Wenn Sie mich nicht kennen, wie lange geben Sie mir, bis sich über mich urteilen? 5 Minuten Konversation? Länger? Und wenn es Ihnen nicht gefällt, wie lassen Sie es mich wissen? Mit einer verbalen Verurteilung? Gelächter?
Bei der Twitterin Naina (@nainabla) ist die Hölle los. Nachdem sie einen Tweet abgesetzt hatte, den viele als Generalabrechnung am deutschen Bildungssystem interpretierten, ging es los. Der Tweet wurde mehr als 10.000 Mal retweetet und über 25.000 mal favorisiert. @nainablabla hat 10.000 neue Follower. Die Deutung der Menge: Das Bildungssystem ist kaputt.
Ich bin fast 18 und hab keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen. Aber ich kann ‘ne Gedichtsanalyse schreiben. In 4 Sprachen.
— Naina (@nainablabla) 10. Januar 2015
Seitdem wird in allen sozialen Netzwerken heiß darüber diskutiert, was man verändern müsste. Die Wirtschaftswoche zitiert nun Nainas Schulleitung und konsterniert selbst, dass man dem Mädchen den „unreifen Unsinn“ verzeihen möge.
Geht es denn noch?
Das hier ist kein Blogeintrag über das Bildungssystem. Es spielt keine Rolle. Es ist ein einfacher Hinweis:
Was @nainablabla gemacht hat, ist, dass sie einen guten Tweet geschrieben hat (selbst wenn er geklaut wurde, wie manche Neider bei Twitter nun meinen).
Ein Tweet, 137 Zeichen, 22 Wörter.
Ein Tweet, der viele junge Leute (und Erwachsene) zu Lächeln bringt und brachte.
Ein Tweet, der ansprechend ist, lustig, einen schönen Gegensatz hat.
MEHR NICHT!
Dass nun die Menschen Vorwürfe machen, dass man doch bitte nicht das S in der Gedichtinterpretation schreiben solle. Dass die Kritik unangebracht sei. Dass es gar nicht 4 Sprachen seien. Dass sie sich rechtfertigen solle. Dass Schule zu praxisfern sei. Dass sie böse ist. Und so weiter und so fort:
DASS IST EIN ZEICHEN DER UNREIFE DERJENIGEN, DIE SICH ANSCHEINEND NICHT MIT DEM MEDIUM AUSKENNEN.
UPDATE: Nach einem immer größer werdenden Shitstorm hat sich (wie sogar der Deutschlandfunk berichtet) @nainablabla von Twitter verabschiedet. Denkt drüber nach!
Dieser Hass hier auf Twitter ist so heftig, ihr widert mich an. Sagt Bescheid wenn ihr wieder normal seid. Bis dann.
— Naina (@nainablabla) 15. Januar 2015
Wenn man jeden einzelnen Tweet, aus dem ein Selbstläufer wird, auf die Goldwaage legen würde, dann hätte man in der Tat viel zu tun.
Diskutiert über Bildung, klar, gerne, bin dabei. Diskutiert über das, was angesprochen wurde, alles gut.
Aber lasst euren Neid nicht an einem Mädel aus, die einfach einen guten Tweet geschrieben hat.
Amen!
Ich bin fast 33 und hab keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen. Aber ich kann ‘ne Gedichtanalyse unterrichten. In 4 Sprachen.
— Herr B. (@legereaude) 14. Januar 2015
Ich war anfangs etwas irritiert über den Tweet in meiner Timeline. Nicht über den Inhalt, da solche Kreationen ja schon häufiger die Runde machten, sondern über die Masse an Fav und Rebloggs. Meine Frage war dann an die Twitterer: Warum wird der so oft geteilt? Wegen Kritik an Bildungspolitik oder weil sie so naiv ist? Haben dann ein paar wegen Kritik an Bildungspolitik bestätigt. Habe daraufhin mal länger auf FB dazu kommentiert, dass das so ein typisch deutscher Reflex sei, alles praktische Nichtwissen von Jugendlichen auf die Bildungspolitik zu schieben. Als dann wenige Tage darauf dieses Thema und damit auch die Verfasserin dann durch alle Medien mit dem gleichen Reflex getrieben wurden, fühlte ich mich in einem ganz anderen Punkt bestätigt, den ich auf meinem Blog dann etwas erörtert habe: https://thomasbrasch.wordpress.com/2014/12/18/jetzt-kommt-mal-wieder-runter-und-zeigt-dass-das-netz-mehr-kann-als-hame-verbreiten/