Irgendwie gehöre ich auch dazu. Noch nicht lange, aber, doch, ja, ich bin einer von ihnen: Ein Lehrer, der „progressiv“ und „innovativ“ das Web 2.0 nutzt und auch versucht, seine Vorteile in den Klassenraum und – was schwieriger ist – in das Lehrerzimmer zu bringen. Die Schwierigkeiten liegen dabei weniger in der Einsicht, dass die (nicht mehr so) Neuen Medien schon lange Teil der Lebensrealität sind, sondern in einer mit Härte, um nicht zu sagen, Engstirnigkeit geführten Debatte.

Was wir bräuchten, sind Engelszungen. Aber davon sind wir weit entfernt.

Das macht mich wütend, denn ich würde gerne meine Kolleginnen und Kollegen davon überzeugen, dass ein wohl überlegter und funktionaler Mediengebrauch sich sowohl für Schülerinnen und Schüler als auch für die Lehrpersonen rentieren kann – sei es, weil durch die papierfreie Schultasche die Organisation der Stunden vereinfacht wird oder weil die Schüler die Vorteile von mobilen Endgeräten und praktischen Apps nutzen (lernen).

Es gibt schon viele Lehrpersonen, die auch dieser Überzeugung sind; allein ein Blick auf die Sammlung bloggender Lehrer und die zahlreichen Bildungschats über Twitter und Hangouts auf Google zeigen, dass auf diesem Gebiet immer mehr passiert. Das große Aber folgt auf dem Fuße:

Die sich selbst für progressiv haltenden Lehrpersonen kreisen teilweise in einem Kontinuum der Selbstbeweihräucherung, dass sie sorgfältig von jederlei Kritik abschirmen.

Um konkreter zu werden: Die Gesprächskultur ist unter Lehrerinnen und Lehrern natürlich nicht verletzend oder beleidigend. Was jedoch auffällt ist die Schärfe der Diskussion, sobald jemand, der ja, indem er z.B. auf Google in einer Bildungs-Community ist, per se schon offen für Neuerungen ist, auf eine Seite oder eine App hinweist, die den selbst ernannten digitalen Bildungs-Eliten nicht passt.

Da ist dann eine App, in der eine Lehrperson fragt und die Schüler antworten schon ein extremer „Rückfall in längst überwundene Muster.“ Da ist eine Gruppe, auf der Schüler Lehrer etwas fragen können, ein „Rückschritt in die alte Zeit von Hierarchien“. Da ist der Hinweis auf eine Seite mit Lernvideos für Schüler ein schlimmes Sakrileg, da es doch die Schüler selbst sein sollen, die die Videos erschaffen (für wen, weiß ich dann aber nicht, weil, nun ja, sich das digitale Dogma dort selbst in den Schwanz beißt.)

Da wird mit dem Kopf geschüttelt, weil das Handy nicht immer und zu jeder Zeit angelassen werden kann. Weil nicht jeder Schüler ein iPad zur Verfügung hat, weil nicht alle Lehrer regelmäßig zu diesem und nur diesem Thema eine Fortbildung machen, weil – Gott bewahre – ein Arbeitsblatt ausgeteilt wurde oder die Schüler – Buddha hört mit dem Lächeln auf – etwas von der Tafel abgeschrieben haben, anstatt es abzufotografieren.

Und das macht mich wütend.

Denn dabei gerät das eigentliche Ziel aus dem Blick: Schülerinnen und Schülern zu das Potential der Welt zu zeigen, die sie umgibt.

Stattdessen werden all jene verschreckt, die sich langsam an die Materie heranzutasten suchen. Die Kreuzritter machen keinen Halt vor Zögerern. Aber diese haben allen Grund: Der Förderverein mag so klein sein, dass er keine 10.000 Euro aus dem Ärmel schüttelt, die Strukturen noch nicht so weit fortgeschritten, einen digitalen Einschnitt zu machen, der den PC-Raum redundant werden lässt. Vielleicht ist das Netz auch gar nicht am Ort, das Gebäude nicht funktionsfähig, die Vorgesetzten eher zurückhaltend, die Eltern gegen jede Form der medialen Nutzung.

Das ist keine Ausrede, sondern der Versuch, darauf hinzuweisen, dass es nur durch Verständnis gelingen kann, weitere Schritte in Richtung einer allgemeinen Schulbildung zu gehen, die die Möglichkeiten der Mediennutzung sowohl im Bereich des Unterrichts, der Vorbereitung und der Kommunikation zwischen Lehrern, Schülern und auch Eltern für sich in Anspruch nimmt.

Das würde mich zufrieden machen.

Und wer diesen Artikel als einen lächerlichen Aufruf sieht, doch mehr über den Tellerrand zu sehen – auch und gerade in die Richtung, aus der man vielleicht selber vor Jahren gekommen ist, der hat absolut Recht.

