräsidiums anschauen. Die haben sich ja was dabei gedacht.

Frau Zauderer: Also ich richte mich eigentlich sehr streng danach, weil…

Herr Zwanghaft: Das wäre ja mal was, wenn die sich was dabei denken würden.

Herr Altmeyer: Damals war das alles demokratischer. Da haben wir gesagt. Gut, wenn es so nicht geht, dann machen wir was eigenes draus, so dass die Schüler dann auch wissen, was…

Herr Jungspund: Außer es war der Erwin.

Herr Altmeyer: Sie kennen den Erwin? Sie sind doch viel zu jung?

Herr Zwanghaft: Bitte verhalten Sie sich kollegial.

Frau Zauderer: Was soll das denn nun wieder heißen?

Herr Zwanghaft: Ich denke, wir gehen einfach Vers für Vers durch und vermuten, was wir denken, was wir von den Schülern erwarten können, wenn sie ein wenig mehr gedankliche Reife als der Erwin haben.

Herr Altmeyer: Ach, Sie kennen den Erwin?

Herr Jungspund: Ich denke, zunächst mal ist es die Drastik des individuellen Freiheitswunsch, der sich in einer metaphorischen Explosion manifestiert.

Frau Zauderer: Aber…

Herr Jungspund: Sie will sauer sein.

Frau Zauderer: Ah! Wieso sagen Sie das denn nicht. In bin Quereinsteigerin.

Herr Zwanghaft: Das sehe ich anders. Das lyrische Ich sagt ja selbst, dass es „niemals zuvor so hart“ war. Das heißt, der Gedanke des „Davor“ muss berücksichtigt werden.

Herr Altmeyer: Sie wissen gar nicht, wie recht Sie haben. Bevor ich hier in dieser Bude angefangen habe, wollte ich ein Buch schreiben. Hören Sie? Ein Buch. Und dann kamen immer mehr neue Vorschriften und irgendwann, irgendwann bleibt man dann hier sitzen und schlägt dem Erwin die Backen rot.

Herr Jungspund: Sie haben ihn geschlagen? Das muss aber lange her sein.

Herr Altmeyer: Freilich. Das ist mittlerweile mehrere Wochen her.

Herr Jungspund: Wochen?

Frau Zauderer: Ich habe das immer noch nicht verstanden. Warum regt sich das lyrische Ich denn nun so auf?

Herr Zwanghaft: Sie will aus sich raus.

Herr Altmeyer: Sie will keine Frau mehr sein.

Herr Jungspund: Sie will die Ketten sprengen.

Frau Zauderer: Vielleicht sollten wir uns auf was einigen.

Herr Zwanghaft: Wissen Sie… Wir machen es einfach jeder wie er will. Und am Ende treffen wir uns nochmals.

Herr Altmeyer: Ach hören Sie doch auf. Dann haben wir das hier nochmal. Ich habe noch zwei Jahre. Hören Sie? Zwei Jahre! Da treffe ich mich doch nicht einmal mehr als nötig mit so dummbäckigen Dummbratzen wie sie es sind.

Herr Jungspund: Ich bin mir gerade unsicher, ob Sie meine rote Linie übertreten.

Frau Zauderer: Hier ist doch nirgendswo eine rote Linie. Häh?

Herr Zwanghaft: Wissen Sie, das habe ich doch alles befürchtet.

Herr Altmeyer: Ich sage: Wir lassen es ausfallen. Sollen die Schüler doch selber korrigieren. Ich bin hier raus. Tschüss! Das war’s für mich. Nie mehr wieder. Und wenn irgendjemand nach mir fragt, ich bin bei meinem Sohn.

Herr Jungspund: Wieso bei seinem Sohn?

Frau Zauderer: Der alte Herr hat einen Sohn?

Herr Zwanghaft: Es ist nicht alt. Er ist erst 35. Ja. Er heißt Erwin.

Herr Jungspund: Vielleicht sollten wir das nächste Mal einfach einen anderen Text nehmen.

Frau Zauderer: Also ich fand den gut: „I came here like a wrecking ball“. Tralala.

Die drei übrig gebliebenen Gehetzten trinken noch einen Orangensaft und gehen weg. Man hört noch einige disharmonische Töne des Lieder eines US-Amerikanisches Teenagers ohne Hochschulabschluss. Dann kehrt Stille ein.

 

 

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