Jetzt hören wir wieder in den Nachrichten von Europa. Es gibt eine neue Richtlinie gegen den Verbrauch von zu vielen Mülltüten, die langsam aber sicher die Meere für Lebewesen unbewohnbar machen. Eine gute Sache, diese neue Richtlinie. Vielleicht wird ja ein Gesetz daraus, genau wie es bei den Glühbirnen gekommen ist. Das letzte Mal, als wir von Europa hörten, war es bei der sogenannten Flüchtlingskatastrophe vor der italienischen Küste. War das dasselbe Europa wie bei den Mülltüten? Wer ist eigentlich dieser Europa?

Europa ohne Europäer

Liest man den sogenannten Bildungsplan des deutschen Bildungssystems durch, wird es vor allem beim Fach Geschichte spannend. Denn neben zahlreichen Begriffen, deren Abstraktheit in alle Richtungen interpretiert werden kann, heißt es dort, dass es die Hauptaufgabe des Faches sei, die Kinder zu einer „europäischen Identität“ zu erziehen. Was genau eine solche Identität ausmacht, wird nicht erschöpfend ausgesagt. Es hat wohl irgendwas mit den schönen schon in der Europadefinition von Wikipedia stehenden Begrifflichkeiten zu tun: geographische, historische, kulturelle, politische, wirtschaftliche, rechtliche und ideelle Aspekte.

Das Problem an der Sache scheint nur: Die Menschen, die sich als Europäer bezeichnen, gibt es so gut wie nicht.

Bestimmung von außen

Dass dies so ist, hat so viele Gründe, dass man sie nicht aufzuzählen vermag. Eines der Hauptprobleme ist aber, dass sich Europa nun mehr von außen definieren lässt. Wird es von innen definiert, geschieht dies eindimensional.

So ist Europa für England der böse große Bruder, der die nationalen Interessen einer autarken Insel gefährdet, für Spanien der Grund für die Auswanderung, für Deutschland der kranke Patient, den man pflegen muss, für Griechenland der Grund für die Krankheit unter der Führung der starrköpfigen Merkel, für China eine Ideengeber, für die USA ein opportuner Helfer in Zeiten, in denen Alleingänge schwerfallen. Was haben diese Gründe aber vor allem Gemeinsam? Jenseits der politischen und vor allem wirtschaftlichen Ebene scheint es kein Europa zu geben.

Irgendwie historisch gewachsen

Eine der Hauptgründe dafür, dass immer mehr Flüchtlinge Europa glorifizieren und als Garten Eden verehren, für den sie in so vielen Fällen mit dem Leben zahlen, ist der Erfolg einer gemeinsam erschaffenen Rechtsgrundlage und Kultur, die von den griechischen Wurzeln der Philosophie über die Französische Revolution und die Ausrufung der Menschenrechte bis hin zum Wiederaufbau Zentraleuropas nach dem Kalten Krieg unzählige menschliche Errungenschaften präsentieren kann – die aber nirgends eine Rolle zu spielen scheinen.

Europa ohne Europa geht nicht

Sieht man auf die offizielle Seite der europäischen Union, findet man allerhand nützliches Material – aber keine einzige explizite Referenz zur europäischen Kultur oder Geschichte. Geschweige denn jene ideelle Vorstellung, die als Idee gleichsam als Grundlage für eine transnationale Gemeinschaft dienen kann. Europäischer Zusammenhalt wird eigentlich nur dann großgeschrieben, wenn sich der deutsche Bundespräsident mal wieder für irgendein Gräuel aus dem zweiten Weltkrieg entschuldigen muss. Und dies macht er zweifelsfrei gut.

Ein produktives Europa

Ist es denn aber nötig, auf die gemeinsamen Wurzeln im Denken, in der Kultur und Mentalität – ohne eine erzwungene Gleichmacherei – nur dann hinzuweisen, wenn es um ein Gegen geht und nicht um ein Für. Um sich als Europäer zu verstehen, braucht der in Europa lebende Mensch auch gemeinsame Referenzpunkte, die jenseits einer Bankenrettung und eines Fiskalpaktes liegen. Europa sollte endlich den Mut haben, eine gemeinsame Vision zu artikulieren und sich gleichzeitig auf die Gemeinsamkeiten jenseits wirtschaftlicher Interessen berufen.

Ansonsten reden wir nämlich wieder nur über europäische Plastiktüten.

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