Denn die vielbeschworene kommunikative Gemeinschaft des Netzes fängt beim Verständnis derjenigen an, die die ersten vorsichtigen Schritte gehen. Das würde einige Türen öffnen.

14 Kommentare

  1. Der Förderverein mag so klein sein, dass er keine 10.000 Euro aus dem Ärmel schüttelt, die Strukturen noch nicht so weit fortgeschritten, einen digitalen Einschnitt zu machen, der den PC-Raum redundant werden lässt. Vielleicht ist das Netz auch gar nicht am Ort, das Gebäude nicht funktionsfähig, die Vorgesetzten eher zurückhaltend, die Eltern gegen jede Form der medialen Nutzung.

    … Oder jeman reagiert mit vernünftiger Zurückhaltung und zieht in Betracht, dass die ein oder andere Heilslehre von heute in fünf oder zehn Jahren eine Irrlehre geworden sein könnte.

    Ich stimme Dir voll und ganz zu. Je länger ich mich mit Medien beschäftige und den Web-Diskurs darüber verfolge, desto mehr frage ich mich, ob all die Protagonisten wirklich schon so viel praktische und reflektierte Erfahrung damit haben, die sie ihre Überzeugungen so überzeugt äußern lässt.

    • Das stimmt. Man kann ja auch immer ein wenig “schummeln”. Letztlich ist es bei den digitalen Medien, wie mit allen anderen im Unterricht eingesetzten Hilfsmitteln auch: Es gibt keine Patentlösung, die auf alles passt. Und das sollte auch so kommuniziert werden.

  2. Sehe ich auch alles so. Andererseits: Wenn die Revolution möglichst schnell kommen soll, dann kann man keine Zauderer und Zögerer brauchen. Ich glaube nur nicht an die Revolution.

    • Ja, da gibt es zwei Seiten. Nur: Wenn man den Zauderern nicht gestattet zu zaudern, werden sie es letztlich eher ablehnen, als dass es schneller vorangeht.

  3. Ich denke, das Problem geht mittlerweile viel tiefer. Die Autorität des Lehrsystems Schule steht auf der Kippe. Wenn es keine Schulpflicht gäbe, könnte man sich heute durch das Netz dennoch all das beibringen, was man an Kompetenzen und Wissen benötigt.

    Das erleben Schüler jeden Tag – im Netz sind sie ‘Kunden’, die von Facebook und Google mit ihren Interessen und Intentionen ernst genommen werden. Im System Schule spielen Interessen und Intentionen der Schüler faktisch keine Rolle – es geht um Lehrplanerfüllung. Niemand fragt Schüler, was und wie sie lernen wollen – sunt pueri, pueri tractant. Stattdessen nehmen wir Rücksicht auf die Strukturen des Systems und auf die Ängste der ‘Lehrpersonen’ (allein an diesem grausen Wort sieht man deutlich, woher der Wind weht).

    Warum machen wir eigentlich nicht einmal wirklich evidenzbasiertes Lernen, so wie Amazon evidenzbasiertes Verkaufen macht – unabhängig davon, ob die Lehrpersonen dann Schnappatmung bekommen?

    • Im Grunde bin ich ähnlicher Meinung, wobei ich den Vergleich mit Amazon aber schwierig finde. Noch schwieriger finde ich jedoch ein “evidenzbasiertes Lernen”. Was verbirgt sich hinter dieser Hülse? Die pauschale Aussage, es gehe um Lehrplanerfüllung kann ich so nicht gelten lassen, da zumindest bei dem Lehrpersonal, das meines Erachtens gute Arbeit macht, der Kompetenzbegriff ernst genommen wird. Dass Lehrpersonen Schnappatmung bekommen, sobald sich etwas ändert, ist nicht zu ändern. Aber auf der anderen Seite: Ich will auch noch den Faust lesen dürfen – freilich aus anderen Gründen, die hier zu erläutern zu lange dauern würde. Aber würde die Evidenz etwas daran ändern? Wie ich schon im Artikel zum Ausdruck bringe. Schritte aufeinander zu sind gesünder, als das Gemecker über die “bösen Konservativen” und die “neunmalklugen Progressiven.”

      • >Im Grunde bin ich ähnlicher Meinung

        Ich nicht. Was “erleben Schüler jeden Tag” – dass sie sich heute durch das Netz dennoch all das beibringen können, was man an Kompetenzen und Wissen benötigt? Was für Schüler sind denn das, die das jeden Tag erleben? Meine nicht. Und dann als Beispiel Facebook bringen? Amazon will den Leuten irgendwas verkaufen, möglichst viel. Das ist nicht der Auftrag der Schule. Fragt man, was Schüler lernen wollen, bleibt das Zehnfingerschreiben übrig. Und dazu braucht man dann wirklich keine Schule.

        • Ich ärgere mich über mich selbst, weil das “Im Grunde…” nur ein Versuch der Versöhnung war, wo es nichts zu versöhnen gibt. Ich gebe dir absolut Recht…

    • Pardon, das man sich im Netz “all das beibringen [könnte], was man an Kompetenzen und Wissen benötigt” halte ich für eine glatte Übertreibung (z.B. zur Rolle der Fachdidaktik vgl. meine Anmerkung in http://konzeptblog.joachim-wedekind.de/didaktik-digital-analog-hybrid/). Es sollen nicht Mängel des “System Schule” klein geredet werden. Aber ich halte die Schulpflicht (bzw. das Recht auf schulische Bildung) für eine Errungenschaft, die noch lange nicht durch Facebook und Google überflüssig werden wird (das “ernst genommen werden” von denen wäre sowieso ne gesonderte Hinterfragung wert).

    • Wenn es keine Schulpflicht gäbe, könnte man sich heute durch das Netz dennoch all das beibringen, was man an Kompetenzen und Wissen benötigt.

      Man könnte im Netz sicher Vieles lernen, wenn man (a) die Motivation und Disziplin dazu hätte und (b) wenn man in der Lage wäre, den dort meist ungeordnet vorliegenden Inhalte zu eigenständig zu strukturieren und zu verstehen. Die Motivation mag für einzelne Inhalte bei einzelnen Schülern vorhanden sein. Bezüglich Disziplin sieht es bei den meisten Menschen (nicht nur bei Schülern) ohne externen Druck schon deutlich schlechter aus.

      Und bezüglich Strukturierung: Ich frage mich bei diesem Argument oft, ob die Person, die es vorbringt, schon mal versucht hat, sich Mechanik oder Genetik oder Säure-Base-Reaktionen selbst aus dem Netz beizubringen. Ich habe das als Biologe mal mit relativ simpler Mechanik versucht. Ich war sehr motiviert und interessiert, hatte bereits viel Erfahrung mit Lernen und kam trotzdem schnell an meine Grenzen. Viele der nicht ganz trivialen Aspekte verstand ich erst, als ein Physik-Kollege sie mir erklärte. Und dann auch nur nach mehrmaligem Nachfragen und »Ringen«. Also für das Selbst-Beibringen möchte ich stichhaltige und belegte Beispiele aus verschiedenen Fachbereichen hören, sonst glaube ich das nicht mal ansatzweise.

      … im Netz sind sie ‘Kunden’, die von Facebook und Google mit ihren Interessen und Intentionen ernst genommen werden.

      Entschuldige, aber dass Facebook und Google ihre Melkkühe ernst nehmen, kann wohl kaum ernst gemeint sein. Man kommt ihnen so weit entgegen, dass sie in ihrer digitalen Naivität glauben, einen schönen Service umsonst zu erhalten, weil sie dadurch so wunderbar viel von sich preisgeben, das man kommerziell ausschlachten kann. Das hat nichts damit zu tun, dass man »Interessen und Intentionen« ernst nimmt, sondern dass man weiß, dass mit diesen Interessen und Intentionen die Geldmaschine angetrieben wird.

      Im System Schule spielen Interessen und Intentionen der Schüler faktisch keine Rolle – es geht um Lehrplanerfüllung.

      Das mag stimmen – in welchem Umfang, kann ich nicht beurteilen. Viele meiner Kollegen bemühen sich redlich, zur möglichst interessengeleiteten Entwicklung unserer Schüler beizutragen. Viele andere bemühen sich nicht. Das ist ein Grundproblem von Schule, das in Konsequenz nur durch die Aufhebung von Lehrplänen und eine 1:1-Betreuung zu lösen wäre. Ob und wie das in einen sinnvollen gesellschaftliche Kontext eingebunden werden kann, hat bisher niemand schlüssig erklären können.

      Warum machen wir eigentlich nicht einmal wirklich evidenzbasiertes Lernen, so wie Amazon evidenzbasiertes Verkaufen macht

      Unter anderem deshalb, weil es sehr viel leichter ist herauszufinden, was jemand kaufen würde als die Frage zu beantworten, ob er etwas gelernt hat und, falls ja, was. Je »valider« und »objektiver« die Tests, desto schlechter bilden sie – meines Erachtens – komplexe und tiefgreifende Lernprozesse ab. Ein Mess-Dilemma sozusagen. Die großen Erfolge, die in in den Bildungssystemen der Welt mit standardisierten (und damit möglichst evidenzbasierten) Tests gefeiert werden, sprechen für sich.

  4. Ich verstehe dich gut, denn ich habe auch lange überlegt, ob ich bei G+ den Kommentar kommentiere, es dann aber (dank eines Stapels Korrekturen auf dem Tisch) einfach gelassen. Ich glaube, ich stänkere sowieso schon viel zu viel.

    Irgendwann gewöhnt man sich an die digitalen Hype-Phasen, lässt die nächste Sau argloser durchs Dorf ziehen und versucht, seine Arbeit so gut als möglich zu machen – ganz egal, ob per Papier, im Computerraum oder mit der ultracoolen iPad-Klasse.

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